Systems Engineering und der Innovationseffet

Elektronik und Software sind zum Motor der Innovation geworden – nicht nur im Automobil, sondern auch in vielen anderen Produkten. Und wie beim Billard stößt eine Innovation die andere an, auch wenn die Effets nicht immer vorhersehbar ist. Die softe Revolution erlaubt die schnelle Integration von zusätzlichen Funktionen, die den Produktlebenszyklus verlängern, und erleichtern gleichzeitig die funktionale Differenzierung der Produktpalette. Wie viel Pferdestärken ein Motor auf die Straße bringt, das hängt heute auch und vor allem von der eingebetteten Software ab.

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In einem Fahrzeug der Oberklasse stecken inzwischen mehr Zeilen Programmcode als in manchem PLM-System. Die eigentliche Herausforderung ist jedoch nicht die Menge an Software, die sich wesentlich schneller entwickeln lässt als andere Produktbestandteile, sondern das perfekte Zusammenspiel von Software, Elektrik/Elektronik und Mechanik. Ihre Abstimmung erfordert neue Werkzeuge, Methoden und Prozesse für die interdisziplinäre Produktentwicklung. Systems Engineering (SE) heißt das Schlagwort, das in aller Munde ist, auch wenn jeder SE-Experte es etwas anders definiert.

Verwunderlich ist die Definitionsvielfalt nicht, denn letztlich geht es genau darum: Erst einmal eine gemeinsame Sprache zu finden. Eine gemeinsame Sprache, mit der man komplexe Produkte als Gesamtsystem beschreiben und überprüfen kann, unabhängig davon, wie und mit welchen Werkzeugen die beschriebenen Funktionen und Eigenschaften nachher umgesetzt werden. Eine Sprache, die es den unterschiedlichen Disziplinen erlaubt, ein gemeinsames Verständnis für die bestehenden Abhängigkeiten zwischen Anforderungen, Funktionen, Bauteilen etc. zu entwickeln und gerade bei Änderungen einfacher miteinander zu kommunizieren. Sozusagen ein Esperanto für die Produktentwicklung.

Ganz gleich welche Sprache(n) und Sprachwerkzeuge zum Einsatz kommen, müssen sie in die Product Lifecycle Management-Lösungen integriert werden, um die beschriebenen Anforderungen und die daraus abgeleiteten Funktionen und Eigenschaften des Produkts über den gesamten Entwicklungsprozess verfolgen und die Wechselwirkungen von Änderungen beurteilen zu können. In diesem Sinne ist das Systems Engineering zum Motor für die Innovation der PLM-Technologie geworden, die lange Zeit einseitig auf die Datenverwaltung und Prozessteuerung in der Mechanikentwicklung fokussiert war. Die meisten PLM-Lösungen unterstützen heute ein disziplinenübergreifendes Anforderungs-Management und ermöglichen die Abbildung einer funktionalen Sicht auf das Produkt.

Anforderungen abzubilden und in Beziehung zu anderen Anforderungen, Funktionen, Bauteilen etc. zu setzen, ist weniger eine technische Herausforderung. Die PLM-Datenmodelle sind dafür ausreichend flexibel. Die Kunst besteht darin, dies so zu tun, dass die Systeme für die Anwender noch bedienbar sind. Oder anders ausgedrückt: Zu vermeiden, dass man den Teufel mit dem Belzebub austreibt. Schließlich soll das Systems Engineering die Komplexität der Produktentwicklung besser beherrschbar zu machen. Wenn die IT-Werkzeuge zur Unterstützung der Systementwicklung dadurch so komplex werden, dass sie für die Anwender kaum noch zu beherrschen sind, ist nichts gewonnen.

Die PLM-Hersteller müssen sich darüber Gedanken machen, wie sie die Definition der Beziehungen zwischen Anforderungen und anderen PLM-Objekten und vor allem die Visualisierung der komplexen Zusammenhänge besser unterstützen. Die Anwender benötigen komfortable grafische Eingabehilfen und neue Peripheriegeräte mit taktilen Oberflächen, um die Beziehungsgeflechte großformatig darstellen und mit ihnen direkt interagieren zu können.  Mit anderen Worten genau die Art von Produkten, deren Entwicklung ein interdisziplinäres Vorgehen im Sinne des Systems Engineering erfordert.

Langzeitarchivierung – kurz beleuchtet

Der Produktlebenszyklus endet eigentlich nicht mit Verschrottung oder Recycling, sondern mit der Löschung der letzten Unterlage im (elektronischen) Archiv. Deshalb habe ich mich immer gefragt, warum die meisten PLM-Hersteller beim Thema Langzeitarchivierung so kleinlaut werden. Darüber könnte man doch stundenlang diskutieren.

 Leider ist das Thema zu lang und zu zeitraubend für einen Blog-Beitrag, also werde ich die Idee gleich wieder archivieren. Aber da fangen die Probleme schon an. Wie kann ich später nachweisen, dass es meine Idee war? Ich sollte sie unbedingt digital signieren, am besten mit einer qualifizierten elektronischen Signatur, aber dazu brauche ich erst mal ein Zertifikat und einen meiner Person zugeordneten Prüfschlüssel von einem autorisierten Zertifizierungsdienstleister. Also doch besser ausdrucken, unterschreiben und in den Papierordner abheften? Aber was mache ich mit den ganzen Emails, die ich für den Ideenaustausch genutzt habe?

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                                                                                    (Bild: iStock)

Und überhaupt, wie lange archiviert man Ideen eigentlich? Am besten mache ich sie schnell zu Geld, dann brauche ich die Unterlagen für das Finanzamt nur zehn Jahre aufzubewahren. Wenn ich ihr nämlich Flügel verleihe und sie abhebt, dann gelten bestimmt die strengen Regeln der Luftfahrtbehörden und sie landet lebenslänglich im Archiv. Gebrannt auf ein einmal beschreibbares und hoffentlich auch im 22. Jahrhundert noch ohne Glaskugel lesbares Medium. Wie DVDs und Laufwerke im Jahr 2112 wohl aussehen werden, frage ich mich? Wird es sie überhaupt in der heutigen Form noch geben?

 In welchem Format ich meine Idee archivieren soll, ist mir auch nicht ganz klar. Ich bringe sie gerade mit einem nicht mehr ganz taufrischen Texteditor zu Papier, pardon auf die Platte. Ob ich sie als doc.ument ohne X-tension in ein paar Jahrzehnten noch werde öffnen können, können mir nicht mal die aus Redmond sagen. Also besser in PDF konvertieren? Für das Konzept kein Problem, doch was mache ich mit den Flügeln, die meiner Idee wachsen? Das können ziemlich komplexe mechanische Gebilde sein; sie werden üblicherweise in 3D beschrieben, und dafür gibt es überhaupt noch kein langzeittaugliches Format.

 Je länger ich darüber nachdenke, desto klarer wird mit, dass das Thema Langzeitarchivierung eine Frage der Prozessorganisation ist. Mir wird wohl nichts anderes übrig bleiben, als meine Idee im Laufe ihres Archivlebens immer mal wieder in ein anderes Format zu konvertieren und auf ein aktuelleres Speichermedium zu migrieren. Doch wie weise ich hinterher nach, dass die Idee bei diesen Metamorphosen nicht verfälscht wurde? Ein Bekannter meinte neulich, ich solle meine ganze Dokumentenlogistik doch einfach mit PLM organisieren, dann könne ich jederzeit nachweisen, dass meine Prozesse regelkonform gewesen seien. Keine schlechte Idee. Ich muss ihn unbedingt fragen, wie er die archiviert hat und in welchem PLM-System. Hoffentlich in einem, das eine lange Zukunft hat.

Social PLM?

Der Hype um Social Media hat nicht nur Techies, Nerds und andere Internet-Eingeborene erfasst, sondern praktisch alle Gesellschaftsgruppen in allen Ländern rund um den Globus. Facebook hat demnächst vermutlich eine Milliarde(!) Anwender. Ob man das “Geplapper” bei Facebook, Twitter und Co nun für dummes Zeug hält oder nicht: da ist eine Umwälzung im Kommunikationsverhalten und der Vernetztheit der Menschheit im Gange, deren Ausmaß und Folgen noch niemand richtig begreifen und abschätzen kann.

[youtube http://www.youtube.com/watch?v=rkkUV1dUoiE]

Update: leider ist das Video von Youtube entfernt worden. Auch ein Symptom … sie finden es bei Interesse, wenn Sie nach ” Social Media Revolution” suchen

Sicher ist: ein großer Teil der Menschen, die heute PLM-Anwendungen verwenden, haben Erfahrung mit Sozialen Netzwerken. Und dieser Anteil wird in Zukunft ganz gewiss nicht kleiner.

Was bedeutet das für PLM und Entwicklungsprozesse, die ja ganz sicher auch und vor allem soziale Prozesse sind, in denen Menschen zusammen arbeiten? Zunächst mal wenig, denn natürlich wäre es eine Schnapsidee, die Zusammenarbeit mit Partnern demnächst über Facebook abwickeln zu wollen. Was sich verändert, sind die Erwartungen von Anwendern an die Informationstechnologie, die ihnen am Arbeitsplatz zur Verfügung steht. Schon lange ist ein einzelner, nicht in das Unternehmensnetz eingebundener Rechner mit Microsoft Office an Bord praktisch sinnlos, denn niemand verwendet seinen Rechner mehr dazu, Informationen zu erfassen, um sie anschließend auszudrucken und in das Rohrpostsystem zu stecken. IT wird in den Unternehmen vor allem für Kommunikation und Zusammenarbeit benutzt.

In den meisten Unternehmen sind die zentralen Anwendungen für Kommunikation und Zusammenarbeit einerseits Email, andererseits große Unternehmensanwendungen wie SCM, CRM, ERP und eben PLM, in denen Informationen zusammengeführt werden, um die wertschöpfenden Prozesse zu unterstützen. Daneben gibt es in vielen Unternehmen bereits Anwendungen, die weniger formal und prozessorientiert sind, indem zum Beispiel in einem unternehmensinternen oder sogar -übergreifenden Netzwerk Wikis, Kalender, Microblogs, leichtgewichtige Plattformen für den Austausch von Dokumenten und so weiter bereitgestellt werden.

Wenn man genau hinschaut, stellt man fest, dass gerade in Entwicklungsprozessen die “eigentliche Arbeit” kommunikationsintensiv und informell ist. Zahllose Meetings, Emails, Telefonate und Gespräche in der Kaffeeküche machen das mehr als deutlich. In den “Kommunikationspausen” werden mit Werkzeugen wie CAD Informationen erzeugt, abgestimmt und oft erst als fertiges Ergebnis in die Unternehmensanwendungen gestellt. Selbst dort, wo PLM funktionierendes CAD-Datenmanagement für Teams beinhaltet, werden Entwürfe per Email herumgereicht, weil die PLM-Anwendung zu unflexibel ist, man “noch keine Nummer vergeben will” oder schlicht und ergreifend Angst davor hat, etwas vermeintlich unfertiges in ein “offizielles” System einzustellen (nebenbei bemerkt adressiert Contact Softwares “Workspaces”-Konzept dieses Thema).

In Zukunft werden Anwender von den IT-Systemen an ihrem Arbeitsplatz in dieser Beziehung mehr verlangen, indem Erfahrungen mit “Social Media” auf das Arbeitsumfeld übertragen werden: es ist gut, wenn in einem informelleren Rahmen Informationen in Form von Text, Bildern, CAD-Modellen, Dokumenten, Kommentaren, … ausgetauscht werden können. Dazu gehört, dass dieser Rahmen in weiten Bereichen selbst gestaltet werden kann, indem man wie bei Facebook seine “Freunde” selber wählt, ein Team selbstständig eine Gruppe anlegen kann, man wie bei Twitter selbst entscheidet, welchen Nachrichtenströmen man folgt, und so weiter. Vor allem in räumlich verteilten oder unternehmensübergreifenden Konstellationen ergeben sich auch weitere Vorteile.

Unternehmen, denen es gelingt, diesen Erwartungen gerecht zu werden, die informelle, “soziale” IT mit den etablierten (und notwendigen!) Unternehmensanwendungen wie PLM zu verbinden, werden sich vermutlich darauf freuen dürfen, langfristig die besseren Mitarbeiter und Prozesse zu haben.

Tja, und wie geht nun “Social PLM”? Jedenfalls nicht von allein, und auch nicht auf ein PLM-Systems beschränkt. Alle Unternehmensanwendungen müssen “sozialer” werden. Es wird aber vermutlich nicht reichen, eine Stücklistenposition “liken” zu können, oder eine Kommentierfunktion für CAD-Baugruppen vorzusehen. Wie ich hoffentlich andeuten konnte, sind Unternehmensprozesse die von Kommunikation geprägt sind, per se “sozial” und damit aussichtreiche Kandidaten dafür, “soziale Technik” erfolgreich einsetzen zu können. Wenn das nicht dazu führen soll, dass eine Unzahl an neuen Kommunikationskanälen die Mitarbeiter überfordert und frustriert, muss dazu vorhandene und neue Technik gescheit integriert werden. Das setzt Offenheit und die Orientierung an den bei diesem Thema alles dominierenden Internet-Paradigmen voraus (jedes Ding muss eine URL haben, RSS-Feeds, Integration von Email … um nur einige Stichworte zu nennen). Am wichtigsten ist es aber natürlich, eine offene Kommunikationskultur herzustellen und die Menschen zu ermutigen, mehr von ihrem Wissen preiszugeben und zusammen zu arbeiten.