Zu viel CAD, zu wenig PLM?

Vor einiger Zeit habe ich in Oleg Shilovitskys Blog folgendes goldwertes Zitat von Al Dean gelesen, der das Online-Magazin “Develop 3D” herausgibt:

PLM is easy to define. It’s 3 things. A product. Its lifecycle. And Managing it. It doesn’t need anymore fucking definition.

Oder, um es mit einem Kanzlerwort zu sagen: Entscheidend ist, was hinten rauskommt. Nämlich ein Produkt aus der Fabrik (und natürlich wann, in welcher Qualität, und zu welchen Kosten). Welche “PLM-Werkzeuge” (vom Karteikasten bis zur Enterprise-PLM-Lösung) man einsetzt, um das zu erreichen, ist dabei wichtig, aber sekundär. Diese Werkzeuge können gut oder schlecht, kostengünstig oder teuer sein, und die beteiligten Personen gut oder schlecht bei ihrer Arbeit unterstützen. Fatal ist es jedenfalls, wenn die Wahl des Werkzeugs den Prozess behindert, oder mit zusätzlicher Komplexität belastet. Optimal ist es, wenn die jeweils passenden Werkzeuge an den richtigen Stellen eingesetzt werden können.

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Da hat Thomas Teger möglicherweise nicht ganz unrecht. Zudem ist das Nachdenken über “PLM” oft nur ein Nachdenken über CAD und wie man mit CAD-Daten umgeht. Das ist ein wichtiger Teil von PLM, denn natürlich haben CAD und CAE (für 3D/Mechanik, aber auch andere Disziplinen, die leider oft vergessen werden) eine Revolution bei der Entwicklung von Produkten bewirkt. Aber eben nur ein Teil. Die wichtigsten Funktionen von PLM-Software sind (ohne, dass das eine “fucking definition” sein soll):

  1. Kollaboration: Zusammenarbeit im Virtuellen ermöglichen (also z.B. Teamwork mit CAD-Daten)
  2. Daten”herstellung” rationalisieren: hierher gehören CAD-Systeme und andere Tools, mit denen die Dokumentationserstellung und Absicherung digitalisiert und vereinfacht wird.
  3. und nachgelagerte Prozesse (Fertigung, Einkauf, …) mit Daten versorgen: das ist der eigentliche Sinn von PLM

Für das, was “hinten rauskommen” soll, ist Punkt 3 das Entscheidende. Was nützt eine Fertigungszeichnung, die aus einem parametrischen 3D-Modell entstanden ist, wenn sie niemand ausdruckt und zur Werkbank bringt? Und, um den Gedanken weiterzuspinnen, wenn die Zeichnung auf der Werkbank liegt, was nützen Parametrik und 2D/3D-Assoziativität eines CAD-Systems, um Änderungen zu transportieren?

Moderne CAD-Systeme rationalisieren und erleichtern die Erstellung vollständiger und informationsreicher Dokumentation. Dafür ist aber eine gewisse zusätzliche Komplexität erforderlich (Stichworte Parametrik, “Links” und Referenztechnik), die für die der Entwicklung nachgelagerten Prozesse allerdings irrelevant ist. Diese Komplexität muss in einer PLM-Strategie berücksichtigt werden, aber diese daran auszurichten hieße, das Pferd vom Schwanz her aufzuzäumen. Zudem geht Produktentwicklung natürlich weit darüber hinaus, Geometriedaten oder zum Beispiel Schaltpläne zu erzeugen. Man schaue nur auf die zahllosen Dokumente, Excel-Sheets, Software-Tools und Papierberge, die für Auslegungen, Kostenschätzung usw. verwendet und produziert werden.

Außerdem gibt es auch nicht “ein CAD für alle Fälle”: für das Geometriemodell des Produkts mag das eine System optimal sein, für einzubauende Komponenten und für die Nachbearbeitung von Bauteilgeometrie zur Vorbereitung von Berechnung oder NC-Programmierung ein weiteres. Die optimale Kombination scheitert aber zu oft daran, dass Geometriedaten nicht (oder nur sehr mühsam) zwischen CAD-Systemen ausgetauscht werden können. Unter diesem Gesichtspunkt ist der aktuelle Trend zur Direktmodellierung (Siemens’ “Synchronous”-Technologie, Autodesk mit “Fusion” und neuerdings PTC mit seiner neuen “Creo”-Produktreihe – aber auch kleinere Anbieter wie Spaceclaim und Kubotek) bemerkenswert: die sich abzeichnende Möglichkeit die “nackte” B-Rep-Geometrie in einem anderen Tools als dem Erzeugungssystem zwanglos weiter bearbeiten zu können, hat das Potential, die CAD-Silos aufzulösen.

Was bleibt, ist den Menschen, die “PLM” leisten, eine Plattform zu geben, mit der sie sich so organisieren können, dass die Ziele in der Produktentwicklung erreicht werden.

Standards in der Produktentwicklung: Fluch oder Segen?

Vorweg: es geht in diesem Beitrag nicht um Normteile oder andere Dinge, die Produkte standardisieren, sondern um solche, die festlegen, auf welche Art und Weise Produkte entwickelt werden. Das ist ein weites Feld, angefangen bei der Frage, wer den Standard vorgibt, etwa das eigene Unternehmen, der Kunde, Normungsgremien usw. bis hin zu Frage, was standardisiert wird wie z.B. Verfahrensabläufe, Benennungskataloge, oder Nummerungsysteme.

Die meisten von uns werden bestimmte Standards lieben und andere hassen. Die guten sind die, die mir persönlich erkennbar nützen, etwa weil sie mir helfen, mich leichter zurechtzufinden. Und die schlechten sind eben solche, die eher hinderlich für meine Aufgaben sind.

Gute Standards stellen einfach „Best Practices“ dar. Bei schlechten Standards erkennen die Anwender, dass man das anders und besser machen kann. Gute Standards fallen nicht vom Himmel und selbst jahre- oder jahrzehntelange Gremienarbeit ist keine Erfolgsgarantie, siehe den „Standard for the Exchange of Product model data“ (ISO 10303 STEP).

Jeder Entwickler macht eigentlich nicht anders als einen Standard für eine gewünschte Funktion zu schaffen. Als Entwickler von gewarteter „Standard“ PLM-Software haben wir die Aufgabe, Standards für die Produktentwicklung zu schaffen. Das ist anspruchsvoll, denn jede Produktentwicklung lebt davon, abseits ausgetretener Pfade Innovatives zu schaffen. PLM-Projekte und PLM-Software greifen unter Umständen tief in die Art und Weise ein, wie Unternehmen und  Mitarbeiter Produkte entwickeln. Im Unterschied zu bloßen Regelwerken, wie sie in vielen Unternehmen anzutreffen sind, ist die Standardisierung  gleich in die Werkzeuge eingebaut, die die Anwender nutzen. Je feinkörniger hier die Vorgaben sind, desto schwieriger wird es, die Bedürfnisse der Anwender praxisgerecht zu erfüllen.

Zusammenfassend meine Meinung:

  1. Gute Standards stellen Best Practices dar, deren Nutzen  für Anwender offensichtlich ist.
  2. Standards zu entwickeln ist schwierig. Der Schlüssel zum Erfolg liegt in der Fähigkeit, Standards beruhend auf Erfahrungen in nicht zu kurzen und nicht zu langen Abständen zu verbessern.
  3. Standards haben auch in der Produktentwicklung ihre Berechtigung. Sie helfen z.B., Compliance-Richtlinien zu beachten, über Abteileingen und Disziplinen hinweg besser zu kommunizieren und Zeit dadurch zu sparen, dass man das Erfahrungswissen anderen nutzen kann.
  4. Standardisierung in der Produktentwicklung erfordert besondere Umsicht: Schließlich sollen Kreativität und Flexibilität nicht unter die Räder kommen.

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PLM – Chaos oder Einheit?

Ich habe einen Blog von Stephen Porter von Zero Wait State gelesen, der folgende Überschrift trug: The PLM State: Why can’t we all just get along? (PLM – Warum gibt es kein friedliches Miteinander?). Meiner Meinung nach hat Stephen ein wichtiges Thema angesprochen, nämlich wie die verschiedenen Anbieter im Ökosystem der Engineering-Software nebeneinander bestehen können. Ich musste sofort an die PLM-Software-Landschaft und damit zusammenhängende Trends denken.

Trends im Bereich PLM und Unternehmenssoftware

Meiner Meinung nach gibt es derzeit im Bereich PLM und Engineering-Software nur einige wichtige Entwicklungen, die ich im Folgenden aufzählen möchte: der Notwendigkeit vertikaler Integration und schnellerer Veränderungen sowie der zunehmende Einfluss durch Software für Privatanwender. Die vertikale Integration spielt bei PLM-Lösungen eine immer wichtigere Rolle. Die Kunden möchten ihre Zeit nicht mit der Integration von Produkten verbringen, sondern verlangen nach Produkten, die bereits integriert und sofort einsatzbereit sind. Dadurch stellt sich die Frage, wie die Anbieter die Integrationsfähigkeit ihrer Produkte sicherstellen können. Der Bedarf nach immer schnelleren Veränderungen macht die wachsende Dynamik der Unternehmen deutlich. Engineering- und PLM-Software müssen ihr Tempo an der Geschäftswelt ausrichten. Veränderungsprozesse, die nur einmal im Jahr stattfinden, werden den Unternehmen schon bald nicht mehr genügen. Den Kosten für Veränderungen kommt eine noch größere Bedeutung zu. In dieser Hinsicht müssen die Zeitabstände hinterfragt werden, in denen Software-Releases bisher auf den Markt kommen, sowie die Geschwindigkeit von Updates. Die Software für Privatanwender wird entscheidenden Einfluss ausüben. Ich denke, dass wir all die neuen Anwendungen und Geräte schätzen, an die wir uns in den letzten 5-7 Jahren gewöhnt haben. Noch gibt es einen deutlichen Unterschied zwischen Anwendungen für das Privatleben und Anwendungen für das Geschäftsleben. Die Kunden verlangen jedoch eindeutig danach, als Unternehmenssoftware ähnliche Lösungen verwenden zu können wie als Privatanwender.

Die Einheitsgröße passt nicht allen

Dies ist ein weiterer wichtiger Aspekt, der erwähnt werden sollte. In den letzten 10-15 Jahren haben die Anbieter von PLM- und sonstiger Unternehmenssoftware versucht, Best Practices und andere Strategien im Zusammenhang mit der Vereinheitlichung von Softwareprodukten einzusetzen. Nach all diesen Jahren komme ich zu einem ganz einfachen Schluss: Die Einheitsgröße passt nicht allen. Das Verlangen nach Vielfalt wird immer deutlicher. Lösungen werden immer kundenspezifischer und berücksichtigen die Verschiedenartigkeit der Nutzer innerhalb eines Unternehmens. Dazu gehört auch, dass Kunden immer häufiger Software mehrerer Anbieter einsetzen.

Kundenfokus

Und zu guter Letzt: Die Beziehungen zwischen Kunden und Händlern bewegen sich in eine sehr interessante Richtung. Darin zeigt sich der allgemeine Software-Trend in Richtung offene Lösungen und Kundenexzellenz. Die wachsende Zahl an Open Source- und SaaS-Angeboten sowie anderen neuen Geschäftsmodellen wird immer häufiger dazu führen, dass Kunden nicht mehr an eine bestimmte Software gebunden sind. Anhand der veränderten Beziehung wird auch deutlich, was Kunden von zukünftigen PLM- und Engineering-Softwarelösungen erwarten.

Welche Schlüsse ziehe ich daraus? Ich denke, dass das PLM-Chaos durch die Außenwelt verändert wird. Aktuelle Modelle werden nicht überleben. Die Bewegung in Richtung dynamischere Unternehmen, offene Lösungen und nicht mehr an bestimmte Software gebundene Kunden ist zu stark, als dass sie ignoriert werden könnte.

Besten Gruß, Oleg

(Hinweis: Dies ist eine Übersetzung  des Beitrags PLM Jungle or PLM State? aus Oleg Shilovitskys Blog Beyond PLM. Übersetzung und Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors. Ohne Gewähr für die Richtigkeit der Übersetzung.)