Standards in der Produktentwicklung: Fluch oder Segen?

Vorweg: es geht in diesem Beitrag nicht um Normteile oder andere Dinge, die Produkte standardisieren, sondern um solche, die festlegen, auf welche Art und Weise Produkte entwickelt werden. Das ist ein weites Feld, angefangen bei der Frage, wer den Standard vorgibt, etwa das eigene Unternehmen, der Kunde, Normungsgremien usw. bis hin zu Frage, was standardisiert wird wie z.B. Verfahrensabläufe, Benennungskataloge, oder Nummerungsysteme.

Die meisten von uns werden bestimmte Standards lieben und andere hassen. Die guten sind die, die mir persönlich erkennbar nützen, etwa weil sie mir helfen, mich leichter zurechtzufinden. Und die schlechten sind eben solche, die eher hinderlich für meine Aufgaben sind.

Gute Standards stellen einfach „Best Practices“ dar. Bei schlechten Standards erkennen die Anwender, dass man das anders und besser machen kann. Gute Standards fallen nicht vom Himmel und selbst jahre- oder jahrzehntelange Gremienarbeit ist keine Erfolgsgarantie, siehe den „Standard for the Exchange of Product model data“ (ISO 10303 STEP).

Jeder Entwickler macht eigentlich nicht anders als einen Standard für eine gewünschte Funktion zu schaffen. Als Entwickler von gewarteter „Standard“ PLM-Software haben wir die Aufgabe, Standards für die Produktentwicklung zu schaffen. Das ist anspruchsvoll, denn jede Produktentwicklung lebt davon, abseits ausgetretener Pfade Innovatives zu schaffen. PLM-Projekte und PLM-Software greifen unter Umständen tief in die Art und Weise ein, wie Unternehmen und  Mitarbeiter Produkte entwickeln. Im Unterschied zu bloßen Regelwerken, wie sie in vielen Unternehmen anzutreffen sind, ist die Standardisierung  gleich in die Werkzeuge eingebaut, die die Anwender nutzen. Je feinkörniger hier die Vorgaben sind, desto schwieriger wird es, die Bedürfnisse der Anwender praxisgerecht zu erfüllen.

Zusammenfassend meine Meinung:

  1. Gute Standards stellen Best Practices dar, deren Nutzen  für Anwender offensichtlich ist.
  2. Standards zu entwickeln ist schwierig. Der Schlüssel zum Erfolg liegt in der Fähigkeit, Standards beruhend auf Erfahrungen in nicht zu kurzen und nicht zu langen Abständen zu verbessern.
  3. Standards haben auch in der Produktentwicklung ihre Berechtigung. Sie helfen z.B., Compliance-Richtlinien zu beachten, über Abteileingen und Disziplinen hinweg besser zu kommunizieren und Zeit dadurch zu sparen, dass man das Erfahrungswissen anderen nutzen kann.
  4. Standardisierung in der Produktentwicklung erfordert besondere Umsicht: Schließlich sollen Kreativität und Flexibilität nicht unter die Räder kommen.

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PLM – Chaos oder Einheit?

Ich habe einen Blog von Stephen Porter von Zero Wait State gelesen, der folgende Überschrift trug: The PLM State: Why can’t we all just get along? (PLM – Warum gibt es kein friedliches Miteinander?). Meiner Meinung nach hat Stephen ein wichtiges Thema angesprochen, nämlich wie die verschiedenen Anbieter im Ökosystem der Engineering-Software nebeneinander bestehen können. Ich musste sofort an die PLM-Software-Landschaft und damit zusammenhängende Trends denken.

Trends im Bereich PLM und Unternehmenssoftware

Meiner Meinung nach gibt es derzeit im Bereich PLM und Engineering-Software nur einige wichtige Entwicklungen, die ich im Folgenden aufzählen möchte: der Notwendigkeit vertikaler Integration und schnellerer Veränderungen sowie der zunehmende Einfluss durch Software für Privatanwender. Die vertikale Integration spielt bei PLM-Lösungen eine immer wichtigere Rolle. Die Kunden möchten ihre Zeit nicht mit der Integration von Produkten verbringen, sondern verlangen nach Produkten, die bereits integriert und sofort einsatzbereit sind. Dadurch stellt sich die Frage, wie die Anbieter die Integrationsfähigkeit ihrer Produkte sicherstellen können. Der Bedarf nach immer schnelleren Veränderungen macht die wachsende Dynamik der Unternehmen deutlich. Engineering- und PLM-Software müssen ihr Tempo an der Geschäftswelt ausrichten. Veränderungsprozesse, die nur einmal im Jahr stattfinden, werden den Unternehmen schon bald nicht mehr genügen. Den Kosten für Veränderungen kommt eine noch größere Bedeutung zu. In dieser Hinsicht müssen die Zeitabstände hinterfragt werden, in denen Software-Releases bisher auf den Markt kommen, sowie die Geschwindigkeit von Updates. Die Software für Privatanwender wird entscheidenden Einfluss ausüben. Ich denke, dass wir all die neuen Anwendungen und Geräte schätzen, an die wir uns in den letzten 5-7 Jahren gewöhnt haben. Noch gibt es einen deutlichen Unterschied zwischen Anwendungen für das Privatleben und Anwendungen für das Geschäftsleben. Die Kunden verlangen jedoch eindeutig danach, als Unternehmenssoftware ähnliche Lösungen verwenden zu können wie als Privatanwender.

Die Einheitsgröße passt nicht allen

Dies ist ein weiterer wichtiger Aspekt, der erwähnt werden sollte. In den letzten 10-15 Jahren haben die Anbieter von PLM- und sonstiger Unternehmenssoftware versucht, Best Practices und andere Strategien im Zusammenhang mit der Vereinheitlichung von Softwareprodukten einzusetzen. Nach all diesen Jahren komme ich zu einem ganz einfachen Schluss: Die Einheitsgröße passt nicht allen. Das Verlangen nach Vielfalt wird immer deutlicher. Lösungen werden immer kundenspezifischer und berücksichtigen die Verschiedenartigkeit der Nutzer innerhalb eines Unternehmens. Dazu gehört auch, dass Kunden immer häufiger Software mehrerer Anbieter einsetzen.

Kundenfokus

Und zu guter Letzt: Die Beziehungen zwischen Kunden und Händlern bewegen sich in eine sehr interessante Richtung. Darin zeigt sich der allgemeine Software-Trend in Richtung offene Lösungen und Kundenexzellenz. Die wachsende Zahl an Open Source- und SaaS-Angeboten sowie anderen neuen Geschäftsmodellen wird immer häufiger dazu führen, dass Kunden nicht mehr an eine bestimmte Software gebunden sind. Anhand der veränderten Beziehung wird auch deutlich, was Kunden von zukünftigen PLM- und Engineering-Softwarelösungen erwarten.

Welche Schlüsse ziehe ich daraus? Ich denke, dass das PLM-Chaos durch die Außenwelt verändert wird. Aktuelle Modelle werden nicht überleben. Die Bewegung in Richtung dynamischere Unternehmen, offene Lösungen und nicht mehr an bestimmte Software gebundene Kunden ist zu stark, als dass sie ignoriert werden könnte.

Besten Gruß, Oleg

(Hinweis: Dies ist eine Übersetzung  des Beitrags PLM Jungle or PLM State? aus Oleg Shilovitskys Blog Beyond PLM. Übersetzung und Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors. Ohne Gewähr für die Richtigkeit der Übersetzung.)

Offene Systeme: Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?

Für alle produzierenden Unternehmen werden die Potenziale zur Verringerung der Kosten kleiner. Um marktfähig bleiben und wachsen zu können, sind Innovationen der wirksamste Hebel. Deswegen entwickeln Unternehmen Strategien, um ihre Fähigkeit zur Innovation zu verbessern. PLM (die Strategie! – nicht “das PLM-System” …) kann dabei eine Schlüsselrolle spielen.

Wie und womit findet Innovation eigentlich statt? Selbstverständlich in den Köpfen von Menschen – das ist eine Frage von Talent, Motivation und Ausbildung – insbesondere aber dadurch, dass Menschen zusammen arbeiten: weltweit und unternehmensübergreifend, aber zuerst einmal innerhalb des Unternehmens. Erst zuletzt spielen die dabei eingesetzten Werkzeuge und Systeme eine Rolle. Eine Binsenweisheit, doch es scheint immer wieder notwendig, die Dinge vom Kopf auf die Füße zu stellen: Vielzitiert sind die »100% der Automobilhersteller«, die angeben, ihre PLM-Strategie sei durch die Software-Anbieter bestimmt (Abramovici, M.; Schulte, S.: PLM – Wege aus der Strategiekrise in der Automobilindustrie, In: eDM-Report – Data-Management-Magazin 1/2005, Dressler Verlag e.K., Heidelberg 2005). Man kann nur hoffen, dass sich dieses Bild seit 2005 gewandelt hat.

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Einflussgrößen auf die unternehmensweite PLM-Strategie
Quelle: “Benefits of PLM” (ITM/IBM)

Prozesse und Strategien werden durch proprietäre Systemwelten, zum Beispiel in Form von CAD-Datenformaten, dominiert, die die eigentlichen Ziele der Anwender in den Hintergrund drängen. Hier haben manche Anbieter, auch in kleineren Zusammenhängen als der Automobilindustrie, noch einiges an Offenheit zu erlernen. Bis dahin liegt der schwarze Peter bei den Anwendern und man hilft sich mit einer eigentlichen nicht gewünschten Standardisierung der Werkzeugen, oder muss mit unzulänglichen Konvertierungen und Qualitätsverlusten leben. Auch die Herausforderungen der interdisziplinären Zusammenarbeit bestehen weiter: Während innerhalb von Mechanik, Elektrik, Elektronik und Software sowie in den jeweiligen Fachbereichen der Unternehmen große Produktivitätsfortschritte durch die Werkzeugunterstützung erzielt werden, gibt es nach wie vor erhebliche Schwierigkeiten, den Informationsfluss in einem gemeinsamen Produktentstehungsprozess zu organisieren.

Die Antwort auf diese Fragen kann nicht lauten, dann eben eine komplette Systemwelt aus einer Hand zu kaufen: zwar besteht die Hoffnung, dass alles technische zusammenpasst, aber natürlich passen nicht zwangsläufig alle Komponenten der jeweiligen Systemwelt zu den Anforderungen, die aus den Prozessen des jeweiligen Unternehmens resultieren. Gefragt sind offene Standards, Systeme und Geschäftsmodelle, die die Umsetzung einer Best-In-Class-PLM-Strategie ermöglichen, die zum Unternehmen passt.

Dabei kann ein werkzeugneutrales Produktdaten-Management-System der zentrale Baustein einer solchen Best-In-Class-PLM-Strategie sein: das Management der Produktdaten, insbesondere die Organisation der Prozesse zur Absicherung der Gültigkeit, gehören zu den unverzichtbaren Kernaufgaben. Als das übergreifende Modellierungssystem für Produktdaten, beginnend bei der Initiierung von Entwicklungsvorhaben, der Aufnahme von Anforderungen bis zur Organisation der Produktstruktur und der Einordnung der entstehenden CAx-Daten, ist PDM das zentrale Rückgrat der Produktentwicklung und verringert die Abhängigkeiten von einzelnen Werkzeugen. Interdisziplinäre Zusammenarbeit erfordert eine neutrale Informationsplattform, die Prozesse und Daten aus MCAD, ECAD, Simulation etc. harmonisiert.

Unternehmen, deren Erfolgsstrategie Wachstum und Innovation beinhaltet, müssen heute und in Zukunft den Blick verstärkt auf ihr Produktportfolio richten, ihre Methoden und Prozesse für die Produktentwicklung weiterentwickeln, und mit Hilfe der für sie richtigen Mischung aus PDM-Lösung und Aufgaben-angemessenen Werkzeugen eine eigene PLM-Strategie finden und implementieren.