Risiken und Sicherheit – (k)ein Krisenthema?

Deutschland und fast alle anderen Länder stecken in der Krise! Binnen kürzester Zeit mussten wir erkennen, dass eine infektiöse organische Struktur mit einer Größe von wenigen Nanometern weltweit gigantische Schäden anrichtet und unser Leben gehörig auf den Kopf stellt. Wir realisieren plötzlich, wie verwundbar unser Dasein ist und wie unser eigenes Sicherheitsbedürfnis immer dann besonders deutlich in den Vordergrund tritt, wenn alles um einen herum nicht mehr selbstverständlich ist.

Die Geschichte lehrt uns, dass es egal ist, wie eine Katastrophe heißt – COVID-19, 9/11, Fukushima oder Tsunami, es gilt in jedem Fall Sicherheit und Risiken neu zu überdenken und zu bewerten. Denn ein zu viel an Sicherheit macht jedes System träge und schwerfällig. Im Gegensatz dazu bergen jedoch zu viele Risiken ein hohes Maß an Gefahren – nicht nur für den Einzelnen, sondern auch für die Gesellschaft insgesamt.

Die Betrachtung und Bewertung von Produktrisiken ist in der PLM-Welt ein altbekanntes Thema. Häufig wird Risikomanagement als lästiges Beiwerk empfunden, das im Wesentlichen dafür sorgt, viel Papier zu füllen. Der konkrete Mehrwert ist indes nicht immer unmittelbar ersichtlich. Hier hilft der Perspektivwechsel vom Produzenten zum Konsumenten: Unzählige Prüf- und Gütesiegel in jedem Bereich des täglichen Lebens stellen die Unbedenklichkeit im Umgang mit Produkten sicher, so zum Beispiel der TÜV für das Auto, das CE-Kennzeichen auf dem Notebook oder das GS-Siegel auf dem Bürostuhl. Keiner möchte darauf verzichten, dass das von ihm genutzte Produkt hinreichend sicher ist und er es ohne größere Risiken nutzen kann.

Für meine Beratungstätigkeit haben sich drei grundlegende Erkenntnisse herauskristallisiert:

  1. Das Undenkbare denken
    Wissenschaft und Technik geben uns immer mehr das Gefühl, dass uns nichts passieren kann. Diese Sicherheit kann aber trügerisch sein. Manchmal fühlen wir uns nur deswegen sicher, weil uns Risiken (noch) nicht bekannt sind oder wir sie falsch einschätzen.
  2. Man kann nicht so doof denken, wie es kommen kann
    Es wird nie möglich sein, jedes Risiko zu antizipieren und für alle Eventualitäten gerüstet oder gar versichert zu sein. Dennoch schult das Risikomanagement den Blick für mögliche Gefahren und effektive Gegenmaßnahmen. Sich in Nicht-Krisenzeiten regelmäßig Gedanken über Risiken zu machen und Parameter für Sicherheit auszuloten, trainiert Denkstrukturen und Handlungsmuster. Diese bilden in Konsequenz eine solide Basis für ein fundiertes Krisenmanagement.
  3. Not macht erfinderisch
    Unbekannte Situationen lähmen zwar zunächst das eigene Denken und Handeln, regen aber in Folge besonders die Kreativität an. Hier liegt enormes Potenzial für innovative und effiziente Ideen, wie mit vorhandenen Bordmitteln Großes bewirkt werden kann. So liegt in jeder Krise auch eine Chance auf Veränderung und Verbesserung.

Corona sorgt dafür, dass die goldene Mitte zwischen Sicherheit und Risiko in allen Lebensbereichen unter den gegebenen Parametern wieder einmal neu auszuloten ist. Vielleicht gelingt es durch die veränderten Sichtweisen sogar, auch das Risikomanagement im PLM positiver zu betrachten und der eigenen Kreativität sowohl bei der Einschätzung von Risiken wie auch bei der Entwicklung von sicheren Produkten freien Lauf zu lassen?

KI – Wo wir im Hype Cycle stehen und wie es weiter geht

Während sich der Anstieg der Forschungsartikel und Konferenzen im Bereich KI laut artificial intelligence index weiter fortsetzt, lässt sich in den Medien langsam eine gewisse Ermüdung angesichts des Hypes erkennen. Zeit also, Bilanz zu ziehen: Was ist erreicht worden? Was ist praktisch möglich? Und wie geht es weiter?

Was ist erreicht worden?

In den Jahren 2018 und 2019 wurden die vorher entwickelten Methoden zur Anwendung von neuronalen Netzwerken (so definiere ich hier KI) weiter verfeinert und perfektioniert. Standen zunächst (2012-2016, Imagenet-Wettbewerb) Verfahren zur Bildklassifizierung und -verarbeitung und danach Audio-Verfahren (2015-2017, Start von Alexa und anderen Sprachassistenten) im Mittelpunkt, wurden 2019 große Fortschritte in der Textverarbeitung und -generierung gemacht (NLP = natural language processing). Insgesamt sind die zur Verfügung stehenden Techniken mit hohem Aufwand vor allem der großen Player (Google, Facebook, OpenAI, Microsoft) weiter verbessert und kombiniert worden.

Was ist praktisch möglich?

Die Anwendung von KI ist im Wesentlichen immer noch begrenzt auf vier Anwendungsbereiche:

  • Bilder: Bilderkennung, -segmentierung
  • Audio: Umwandlung von Sprache in Text und umgekehrt
  • NLP: Textverarbeitung und -generierung
  • Labeled Data: Vorhersage des Labels (z.B. Preis) aus einer Menge von Featuren

Diese Liste ist überraschend kurz, gemessen an der Aufmerksamkeit, die KI in den Medien erhält. Die beeindruckendsten Erfolge von KI ergeben sich allerdings aus einer Kombination der Techniken wie z.B. Sprachassistenten durch Kombination von Audio, NLP und Labeled Data zur Umwandlung der Eingabe in Text, Erkennung der Textintention mit NLP und Vorhersage des Sprecherwunsches durch Anwendung von riesigen Mengen von Labeled Data, also vorherigen Auswertungen ähnlicher Äußerungen.

Entscheidend für die Entwicklung gerade dieser KI-Anwendungsfelder waren:

  1. Das Vorliegen großer Mengen frei verfügbarer Benchmark-Datensätze (Datensätze für Machine Learning), an denen Algorithmen entwickelt und verglichen wurden
  2. Eine große Forschergemeinde, die sich gemeinsam auf die Benchmark-Datensätze verständigt hat, und ihre Algorithmen in öffentlichen Wettbewerben vergleicht (GLUE, Benchmarks AI, Machine Translation u.a.)
  3. Eine freie Verfügbarkeit der entwickelten Modelle, die als Ausgangspunkt für den praktischen Einsatz dienen (beispielhaft Tensorflow Hub)

An Hand dieser Voraussetzungen kann man schnell einschätzen, wie realistisch manche Marketing-Fantasien sind. Z.B. gibt es für das oft plakativ vorgebrachte Einsatzgebiet Predictive Maintenance weder Benchmarkdatensätze noch eine Forschergemeinde und entsprechend auch keine Modelle.

Wie geht es weiter?

Es ist zum einen abzusehen, dass die weitere Entwicklung im KI-Bereich sicherlich zunächst in den vorgenannten Anwendungsfeldern weitergeht und sich an den Randbereichen weiterentwickelt. Zum anderen zeichnen sich Bereiche ab, die ähnlich wie die vorgenannten Einsatzgebiete unter Aufwendung großer öffentlicher und privater Mittel (z.B. werden OpenAI und Deepmind mit Milliardensummen von Elon Musk bzw. Google bezuschusst) vorangetrieben werden. Exemplarisch für große Investitionen in diesem Bereich steht sicher das autonome Fahren aber auch der Bereich IoT. Insgesamt sehe ich folgende Bereiche, die sich 2020-2022 stark weiterentwickeln:

  • Die Verbindung von Reinforcement Learning mit KI-Gebieten zum schnelleren Anlernen von Modellen
  • Eine weitere Verstärkung im Bereich autonomes Fahren, die sich aus der Anwendung und Kombination von KI und Reinforcement Learning ergibt
  • Durchbrüche in der Verallgemeinerung der Erkenntnisse aus der Bildverarbeitung auf 3D (Geometric Deep Learning und Graph Networks)
  • Eine Verschmelzung von traditionellen Methoden aus der Statistik mit neuronalen Netzwerken
  • IoT-Zeitreihen (s.u.)

Einen großen Wandel sehe ich durch das Aufkommen von IoT und der damit einhergehenden Sensorik und Daten auf uns zukommen. IoT-Daten sind ihrer Natur nach Zeitreihen, die zur Auswertung gefiltert, kombiniert, geglättet und angereichert werden müssen. Zu diesem Zweck ist bisher relativ wenig Spezifisches passiert. Es könnte sein, das ab 2020 – 2022 dieses Thema einige überraschende Wendungen und Durchbrüche für uns bereithält. Insbesondere die deutsche Industrie, die von den ersten Entwicklungen im Bereich KI eher wenig profitiert hat, dürfte hier ein vielversprechendes Einsatzgebiet finden.

#workfromhome – Wie arbeitet unsere Software-Entwicklung jetzt zusammen?

Bei CONTACT glauben wir daran, dass die persönliche und informelle Interaktion von Menschen ein wichtiger Erfolgsfaktor in komplexen technischen Vorhaben ist – und dazu zählt ohne Zweifel auch die Entwicklung unserer eigenen Software-Produkte. Wir legen deshalb Wert darauf, unseren Teams die Möglichkeit zu geben, sich mit ihren Kolleginnen und Kollegen in ihren Büros, unseren Meeting-Räumen oder an Orten wie dem „Red Sofa“ zu treffen. All das hatte durch Corona ein jähes und hoffentlich vorläufiges Ende.

Homeoffice für alle
Nach ersten Vorbereitungen an den Tagen zuvor hat CONTACT am Wochenende 14.-15. März entschieden, alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von zu Hause arbeiten zu lassen. „Work from Home“ trifft bei einem Software-Hersteller im Gegensatz zu vielen unserer Kunden auf besonders günstige Voraussetzungen: Es gibt keine Produktion, bei der Material bewegt werden muss, und Software als „virtuelles“ Produkt kann im Prinzip an jedem Ort der Welt bearbeitet werden.

Als IT-Unternehmen verfügen wir natürlich über eine geeignete und leistungsfähige technische Infrastruktur, und bis auf einige notwendige Hardware-Transporte von Workstations, Bildschirmen und ähnlichem waren die Software-Entwicklung und auch die anderen Bereiche bei CONTACT in weniger als einem Tag einsatzbereit.

Neben unserem Headquarter in Bremen betreiben wir Entwicklungsstandorte in München, Köln, Paderborn sowie Stuttgart und arbeiten häufig mit externen Partnern zusammen. Deshalb sind Kommunikationsmittel wie E-Mail, Telefonieren über Voice-over-IP, Microsoft Teams und so weiter für unsere technik-affinen Software-Entwickler sowieso alltäglich.

Was unsere Entwicklung jedoch wirklich zusammenhält, sind die gemeinsamen Prozesse und Vorgehensweisen, und die dazugehörigen Systeme. Die wichtigste Unternehmensplattform ist unsere Inhouse-Installation von CONTACT Elements, kurz CEDM genannt. Alles was wir tun, läuft dort zusammen, und alle anderen IT-Systeme sind mit CONTACT Elements verbunden.

Über den Activity Stream von CONTACT Elements können wir Informationen und Dokumente gezielt und schnell teilen.

Produkte
Jeder Software-Baustein von CONTACT Elements wird in unserer Elements Inhouse-Installation als Produkt geführt. Die Quelltexte unserer Fachanwendungen verwalten wir in Git- oder Subversion-Repositories, die mit dem Produktobjekt verbunden sind. Aus dem Feld auflaufende Fehler oder Änderungswünsche für die Software-Produkte werden als „Change Requests“ in Elements verwaltet. Wenn diese zu Code-Änderungen führen, erfolgt eine direkte Verlinkung zwischen einem Change-Request und einer Quelltextänderung (einem „Commit“) in Git oder Subversion. Außerdem führen wir in CONTACT Elements natürlich eine Liste der Produkt-Releases und dem jeweiligen Reifegrad.

Unsere Entwicklungsprozesse sind hochgradig automatisiert und naturgemäß vollständig digital. So betreiben wir viele weitere Systeme, die Software automatisch bauen, testen und vermessen. Alle diese Systeme sind direkt oder mittelbar mit CONTACT Elements verbunden.

Jede Stunde, die ein Entwickler mit der Pflege oder Weiterentwicklung einer Software-Komponente verbringt, wird mit der Zeiterfassung in CONTACT Elements verbucht. So haben wir jederzeit einen Überblick darüber, in welchem Umfang wir in Software-Bausteine investieren und was die Wartung kostet.

Projekte
Unsere Entwicklungsmethodik verbindet mehrere agile Methoden mit für unser Unternehmen spezifischen Erweiterungen. Sie heißt „Revolution“ und ist durch Vorlagen für Projekte, die durch „Tayloring“ angepasst werden können, in CONTACT Elements hinterlegt. In „Revolution“ gibt es darüber hinaus eine Reihe von Liefergegenständen (Deliverables), die in CONTACT Elements als Dokumente aus Vorlagen ausgeprägt werden. Anforderungen legen wir als Spezifikationen im Requirements-Management von CONTACT Elements an. Die Projektplanung erfolgt in Iterationen, die mit Task Boards geplant und bearbeitet werden.

Task Board zu einem aktuellen Entwicklungsprojekt bei CONTACT.

Im Ergebnis sind damit alle Informationen, die für unsere Entwicklung bedeutsam sind, in einem System auffindbar und miteinander verbunden. Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind mit den Begrifflichkeiten bestens vertraut, jederzeit in der Lage auf die relevanten Informationen zuzugreifen, und werden von den Systemen zu den richtigen nächsten Aktivitäten geführt.

Fazit
In der gegenwärtigen Krise schafft diese System- und Prozesslandschaft Vertrauen und Handlungsfähigkeit. Sie hat es uns ermöglicht, praktisch von einem Augenblick auf den anderen auf Remote-Arbeit umzustellen, ohne dass es Verwerfungen gibt. Hinzu kommt, dass es dank der Veränderungsbereitschaft unserer Belegschaft und der ohnehin vorhandenen Neigung zu technischen Kommunikationsmitteln gelungen ist, die persönliche Interaktion und Meetings mittels Video-Chats und Web-Konferenzen ins Internet zu verlagern.