Einheitliche UX bei verteilter Produktentwicklung

Die Entwicklung von Enterprise Software läuft größtenteils verteilt ab. Lösungen bauen auf einer Plattform auf, werden aber getrennt davon entwickelt: Die Zusammenstellung von Modulen und deren Anpassung an Kundenanforderungen erfolgt nachgelagert, an anderen Orten. Das bedeutet verschiedene Teams, verschiedene Abteilungen, verschiedene Firmen bauen an etwas, das für den Kunden erst mal ein Produkt ist.

Anwender erwarten Software aus einem „Guss“, die Bedienmuster wiederverwendet und deren User Experience durchgängig ist. Eine große Herausforderung, wenn unterschiedliche, teils weltweit verteilte Bereiche daran mitwirken und jeder an der Produktentwicklung Beteiligte eine eigene Perspektive mitbringt. Wie in meinem vorangegangenen Beitrag beschrieben, ist eine grundsätzliche Sensibilisierung für das Thema UX im gesamten Unternehmen bereits eine gute Voraussetzung. Wie können wir darauf aufbauen und noch gezielter im Sinne durchgängiger UX unterstützen?

UX-Influencing ist der Schlüssel

Craig Villamor’s Präsentation „Resilient Enterprise Design hat meine Sicht auf diese Herausforderung stark geprägt. Craig ist Design Direktor bei Google und war davor für das Design von  Salesforces Software verantwortlich. In seinem Beitrag zur Enterprise UX Konferenz 2017 zeigt er anhand der vier Säulen Design-Prinzipien, Platform Mindset, Design-Systeme und Influencing in der Produktentwicklung, wie erfolgreiches UX-Design von robusten Unternehmensanwendungen gelingen kann.

Ich möchte mich hier vor allem auf die letzte Säule, das Influencing, konzentrieren. Gemeint ist hier das Einwirken auf alle an der Produktentstehung beteiligten Akteure – bei CONTACT nennen wir sie „Creators“. Diese Unterstützung ist auch ein zentraler Aspekt unserer UX-Strategie. Doch wie sieht das konkret aus?

Es einfach machen, das Richtige zu tun

Nicht immer ist es gut, den Gestaltungsrahmen möglichst groß zu halten: Zu viele Gestaltungsoptionen können zu Wildwuchs und unnötigen Inkonsistenzen führen. So geben etwa feste Layouts für Seiten oder Steuerungselemente wiedererkennbare Bedienmuster vor. Die überschaubaren Designoptionen sollten dann möglichst kontextnah erläutert werden, in Strukturen mit denen die Creators unmittelbar arbeiten – etwa direkt in der Konfigurationsoberfläche. Solche Hilfestellungen können sprechende Titel und kurze Beschreibungen für vorgegebene Layoutbereiche sein, beispielsweise semantische Abschnitte in einem Kontextmenü. So fällen Creators auch ohne Umwege über die Design-Dokumentation direkt die richtigen Entscheidungen.

Mit den richtigen Ressourcen unterstützen

Gute Design-Dokumentation ist auch relevant: Designrichtlinien sind der Rahmen für Gestaltungsentscheidungen in der Anwendungsentwicklung und -konfiguration. Wichtig dabei ist, dass sie nicht textbuchmäßig aufgezogen, sondern nahe an den Problemen der Creators sind. Bestenfalls enthält die Dokumentation jeder UI-Komponente Hinweise, für welche Anwendungsfälle sie geeignet ist – und für welche nicht. Beispiele zeigen, wie der UI-Baustein richtig eingesetzt wird, etwa im Zusammenspiel mit anderen UI-Elementen.

Mit gutem Beispiel vorangehen

Überhaupt lieben Creators Beispiele: Was kann man mit diesem Baukasten machen? Wie sehen mögliche Lösungen aus? CONTACTs Produkte bieten eine stetig wachsende Anzahl an Fachanwendungen (Task Manager, xBom Manager, Terminplaner, Variantenmanagement etc.), die auf dem InSync Design System aufbauen und den Creators Vorlagen oder Inspiration für neue Lösungen bieten.

Wenn wir also verteilt agierenden Produktakteuren Hilfestellung für Designentscheidungen direkt an die Hand geben, mit guten Ressourcen zur Anwendungsgestaltung unterstützen und Leuchtturm-Lösungen zur Orientierung schaffen, können sie leichter überzeugende Produkte mit einem durchgängigen Anwendererlebnis schaffen.

Kompliziert vs. Komplex: Der Faktor Mensch im Projektmanagement

Klassisches, agiles oder hybrides Projektmanagement – wofür entscheide ich mich in einem Projekt?  Eine Entscheidungshilfe kann zum Beispiel die Stacey-Matrix (nach dem Organisationstheoretiker Ralph D. Stacey) liefern. Anhand eines Kriterienkatalogs wird beurteilt, wie gut ein Projektvorhaben bereits verstanden ist – und zwar hinsichtlich der Anforderungen einerseits und des Lösungsansatzes andererseits. Sind die Anforderungen klar oder bewegt man sich etwa in einem neuen, noch unbekannten Markt? Wendet man eine gut beherrschte Technologie an oder eine neue, mit der man keinerlei Erfahrung hat?

Einfach, kompliziert, chaotisch?

Entlang dieser beiden Achsen unterteilt die Stacey-Matrix ein Projekt in die Kategorien einfach, kompliziert, komplex und chaotisch. Nach dem sogenannten Cynefin-Framework sind einfache Systeme so klar geordnet, dass man sie unmittelbar versteht. Komplizierte Systeme sind dagegen schwierig zu verstehen. Mit Expertenwissen gelingt es aber, deren Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge vorab zu verstehen und vorauszusagen.

Komplexe Systeme sind zwar ebenfalls von eindeutigen Kausalitäten bestimmt, weisen aber so viele Wechselwirkungen auf, dass auch Experten sie nicht mehr im Vorfeld ausreichend analysieren können. Die Zusammenhänge können erst im Nachhinein erkannt und verstanden werden. Als chaotisch bezeichnet man ein System, wenn keine eindeutigen Wirkungsbezüge mehr auftreten und ein und dieselbe Ursache völlig verschiedene Wirkungen erzeugen kann.

Ein kleines Beispiel verdeutlicht dies:
Für einen Meteorologen mag z.B. eine Wettervorhersage für die nächste Stunde einfach sein, eine für den nächsten Tag kompliziert. Eine Prognose für die nächste Woche dürfte dagegen schon ein komplexes Problem sein, während die Vorhersage für einen Tag des nächsten Jahres sicher ein chaotisches ist.

Solange Projektvorhaben einfach oder kompliziert sind, lassen sie sich mit einem wasserfallartigen, fest vordefinierten Ablauf je nach Expertise gut beherrschen. Je weiter sie jedoch in Richtung Komplexität tendieren, desto mehr empfiehlt sich eine agile, flexible Vorgehensweise mit vielen Rückkopplungsschleifen und der Möglichkeit zu Trial and Error. Ein wie ich finde einleuchtender Ansatz, der übrigens nicht nur auf ganze Projekte, sondern auch selektiv auf einzelne Bereiche in einem Projekt angewendet werden kann.

Die soziale Dimension

Aber vielleicht reicht dieser Ansatz noch nicht ganz aus. Wir haben von Anforderungen und von Lösungsansätzen gesprochen, aber noch nicht von den Menschen, die im Projekt zusammenarbeiten. Ist nicht auch deren organisatorisches und soziales Miteinander einfach, kompliziert oder komplex bis chaotisch? Und hat nicht dieser Faktor genauso große Auswirkungen auf den Projekterfolg? Gerade hier muss man meiner Meinung auch von Nichtvorhersagbarkeit, also Komplexität sprechen

Ein gut eingespieltes, seit Jahren zusammenarbeitendes Team ist sicherlich als einfach einzustufen. Dass es aber in einem neu zusammengestellten Team oder in einer neuen Zusammenarbeit verschiedener Abteilungen mit unterschiedlichen Interessen zu kaum vorhersehbaren Dynamiken kommen kann, wird gerne vergessen. Hier können agile Methoden mit ihrem Fokus auf ergebnisorientierte Kommunikation der Schlüssel zur Beherrschung des Projekts sein.

Vielleicht sollte man den beiden Achsen „Anforderungen“ und „Lösungsansatz“ also noch eine dritte Dimension „Soziales Miteinander“ hinzufügen, um das Entscheidungsmodell zu vervollständigen und die Basis für einen Projekterfolg zu legen.

Kontext ist King – virtuelle Zusammenarbeit in der Produktentwicklung

Die vergangenen zwei Monate haben dem Thema virtuelle Zusammenarbeit einen enormen Schub verliehen. Die Corona Krise hat flächendeckend jeden dazu gezwungen, sich mit dieser Thematik auseinanderzusetzten. Und das Fazit ist durchgängig positiv!

In den ersten Wochen galt es, zunächst einmal die Möglichkeiten für eine virtuelle Zusammenarbeit zu schaffen. Jetzt geht es darum, die Potenziale dieser Möglichkeiten nach der Rückkehr in die „Normalität“ weiter zu nutzen. Mehr noch: Viele Unternehmen nehmen die gesammelten Erfahrungen zum Anlass, ihre Aufbau- und Ablauforganisation neu zu überdenken und Geschäftsprozesse weiter zu digitalisieren.

Sonderfall Produktentwicklung

Während gängige Office-Lösungen in Kombination mit Videokonferenzen in Bereichen wie Administration, Marketing oder Vertrieb einfach zu nutzen sind, stoßen sie in der Produktentwicklung oft an ihre Grenzen. Ein Grund dafür ist, unter anderem, die hohe Interdisziplinarität in diesem Bereich. Viele verschiedene Fachteams müssen zeitgleich und in mehreren Projekten zusammenarbeiten. Hinzu kommt die hohe Komplexität der Arbeitsgegenstände, die oftmals als Strukturen ausgeprägt sind und vielfältige Relationen untereinander haben. Um unter diesen Rahmenbedingungen produktiv virtuell zusammenzuarbeiten, reichen die Möglichkeiten der üblichen IT-Tools nicht aus.

Neue Anforderungen an IT-Werkzeuge

Abhilfe schaffen hier intelligente Plattformlösungen für kollaboratives Product Lifecycle Management (PLM), die es ermöglichen kontextbezogen interdisziplinär zu arbeiten. Kontextbezogen heißt, dass alle Arbeitsgegenstände miteinander verlinkt und zu jeder Zeit im Arbeitsprozess und aus jedem Zusammenhang aufrufbar sind. Analysten wie Gartner sprechen hier von Content Collaboration Tools. So kann von einem Arbeitsgegenstand ohne Suchen und Nachfragen zu allen benachbarten Arbeitsgegenständen navigiert werden. Das garantiert gerade bei verteilten Teams ein effizientes und geltungssicheres Zusammenarbeiten.

Intelligente Plattformlösungen bieten noch einen weiteren Vorteil in der Zusammenarbeit: Eine gemeinsame Umgebung in der sich alle Projektbeteiligten informieren und Änderungen direkt einsehen können. Dabei unterstützen teamübergreifende Chat-Funktionen, sogenannte Activity Streams, den konsistenten Austausch über den aktuellen Stand der Dinge. Das garantiert gerade in der virtuellen Zusammenarbeit einen kontinuierlichen Informationsfluss, der in den meisten Fällen den fehlenden „Flurfunk“ oder das Treffen an der Kaffeemaschine mehr als kompensiert. Auch hierfür hat Gartner einen Begriff parat, den der Workstream Collaboration.

Ein weiterer wesentlicher Bestandteil intelligenter Plattformlösungen ist die Verwendung von integrierten Taskboards, mit denen Entwicklerteams eigenverantwortlich ihre Aufgaben organisieren. In der Vergangenheit nutzte man oft Aufgabenlisten mit mehreren hundert Einträgen. Heute ermöglichen Taskboards nur wichtige Meilensteine oder Quality Gates vorzugeben, die einzelnen Aufgaben innerhalb der Meilensteine jedoch den Teams eigenverantwortlich zu überlassen. Damit kann ein interdisziplinäres, verteiltes Team in virtuellen Sessions z.B. per ZOOM, eine gemeinsame Wochenplanung am Bildschirm durchführen.

Der wesentliche Vorteil integrierter Taskboards liegt in der direkten Verlinkung von Aufgabenkarten auf den Boards mit den Arbeitsgegenständen. Das vermeidet neben der zeitraubenden Suche nach den passenden Arbeitsobjekten, auch Fehler- und Versionsrisiken. Diese Mehraufwände und Risiken treten in der Regel bei zugekauften Einzellösungen auf.

Fazit:

Die Corona Krise hat den Boden bereitet, um ab jetzt den Umfang der virtuellen Zusammenarbeit – auch in der Produktentwicklung – kontinuierlich auszubauen. Die Produktentwicklung stellt für eine effiziente virtuelle Zusammenarbeit spezielle Anforderungen an IT-Tools. Insbesondere das Arbeiten im Kontext ist hierbei ein entscheidender Produktivitätsfaktor. Ausgewählte intelligente Plattformlösungen für kollaboratives PLM erfüllen diese Anforderungen schon heute.