Das „L“ in der undankbaren Mitte

LDieses „L“ in „PLM“ ist – mit Verlaub – schon ein ziemlich armer Tropf. Dieser Platz in der Mitte, scheint er auch oberflächlich sehr zentral und attraktiv, ist nämlich der Platz zwischen den Stühlen, nichts Halbes und nichts Ganzes. Nachdem ich mich dem „P“ ja schon gewidmet habe, möchte ich diesem vernachlässigten Kollegen ein paar Zeilen spendieren.

Das „L“ in „PLM“ steht für „Lifecycle“. Aber mal ganz ehrlich: In welchen PLM-Konzept wird das schon ernst genommen? PLM in der Praxis heißt doch: Entwicklungsprozesse abdecken und beim Auslauf der Produkte noch schnell den Reifegrad auf „Schrott“ zu setzen. Den Rest soll die ERP- (PPS-, MES-, …) Fraktion erledigen: Produktion durchsteuern, Bestände, Ersatzteile usw.

Leider aber ist die Welt nicht so einfach in Schwarz und Weiß zu teilen. Da ist – wie gesagt – noch der Platz zwischen den Stühlen: Schonmal was von Musterbau gehört? Prototypen? Vorserie? Spannende Themen, wirklich. Teuer und aufwendig noch dazu. Zentrale Bestandteile des „Product Lifecycles“, nur dummerweise vollkommen „out of scope“ sowohl der klassischen PLM- als auch ERP-Konzepte.

Warum eigentlich?

Wir haben auf der einen Seite die Entwicklungsabläufe, die sich auf Produktstrukturen, Baugruppen, Teile fokussieren. Gesteuert wird z.B. über Reifegrade, Meilensteine und Materialkosten. Auf der anderen Seite haben wir die Serienwelt. Hier herrschen Stücklisten und logistische Umfänge, gesteuert wird über Mengen, Einsatztermine, Qualität…

Vorserienthemen (ich nutze das Wort Vorserie jetzt einfach einmal pauschal für alles, was vor SOP passiert) haben von allem Etwas. Wir befinden uns in PEP-Phasen, in denen die Baugruppen und Teile noch ganz schön in Bewegung sind, bis hin zu neuen Anforderungen und Rahmenbedingungen für das Produkt. Andererseits muß man diese Teile irgendwann einmal in die Hand nehmen können, um Muster und Prototypen bauen zu können. Wir reden also über Mengen und Qualitätsausprägungen für „moving targets“. Ein echter Leckerbissen für Disponenten mit gutem Nervenkostüm.

Die Datenbasis dieser Ereignisse findet sich in der Regel in vielen verstreuten – na? – klar: Excel Dateien wieder. Denn: In PLM-Systemen bekommt man in der Regel keine Mengenangaben unter, in ERP-Systemen in der Regel keine Entwicklungsstände. Beides braucht man aber für eine saubere Steuerung (nur als ein Beispiel).

Sicher gibt es Zwischenlösungen. Beispielsweise Sonder-Teilenummern, mit denen im ERP Bestellungen für Teile ausgelöst werden können, die eigentlich noch gar nicht „frei“ sind. Aber die Realität der Muster- und Prototypenteile ist eben, daß der Lagerort manchmal auch der Schreibtisch vom verantwortlichen Konstrukteur ist und der Wareneingang über den Aktenkoffer des Key Accounters vom Lieferanten läuft. Das schreit nicht gerade nach Systemen, die auf hohe Prozesseffizienz ausgelegt sind, hier sind andere Tugenden gefragt.

Wohlgemerkt: Ich möchte weder ERP-, noch die PLM- Systeme ersetzen. Von beiden wissen wir, daß wir sie brauchen, so wie sie sind (oder mindestens so ähnlich). Ich denke, für den spannenden Platz in der wilden Mitte müssen wir uns einfach noch ein passendes „Ding“ ausdenken.

Ob sich das lohnt?

Bereits 2002 hat die BMBF-Studie „Fast Ramp-Up“ (ich zitiere den Abschlussbericht) abgeschätzt, daß in der Automobilindustrie mit einem effizienten Anlauf 5% mehr Rendite für ein Modell erzielt werden kann. Und ein OEM-Anlauf zieht dabei ca. 800 Einzelanläufe bei Komponentenwerken und Zulieferern nach sich, bei denen sicherlich auch Potenziale herumliegen.

Oder: Im Bereich der Konsumgüter mag die Tiefe der Lieferantennetzwerke nicht ganz so ausgeprägt sein, wie bei den Kollegen von der Auto-Fraktion, aber dafür haben wir hier eine viel schnellere Taktung der Anläufe – was will der Markt schließlich noch mit einem 6 Monate altem Handy-Modell?

Dem geneigten Leser wird sicherlich auch noch das eine oder andere Beispiel einfallen. Fakt ist, daß bei aller Virtualisierung nach wie vor teure „handgeschnitzte“ Muster und Prototypen benötigt werden, in die viel Arbeit und Geld gesteckt wird. Jeder Fehler dabei wird gleich richtig teuer und jeder Zeitverzug fällt in eine Phase des PEP-Projektes, in der eh schon sämtliche Puffer dahin sind.

Für mich klingt das so, als ob ein paar Gedanken zum Thema Sinn machen.

Ich wünsche einen erfolgreichen Anlauf 2012!

Wie arbeiten Ingenieure?

Gestern las ich im Magazin Impulse einen Beitrag von Nicola Leibinger-Kammüller, Vorsitzende der Geschäftsführung von Trumpf, einem der Leuchttürme des deutschen Maschinenbaus. Natürlich betont sie, wie wichtig die Innovationsfähigkeit ist, um im weltweiten Wettbewerb  zu bestehen und welche entscheidende Rolle die Mitarbeiter dabei spielen.

Von der Qualifikation und Motivation der Mitarbeiter einmal abgesehen, hilft ein optimales Arbeitsumfeld, um die richtigen Produkte zum richtigen Preis und Zeitpunkt liefern zu können. Hier stellt sich die Frage, was die Unternehmen selbst, die Hochschulen, die Berater und die IT Branche für ein optimales Arbeitsumfeld tun? Wissen wir eigentlich genauer, wie das Arbeitsumfeld der Ingenieure aussieht, um daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen? Dazu gibt es ernüchternd wenig verlässliche Daten und Zahlen.

Bei allem Hype um die jeweils neuesten Technologietrends bedeutet das: Wir rudern einigermaßen blind durch die Gegend, und dem Management in vielen Unternehmen fehlt immer noch die Motivation, um PLM als Strategiethema zu setzen.

Ein Beispiel: In welchem Umfang müssen sich die Teamleiter um das Projektmanagement kümmern? Könnte ein Projektbüro (Project Office) zumindest die Routineaufgaben nicht professioneller erledigen, so dass mehr Zeit für die Entwicklung selbst bleibt?

Im Grunde hat PLM fast nur mit Arbeitsorganisation zu tun. Noch einmal herausfordernder wird es im PLM Umfeld wegen der notwendigen Balance zwischen Kreativität und Management; mehr Organisation hilft also nicht per se. Für CONTACT ist das ein absolut wichtiges Thema. Wir haben deshalb zusammen mit dem VDI und dem Fraunhofer IPK, Berlin eine Studie ins Leben gerufen. Dazu Patrick Müller vom IPK, der die Studie wissenschaftlich begleitet: „Wir fragen nach dem Verhältnis zwischen kreativem und formellem Arbeitsanteil und hinterfragen anhand eines Bewertungsmodells die Kollaborationsfähigkeit im Unternehmen.“

Weitere Informationen zu der Studie und der Link zur begleitenden Online-Umfrage, die aktuell läuft und an der alle „Praktiker“ teilnehmen können, stehen auf der CONTACT Homepage.

Demnächst mehr, wenn die Ergebnisse vorliegen …

PDM/PLM Lösungen: Eine für alle?

Das Posting von Oleg Shilovitsky  PDM. Pre-configured? Painless? hat mich  angeregt, diesen Beitrag zu schreiben. Meinungen, ob es Out-of-the-Box oder auch Turnkey Lösungen geben kann und soll, gibt es mittlerweile zahlreiche. Nur noch nicht von mir (-;

Eigentlich ist die Sache ganz einfach: Ein Begriff wie Out-of-the-Box steht für Standardisierung, und sowohl der Hersteller als der Anwender wird – wenn er bei Verstand ist – nach der Devise verfahren: „So viel Customizing wie nötig, so wenig wie möglich“.

Das Thema ist also in den seltensten Fällen eines für die Farben Schwarz oder Weiß. Jedenfalls kenne ich keine Software selbst für die Textverarbeitung oder was auch immer, bei dem man nicht das Eine oder Andere an seine eigenen Belange anpassen will und kann. Die Frage ist nicht „Ob?“ sondern „In welchem Umfang?“ und vor allem „Wie?“. In jedem Fall haben die Hersteller den Schlüssel in der Hand, ihren Kunden das Leben so einfach wie möglich zu machen, aber auch keine falsche Erwartungshaltung zu wecken.

Wie viel Customizing?

PDM- und PLM-Lösungen sind keine Finanzbuchhaltungs- oder Warenwirtschaftsysteme, deren Verfahren in weiten Teilen durch externe Regularien oder anerkannte Algorithmen bestimmt werden. PDM/PLM soll den Innovationsprozess unterstützen, der von Haus aus eine kreative Angelegenheit ist. Vor allem hier (wo sonst?) werden Unternehmen ihre individuellen und besonderen Fähigkeiten im Wettbewerb beibehalten und ausspielen wollen.

Ein CAD-Datenmanagement wird hoffentlich wenig Anpassung erfordern. Je umfassender jedoch der Innovationsprozess unterstützt werden soll, desto weitreichender werden die gewünschten Anpassungen an individuelle Anforderungen durch den Innovationsprozess des Kunden sein. Vordefinierte „Best Practices“ können einem Unternehmen helfen, aber wenn jedes Unternehmen sich mit Haut und Haaren solchen „Best Practices“ unterordnen würde: Wo bliebe da der Wettbewerbsvorteil?

Wie einfach ist das Customizing?

Wenn man Customizing also nicht wegdefinieren kann, dann soll es bitteschön so einfach und so wartungs- und Release-sicher wie möglich sein. Der Worst Case ist, dass man alles programmieren muss, nur Programmierer die Anpassungen verstehen und pflegen können und dass die Anpassungen beim nächsten Update teuer durchforstet und erneut angepasst werden müssen. Der Best Case sind vordefinierte Stellhebel im System, die es sogar erfahrenen Fachanwendern erlauben, ein System nach ihren Belangen anzupassen. Ein gutes Bespiel sind sogenannte Business Rules, die in weiten Teilen das Systemverhalten beeinflussen, in einer Bibliothek übersichtlich vorgehalten und in einer Form geschrieben werden können, die auch Nicht-Programmierer schnell verstehen und nutzen können.

Falsche Erwartungshaltung?

Welcher Hersteller legt schon gleich den Finger in die Wunde und offenbart seinem potenziellen Kunden über Gebühr, dass individuelle Anforderungen eben auch Geld und Mühe kosten? Wird allerdings ein Projekt an dieser Stelle nicht richtig aufgesetzt, sind Reibung, Zeitverzug und Frustration auf allen Seiten vorprogrammiert. Zaubern kann niemand, und es ist Aufgabe der Profis beim Hersteller oder Berater, den Kunden hier an die Hand zu nehmen. Im Zweifel muss fester gedrückt werden!

Was ist ihre Meinuing: Wann machen Out-of-the-Box Lösungen für den Innovationsprozess Sinn?