Digitalisierung für die hohe See

Die Sonne scheint in Hamburg, die milde Herbstluft ist in Bewegung. Dabei hatte ich mich perfekt für Regenwetter ausgerüstet. In einem Konferenzhotel direkt am Hafen versammeln sich Anfang Oktober Schiffbauer aus aller Welt zum CADMATIC Digital Wave Forum. Das User Meeting lädt ein, CADMATICs CAD-Anwendung für den Schiffbau zu erleben und aus erster Hand von aktuellen Trends, Produkterweiterungen und Neuentwicklungen zu erfahren. Das Highlight: CADMATIC Wave, eine integrierte CAD-PLM-Lösung speziell für den Schiffbau, die CADMATIC zusammen mit CONTACT entwickelt.

Modellvisualisierung vereinfacht Datensuche und Zusammenarbeit

Nach dem ersten Kaffee sortieren wir uns allmählich in den Konferenzsaal, der Vormittag ist gefüllt mit Zahlen und Fakten rund um CADMATICs Digitalisierungsstrategie. Am Nachmittag präsentiert unser Geschäftsführer Maximilian Zachries den rund 200 Teilnehmenden CADMATIC Wave. Wir demonstrieren erste Funktionalitäten des integrierten Produktdatenmanagements (PDM) und sehen einige gezückte Telefone, um schnell ein Foto von der Neuerung zu machen. Ich bin etwas aufgeregt, jetzt ist es offiziell. Jetzt muss auch das Datenmodell her. Und das ist gar nicht so einfach.

Cadmatic's Atte Peltola introduces the audience to Cadmatic Wave

Atte Peltola von CADMATIC präsentiert CADMATIC Wave. (© CADMATIC)

Der Ruf aus allen Ecken nach einem Datenmodell für den Schiffbau trägt mich durch die drei Hamburger Tage. In meinen Gesprächen auf der Konferenz wird deutlich, dass die Informationen, die im Schiffsentstehungsprozess benötigt und erzeugt werden, am Modell verortet werden können müssen. Modellzentriert also: die Schiffsgeometrie wird inklusive Equipment, Ausstattung und Logistik visualisiert. Über die einzelnen Teile des Modells lassen sich Informationen abrufen und hinzufügen. Modellvisualisierungen ermöglichen für alle beteiligten Gewerke eine gemeinsame und intuitive Sicht auf das Schiff und vereinfachen unter anderem die Informationssuche erheblich. So werden Engineering-Tätigkeiten und die Zusammenarbeit, auch mit Partnern, effizienter.

Datenmodell auf Basis der Schiffsgeometrie birgt Herausforderungen

Als ich mich mit einem Mitarbeiter der Technisch-Naturwissenschaftlichen Universität Norwegens (NTNU) unterhalte, stellt sich uns allerdings die Frage: Ist die geometrische Form überhaupt geeignet, um darüber eine generische Produktstruktur für die Datenhaltung im PDM zu generieren? Als Platzhalter in einem Datenmodell gibt es in so einem Schiff immerhin ziemlich viele Orte. Und ich nehme das hier mal vorweg: Datenmodelle organisieren sich normalerweise über die Prozesse in der Produktentstehung und nicht über die Geometrie eines Schiffsmodells. Ich bin gespannt, wie wir diese Herausforderung in CADMATIC Wave lösen werden.

Die Abendveranstaltung findet auf der Cap San Diego statt, einem Museumsschiff im Hamburger Hafen. Das rustikale Flair eines Schiffsbauchs und ein reichlich gedecktes Buffet schaffen eine gemütliche Atmosphäre für angeregte Unterhaltungen. Ich führe Gespräche über das Leben in Finnland und Norwegen und über den Unterschied zwischen Informations- und Datenmanagement. Der Abend endet stürmisch und regnerisch, endlich kommt meine Regenausrüstung zum Einsatz und ich komme trocken und warm ins Hotel zurück.

SEUS hebt europäischen Schiffbau auf die nächste Effizienzstufe

Auf dem CADMATIC Digital Wave Forum treffe ich auch zum ersten Mal meine Konsortialpartner aus dem Projekt Smart European Shipbuilding (SEUS). Darunter neben Vertreter:innen der NTNU und von CADMATIC auch Mitarbeitende von zwei Werften, der norwegischen Ulstein Group und der spanischen Astilleros Gondan SA. SEUS ist ein EU-gefördertes Forschungsprojekt mit dem Ziel, eine integrierte CAD- und PLM-Lösung für den Schiffbau zu entwickeln. Dabei wollen wir noch über die Funktionalitäten hinausgehen, die wir in CADMATIC Wave entwickeln. Beispielsweise mit einem Knowledge Management und der Nutzung von KI für die Suche innerhalb von Produktdaten.

In diesem Zusammenhang spielt uns die breite Aufstellung unserer Forschungsabteilung CONTACT Research in die Hände. Einerseits forschen wir in der Research Area Digital Lifecycle Management an Digitalisierungsstrategien für verschiedene Branchen. Andererseits zählt auch Künstliche Intelligenz zu unseren Forschungsschwerpunkten. Mit der KI-Produktdatensuche, wie wir sie in SEUS implementieren wollen, können wir also unser selbst auferlegtes Credo „Bringing artificial intelligence into the engineering domains“ mit Leben füllen.

Drei Tage in Hamburg gehen zu Ende und es bleiben drei starke Eindrücke:

  1. Es ist notwendig, ein abstraktes Datenmodell für den Schiffbau zu entwerfen. Eines, das im Kern die Module eines Schiffes enthält und dennoch auf die speziellen Bedürfnisse jedes Schiffbauers angepasst werden kann. Dieses Datenmodell muss eng mit dem Entwicklungsprozess verknüpft sein.
  2. Der persönliche Austausch und das persönliche Kennenlernen sind für mich in diesem mir neuen Arbeitsbereich eine bereichernde Erfahrung. Und dieses positive Gefühl motiviert mich weiter in meiner Arbeit im SEUS-Projekt.
  3. Regensachen sind in Hamburg Pflicht.

Wie intuitive CAE-Apps die Produktentwicklung beschleunigen

Zunehmend komplexere Produkte immer schneller auf den Markt zu bringen, stellt Unternehmen heute vor vielfältige Herausforderungen. Besonders der Mangel an verfügbarem Spezialwissen von Simulationsexpert:innen im Bereich des Computer-Aided Engineering (CAE) bremst die Produktentwicklung häufig aus. Niedrigschwellige CAE-Anwendungen können hier Abhilfe schaffen und die Art und Weise, wie Produkte entwickelt und optimiert werden, maßgeblich verbessern.

Isoliertes Fachwissen als Flaschenhals in der Produktentwicklung

Simulationstechnologien bieten enormes Potenzial für die Produktentwicklung. Die tägliche Praxis zeigt aber, dass es immer noch mit erheblichem organisatorischem Aufwand verbunden ist, vermeintlich einfache Fragestellungen über eine Simulation zu beantworten. Häufige Beispiele dafür sind, die Auswirkungen einer Materialänderung auf das Deformationsverhalten eines Bauteils oder die funktionalen Konsequenzen geringfügiger Änderungen der Bauteilgeometrie aus Fertigungsgründen.

Komplexe Fragestellungen erfordern den Austausch zahlreicher Informationen zwischen den beteiligten Prozessparteien. Beispiele hierfür sind die Bereitstellung von aktuellen CAD-Ständen seitens der Konstruktion oder die Rückführung von vorliegenden Versuchsergebnissen in die Simulation. Zudem sind relevante Entscheidungstermine und verfügbare Simulationskapazitäten zu berücksichtigen. Die Durchführung und Auswertung der Simulation erfordern meist spezialisiertes Fachwissen, das häufig in Expertengruppen isoliert und nur begrenzt verfügbar ist.

Expertenwissen unternehmensweit zugänglich machen

Ziel sollte es also sein, die Hürden für die Nutzung von Simulationstechnologien abzubauen, um sie einer breiten Anwendergruppe – unabhängig von ihrer technischen Expertise – zugänglich zu machen. Der Weg dahin kann als „technische Demokratisierung der Simulation“ bezeichnet werden. Er besteht darin, vorhandenes Fachwissen in intuitiv bedienbare CAE-Anwendungen zu integrieren und diese unternehmensweit anhand eines CAE-Business-Layers allen Anwender:innen bereitzustellen.

In drei Schritten zum CAE-Business-Layer:

  1. Analyse
    Am Anfang erfolgt eine gründliche Bestandsaufnahme der vorhandenen CAE-Prozesse im Unternehmen. Dies hilft, die wichtigsten Prozesse anhand ihrer Anwendungsrelevanz zu identifizieren und nach dem Kosten-Nutzen-Prinzip zu entscheiden, welche sich für die Entwicklung einer CAE-Applikation eignen.
  2. Standardisierung
    Im nächsten Schritt folgt die Standardisierung der identifizierten CAE-Prozesse, wobei das Fachwissen der Berechnungsingenieur:innen gefragt ist. Die Anforderungen an die Inputgrößen des CAE-Fachprozesses, wie zum Beispiel erforderliche Parameter und Daten sowie der gewünschte Output aus dem CAE-Prozess, werden dabei klar beschrieben. Da Simulationsprozesse in der Regel ein komplexes Zusammenspiel verschiedener Softwaretools sind, liegt besonderes Augenmerk auf die Fehlerbehandlung bei potenziell auftretenden Problemen während des laufenden Prozesses.
  3. Automatisierung
    Anschließend erfolgen die Entwicklung und die Implementierung der CAE-Applikation im Unternehmen. Die Bereitstellung auf einer im gesamten Unternehmen verfügbaren Softwareplattform, die auch die für den Prozess erforderlichen und entstehenden Daten hostet, gewährleistet dabei eine umfassende Nachvollziehbarkeit.

Sukzessive entsteht so ein CAE-Business-Layer, der die CAE-Applikationen vereint.

Dashboard mit CAE-Apps in CONTACT Elements (© CONTACT Software)

Bedenken und Chancen

Der breite Zugang zu Simulationstechnologien bedeutet nicht, dass jede:r gleich Experte oder Expertin wird, sondern dass Anwender:innen durch komplexe Prozesse geführt werden. Ein integriertes Fehlerhandling reagiert dabei auf Fehleingaben oder Abweichungen bei den erwarteten Daten. Die Erfahrung zeigt, dass Expertenfähigkeiten und Simulationsfachwissen nicht abgewertet werden. Im Gegenteil: Erfahrene Ingenieur:innen, die über viel Praxis und methodisches Know-how verfügen, bleiben unersetzlich. Durch die generelle Nutzung können sie sich anspruchsvolleren Aufgaben widmen, Entscheidungsprozesse begleiten oder sich auf die Weiterentwicklung der Simulationsmethoden konzentrieren.

Fazit: Niedrigschwellige CAE-Anwendungen vereinen Effizienz und Innovation

Die unternehmensweite Bereitstellung benutzerfreundlicher CAE-Applikationen markiert eine Möglichkeit, Simulationsmethoden noch früher und konsequenter in der Produktentwicklung zu etablieren. Mehr Anwender:innen sind in den Entwicklungsprozess mit eingebunden, Ressourcen können besser genutzt, Innovationen effizienter vorangetrieben und so bessere Produkte in kürzer Zeit zur Marktreife gebracht werden. Gleichzeitig ermöglichen sie es den Simulationsexpert:innen, sich auf anspruchsvollere Aufgaben zu fokussieren.

Vom Beschreiben und Zeigen in der Produktentwicklung

„Ich merke, du verstehst nicht wirklich, wovon ich spreche. Warte mal, ich zeig’s dir“. Oft scheitert die Kommunikation daran, dass man gezwungen wird, Sachen zu beschreiben, statt sie zu zeigen. Weil sie entweder außer Reichweite sind oder weil sie schlichtweg nicht real existieren. Wie Produkte, die noch in der Entwicklung sind. Darum sind Designer:innen regelrechte Bastel-Expert:innen. Mit einer Produktidee im Kopf bauen sie schnell mit Pappe und Kleber einen Prototyp. So gelingt es ihnen, das zu zeigen, was sich schwer in Worte fassen lässt. Das genau brauchen effiziente Produktentwicklungsprozesse und das kann durch eine tiefere Integration von 3D-Visualisierungsfunktionen in das PLM-System erreicht werden.

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte

Der Mehrwert von Bildern gegenüber reinem Text ist für uns heutzutage in einer multimedialen Welt selbstverständlich. Auf Instagram und Co unterstreicht der Text nur noch das, was auf dem Bild bereits erfasst wurde. Doch wie viel von dieser Selbstverständlichkeit ist in den IT-Systemen, die die Arbeit von produzierenden Unternehmen unterstützen, angekommen? Meiner Beobachtung nach geht Beschreiben hier immer noch vor Zeigen: Auf den Bildschirmen finden sich mehrheitlich Zeichen, Worte, Tabellen und Sätze.

Dabei mangelt es seit der Verbreitung von CAD-Systemen vor allem in PLM-Anwendungen nicht an Bildern. Kaum ein Produkt wird hergestellt, bevor es nicht als (3D-)Bild vorher konstruiert ist. Das 3D-Modell ist ein selbstverständliches Instrument in der Produktentwicklung und in Zeiten steigender Produktindividualisierung ein ideales Werkzeug für die Kommunikation rum um das Produkt. Vom Stuhl bis zum Elektroauto: Branchenübergreifend lassen sich Produkte online individuell konfigurieren und in 3D ansehen, bevor sie bestellt und produziert werden.

Warum bleibt die Unternehmenssoftware noch so textlastig?

CAD-Software-Lizenzen sind teuer. Unternehmen statten daher oft nur wenige Arbeitsplätze damit aus. Hinzu kommt, dass CAD-Software als proprietäre Dateiformate sich nicht so ohne Weiteres von anderen Programmen öffnen lassen. So bleibt der Zugang zu 3D-Geometrien auf einen exklusiven Club beschränkt.

Überwindet man diese Hürde zum Beispiel mit neutralen 3D-Viewern, bleibt immer noch die Frage, wie sich 3D-Geometrie und Text mit den Bedienoberflächen (UI) von Unternehmenssoftware am besten kombinieren lassen? Jenseits der fantasiereichen Zukunftsvisionen rund um Datenhandling mit VR/AR à la Minority Report fehlt es in der Realität noch an Konzepten, Informationen aus 3D-Modellen und Datenbanken in einem einheitlichen Bedienmuster zu verbinden.

Wo geht die Reise hin?

Im ersten Schritt gilt es, 3D-Geometrien neben den bisherigen textuellen Inhalten in die UI zu bringen. Grundlegende Funktion ist neben dem Anzeigen und Drehen auch die Möglichkeit, in das Innere des Modells zu navigieren, um sich einzelne Komponenten durch selektives Ein- und Ausblenden detailliert anzuschauen. Hilfreich für eine zielführende Kommunikation im Team sind auch Funktionen wie das Eintragen, Speichern und Teilen von Anmerkungen am 3D-Modell. Zudem können zusätzliche Digital Mock Up– (DMU) Berechnungsfunktionen bestimmte Entscheidungsprozesse unterstützen. Wie zum Beispiel eine Nachbarschaftssuche, um die Auswirkungen einer technischen Änderung zu analysieren. Oder ein Modellvergleich, um nachträglich die Umfänge dieser Änderung nachzuvollziehen.

Im zweiten Schritt müssen geometrische und textuelle Informationen in der UI vereint werden. So entsteht eine integrierte Bedienoberfläche, die inhaltlich Mehrwert bietet. Wie wäre es zudem, wenn das 3D-Modell in PLM-Anwendungen nicht mehr als Illustration der Stückliste dient, sondern umgekehrt die Teilestammdaten die 3D-Geometrie anreichert? Oder Tabellen und textuelle Hyperlinks abgeschafft werden und eine räumliche Navigation zur Verfügung steht? Oder wenn Anwender:innen den Teilebestand wie in einem Lager visuell durchsuchen können, anstatt Nummern in einer Liste aufzuspüren? Oder, oder, oder.

Wir haben uns in der Informationstechnik so an die Arbeit mit Zeichenketten gewöhnt (ich denke dabei an Kommandozeilen, relationale Datenbanken, Hyperlinks und so weiter), dass andere Bedienmuster undenkbar erscheinen. Hier ist es an der Zeit umzudenken und die visuelle Kraft der 3D-Geometrie zu entfesseln, um schnell und präzise in Unternehmensprozessen zu kommunizieren.

In meinem Webcast am 7. Oktober 2021 erfahren Sie, wie Sie 3D-Visualisierungs- und Inspektionsfunktionalitäten für alle PLM-Anwender:innen über den gesamten Produktlebenszyklus zugänglich machen und eine nahtlose Integration von geometrischen und PLM-Daten gewährleisten – in einer Oberfläche, ohne zu teuren Standalone Viewern springen zu müssen.