Verbesserungen am laufenden Band

Der Ausdruck “am laufenden Band” stammt – so möchte ich mal vermuten – aus der Welt der Fertigung, hat sich aber dank Rudi Carrell zu einem stehenden Begriff für alles entwickelt, was in rastloser Unruhe ist. Vielleicht sollte man besser von Verbesserungen im laufenden Betrieb sprechen. Denn darum geht es, wenn Unternehmen ihre funktionierenden PLM-Installationen weiter ausbauen und verbessern.

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Mit freundlicher Genehmigung Chomnancoffee, FreeDigitalPhotos.net

Neulich sprach ich mit dem Projektleiter eines mittelständischen Schweizer Unternehmens, das im vergangenen Jahr eine umfassende PLM-Lösung einschließlich Projektverwaltung implementiert hatte. Unmittelbare Nutzeneffekte waren eine bessere Prozessdurchgängigkeit und Datenkonsistenz. Inzwischen hat das Unternehmen sein Änderungsmanagement dahingehend erweitert, dass bei Freigabe der Änderung eines Artikels die Stücklisten von allen Produkten, in denen dieser Artikel verbaut ist, automatisch aktualisiert werden. Die Zeiteinsparungen durch die Neuerung sind nicht gewaltig, weil man auch früher schon Sammeloperationen ausführen konnte, aber die erweiterten Änderungsmanagement-Funktionen befreien die Anwender von lästigen Routinetätigkeiten. Vor allem aber sind sie die Grundlage für die Abbildung des gesamten ECM-Prozesses (Engineering Change Management) in einem elektronischen Workflow, von dem das sich Unternehmen sich eine spürbare Verkürzung der Durchlaufzeiten von Änderungen verspricht. Sie soll der nächsten Ausbaustufe umgesetzt werden.

Die Moral von der Geschichte ist, dass PLM-Projekte eigentlich nie zu Ende gehen. Es müssen im laufenden Betrieb immer wieder neue Wünsche und Bedürfnisse umgesetzt werden, und sei es nur deshalb, weil sich die Anforderungen des Unternehmens mit der Zeit verändern. Eines ist allerdings sicher: Es werden nie weniger, sondern immer mehr, weshalb sich der Funktionsumfang der PLM-Installationen ständig vergrößert. Wer hätte vor ein paar Jahren gedacht, dass Themen wie Anforderungsmanagement, Konfigurationsmanagement, Projektmanagement oder Qualitätsmanagement mal zu den PLM-Funktionen gehören würden.

Mit wachsendem Funktionsumfang wächst der Kreis der PLM-Anwender und er wird heterogener. Im Unterschied zu den Ingenieuren, die zu den Power Usern gehören, greifen viele andere Anwendergruppen nur gelegentlich auf PLM-Informationen zu. Sie brauchen eine einfache, intuitiv zu bedienende Benutzeroberfläche, in der sie sich ohne Lernaufwand zurecht finden. Dieser Anforderung werden viele PLM-Systeme immer noch nicht ganz gerecht, was sich negativ auf die Akzeptanz auswirkt.

Auch seitens des Managements ergeben sich neue Anforderungen an die PLM-Systeme. Die Führungskräfte wollen vielleicht ihre Entscheidungen mit Hilfe von Kennzahlen besser absichern, die sich aus den oft beiläufig erfassten Informationen im PLM destillieren lassen. Oder sie wollen eine Multiprojektsicht auf alle laufenden und geplanten Entwicklungsprojekte haben, um Prognosen über die weitere Geschäftsentwicklung machen zu können.

Was bedeutet das für die PLM-Systeme und ihre Hersteller? Zunächst einmal, dass sie wachstumsfähig sein müssen. Mit den monolithischen Software-Architekturen der Vergangenheit ist es kaum möglich, den erweiterten Funktionsumfang in einer angemessenen Zeit bereitzustellen. Notwendig sind modulare Software-Plattformen, die sich schnell und flexibel um neue Anwendungsmodule ergänzen lassen. Notwendig sind leistungsfähigere Programmierwerkzeuge, mit denen der Kunde oder sogar ein Third-Party-Entwickler zusätzliche Module entwickeln kann, ohne die Update-Fähigkeit der Lösung zu verbauen. Notwendig ist aber auch und vor allem mehr Offenheit der PLM-Systeme, um Fremdanwendungen leichter integrieren zu können, denn die Hersteller werden auf Dauer nicht den gesamten Funktionsumfang aus eigener Kraft bereitstellen wollen oder können.

PLM-Nutzen muss messbar sein

Vor ein paar Monaten hat Oleg Shilovitsky den PLM-Herstellern und ihren Lösungen in einem Blog-Beitrag vorgeworfen, dass sie sich mit dem Nachweis des Return on Invest (ROI) traditionell schwer tun. Kein neuer Vorwurf und einer, der dem Problem nicht ganz gerecht wird. Es sind nämlich nicht nur die PLM-Hersteller, sondern auch die Anwender selbst, die sich damit schwer tun.

Viele Unternehmen scheuen den Aufwand für die Berechnung des ROI, gerade weil sie einen möglichst schnellen ROI erzielen möchten. Nur scheinbar ein Widerspruch: Um die Nutzeneffekte der Investition exakt messen zu können, müssten sie erst die bestehenden Prozesse und ihre Schwachstellen genau analysieren und Kennzahlen für die Messung von Verbesserungen definieren. Das kostet Zeit und Geld, insbesondere wenn externe Berater involviert sind, weshalb die Analyse des Ist-Zustands meist recht rudimentär ausfällt.

Mit freundlicher Genehmigung von marcolm, freedigitalphotos.net
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Manchmal sind die Nutzeneffekte des PLM-Einsatzes so offensichtlich, dass die Unternehmen glauben, sich den Analyseaufwand schenken zu können. Der Geschäftsführer eines Anlagenbauers mit mehr als 150 PLM-Anwendern, der gerade ein aufwendiges Migrationsprojekt hinter sich gebracht hatte, sagte mir neulich auf die Frage nach dem ROI: „Die Investition war definitiv notwendig. Wenn jeder meiner Mitarbeiter dadurch auch nur zehn Minuten Zeit am Tag spart und wir gleichzeitig die Neuanlage von Artikeln reduzieren, brauchen wir über den ROI nicht mehr zu reden.”

In anderen Fällen ist die PLM-Investition unerlässlich, um den wachsenden Nachweispflichten nachkommen zu können. Gerade Automobilzulieferer müssen ihre Entwicklungsprozesse und die Ergebnisse minutiös dokumentieren– sonst laufen sie Gefahr, keine Aufträge mehr zu bekommen. PLM ist dabei von strategischer Bedeutung; wie schnell sich diese Investition bezahlt macht, spielt deshalb eine untergeordnete Rolle.

Erschwert wird der Nachweis des ROI auch noch durch ein anderes Phänomen: Der breiter werdende Funktionsumfang der PLM-Anwendungen und ihre zunehmende Verzahnung mit anderen Unternehmensanwendungen führt zu immer mehr Nutzeneffekten, die sich nur schwer quantifizieren und nicht mehr klar zuordnen lassen. Wie will man zum Beispiel die Produktivitätszuwächse messen, die sich daraus ergeben, dass jüngere Mitarbeiter dank PLM einfacher auf das Erfahrungswissen ihrer Kollegen zugreifen können? Bei Großunternehmen mit vielen Kostenstellen ergibt sich zudem das Problem, dass die Nutzeneffekte nicht unbedingt dort entstehen, wo die Kosten anfallen und auch genehmigt werden müssen.

Es geht bei der Analyse der Nutzeneffekte aber nicht nur um die Rechtfertigung einer einmaligen Investition, sondern auch und vor allem um die Frage, wie sich mit Hilfe von PLM die Effizienz der Produktentwicklung nachhaltig steigern lässt. Dazu müssen entsprechende Prozesskennzahlen definiert und kontinuierlich verfolgt werden. Eigentlich kein Hexenwerk, da die Basisdaten in der PLM-Lösung meist schon vorhanden sind und nur verdichtet werden müssen. Wann eine Änderung beantragt und wann sie abgeschlossen wurde, erfasst das System zum Beispiel automatisch. Es ist mithin ein Leichtes, die Durchlaufzeiten von Änderungsaufträgen zu berechnen.

Wie in meinem letzten Blog-Beitrag zu lesen, sind viele Führungskräfte mit dem Nutzen ihrer bisherigen PLM-Investitionen unzufrieden. Das gilt insbesondere für den Nutzen, den sie für ihre Führungsaufgaben aus den PLM-Daten ziehen. Der Accenture-Surveys erlaubt eine positive und eine negative Interpretation: Erfreulich ist, dass sich die Führungskräfte der strategischen Bedeutung der PLM-Lösungen und der in ihnen steckenden Informationen bewusst sind. Bedauerlich hingegen, dass viele PLM-Hersteller es offensichtlich noch nicht geschafft haben, ihnen geeignete Werkzeuge für die Nutzung dieser Informationen an die Hand zu geben. Ein flexibles Kennzahlenmanagement und gute Reporting-Funktionen sollten heute zum Standardumfang jeder PLM-Lösung gehören.

Hindernisse im PLM-Parcour

In diesem Sommer habe ich Irland wieder entdeckt, wo ich das letzte Mal vor über 15 Jahren war. Vieles hat sich seitdem verändert, nur die Infrastruktur scheint in vielen Gegenden so unberührt geblieben zu sein wie die herrlich grüne Natur: Man fährt mit viel zu breiten Autos über viel zu schmale Straßen vorbei an viel zu vielen Schafen – und das auch noch auf der “falschen” Seite. Dass da der Verkehrsfluss öfter mal stockt, nimmt nicht wunder.

PLMparcour
Connemara-Pony müsste man sein! Im PLM-Parcour sind viele Hindernisse zu überspringen. (Bild: Wendenburg)

Das irische Straßen-Bild kam mir in den Sinn, als ich den Accenture-Survey über PLM in der Luftfahrt und Wehrtechnik las (zugegeben, ich war noch halb im Urlaubsmodus): Ausgedehnte IT-Landschaften mit schlechten Verbindungen, über die Informationen langsam und oft nur in eine Richtung fließen. Die befragten Führungskräfte betrachten PLM zwar als wesentlich für Effizienzsteigerungen im Produktlebenszyklus, sind aber mit dem Nutzen ihrer bisherigen PLM-Investitionen nicht zufrieden. Ich denke, dass sich die Ergebnisse auch auf andere Branchen übertragen lassen.

Die Unternehmen der Luftfahrt und Wehrtechnik würden das PLM-Potenzial gerne nutzen, um ihre Umsätze deutlich zu steigern und ihre Kosten zu senken, stoßen aber dabei auf eine Vielzahl von Hindernissen: Handlungsbedarf besteht vor allem bei der Integration zwischen PLM und der Fertigung sowie bei der Kollaboration mit der Zulieferkette, aber auch bei der Zusammenarbeit zwischen Engineering und Service. Statt in die Tiefe der PLM-Funktionalität, sollten Unternehmen laut Accenture lieber in die Breite einer Prozessintegration investieren.

Die Führungskräfte sind sich der Schwachstellen bewusst. Immerhin 94 Prozent der Befragten gaben an, dass die Fertigung von einer besseren Integration mit der Produktentwicklung profitieren würde und die meisten von ihnen planen entsprechende Investitionen. Die Studie zeigt verschiedene Handlungsfelder auf: Companies’ responses show significant discrepancies between expected benefits of integrating product development and manufacturing, and satisfaction with today’s performance. Similar gaps are seen across the bill of materials, efficiency and control of change orders, graphical work instructions and process plans.”

Eine wesentliche Erkenntnis der Studie ist, dass die Unternehmen zu wenig Nutzen aus den PLM-Daten ziehen. Das gilt sowohl für den Umfang an Daten, die anderen Funktionen und Prozessen bereit gestellt werden, als auch für die Informationen, die sie aus diesen Daten ziehen. Ein Großteil der Befragten gab an, Analytik- und Business-Intelligence-Funktionen anzuwenden oder anwenden zu wollen, um die Nutzung der Produktdaten zu verbreitern und bessere Entscheidungen treffen zu können. Accenture zufolge werden wir in der nächsten Zeit deshalb vermehr Einführungen von entsprechenden Analytik-Werkzeugen sehen.

Um den Nutzen ihrer PLM-Investitionen zu verbessern, werden die Unternehmen weiterhin in PLM investieren (müssen) – allerdings wird sich der Fokus in den nächsten Jahren verschieben. Während zum Beispiel die Investitionen in Projekt- und Programm-Management-Funktionen deutlich sinken sollen, werden die Unternehmen weiterhin massiv in das Konfigurationsmanagement investieren. Davon werden PLM-Hersteller profitieren, die sich seit Jahren intensiv mit dem Thema beschäftigen – vorausgesetzt sie schaffen es, eine wesentliche Anforderung zu erfüllen: Die Komplexität des Konfigurationsmanagements zu reduzieren!