Ein paar Gedanken zu einem unausgefüllten “P”

Dieses “P”, das ich meine, ist ein treuer Bekannter von uns allen. Es markiert den phonetisch knackigen Anfang von “PLM” und meint natürlich das “Product” in “Product Lifecycle Management”. Scheint mir also schon ein sehr dinghaft bezogenes Konzept zu sein, dieses PLM. Aber das finde ich eben viel zu kurz gegriffen.

 

Ohne “Process” kein “Product”

PLM-Konzepte sind in der Regel produktgetrieben. Sie haben Ihren Ursprung in Entwicklungsabteilungen und hatten in den guten alten Zeiten meist Ihren Ausgangspunkt in der Verwaltung von CAD-Daten. Heute stehen Produktstrukturen, Varianten und Konfigurationen im Brennpunkt. Dazu besitzen (gute) PLM-Konzepte eine sehr präzise Steuerungslogik, um den Reifegrad der Produkte kontinuierlich voranzutreiben – bis zum SOP, wo dann alles “i.O.” sein sollte.

Glücklicherweise sind auch die Zeiten vorbei, in denen dann das Entwicklungsergebnis über die hohe Mauer ‘rüber und der Produktion vor die Füße geworfen wurde. Aber einen deutlichen Bruch in den Konzepten und real existierender Dokumentation muss man dennoch festhalten: Wo finden wir denn die Produktions-, Logistik- und Prüfprozesse (…) ?

 

Nein, die Antwort lautet nicht ERP…

Wenn’s um Arbeitspläne, Lieferpläne, Versorgungskonzepte geht, sind ERP- / PPS- / SCM-Systeme, Leitstände, Kanban-Karten an der Reihe, stimmt’s? – Jein.

Ja: In diesen Systemwelten finden sich die operativ gelebten Abläufe mit Ihren Parametern (Bedarfen, Zeiten, …) und Kennzahlen (Ausbringung, Umschlagshäufigkeit, Liegezeiten, …) wieder.

Nein: In diesen Systemwelten werden die Prozesse aber nicht entwickelt! Denn sie haben nicht die Flexibilität und Beweglichkeit, die es in einer (frühen) Entwicklungsphase braucht (sonst gäbe es ja auch kein PLM).

Jawohl! Entwicklung! Nicht nur Produkte werden aus der Taufe gehoben und Schritt für Schritt zu Reife gebracht, parallel zu ihnen entstehen ebenso Schritt für Schritt die Herstellungsprozesse.

 

Entwicklung hat nicht nur mit Schrauben zu tun, PLM auch nicht

Parallel zur Produktentwicklung – und in enger Abstimmung – werden Prozesse entwickelt. Da wird an der Anlagenbelegung gefeilt, in verketteten Produktionsabläufen an den Taktzeiten und Arbeitsinhalten gedreht, da muss sich eine Werkslogistik Gedanken über Bevorratung und Lieferwege machen usw. usf. – Das alles ist weder neu noch überraschend – meine Frage: Warum dokumentiert man diese Entwicklungsthemen nicht auch ganz selbstverständlich in PLM?

In der Realität der Prozessentwicklung findet man die allgegenwärtigen Excel-Welten vor. Mehr oder minder geregelt werden Abzüge der Entwicklungsstückliste gezogen, umstrukturiert (die berühmte Produktionsstückliste erzeugt, wenn nicht im PLM abgebildet) und gegen die Prozesse gefahren. Prozess-Strukturen werden entworfen, Reihenfolgen definiert, Alternativen eingeplant…

Wenn Sie mich fragen: PLM Kernfunktionalität!

 

Let’s do PPLM!

Ich habe mir vorgenommen, in Zukunft nur noch “PPLM” zu sagen – tun Sie’s auch!

Was ich damit sagen will: Dass wir ganz grundsätzlich die Entwicklung von Produkt und Prozess verknüpfen und dokumentieren müssen. Und wenn wir das einmal geschafft haben, können wir uns auch auslandende Gedanken über Virtuelle Fabriken und durchgängige Informationsflüssen vom Reißbrett bis zur Drehbank machen (hatten wir übrigens schon mal in den 80ern).

PPLM-Systeme können parallele Strukturen miteinander verknüpfen und abgleichen. Das gilt für Entwicklungs- und Produktionsstücklisten genauso wie für Stücklisten und Prozessstrukturen.

 

Es lohnt sich

Haben wir einmal diesen Zusammenhang aufgebaut, machen wir uns das Leben gleich deutlich leichter. Nehmen wir als Beispiel nur das derzeitige Schreckensbild von der überbordenden Produktvarianz, die ja auch auf der Prozessseite abgefangen werden will: Im PPLM haben wir eine Konfigurationslogik, die Produkt- und Prozessvarianten ansteuert. D.h. wir können konsistente Konfigurationen beider Sichtweisen erzeugen und abprüfen (alle Teile in der Montage verplant? im Versorgungsplan? usw.).

Die Potenziale standardisierter Produkt- und Prozessbausteine hebe ich mir sogar lieber für einen eigenen Blog-Eintrag auf…

 

Die Möglichkeiten sind da – wir müssen’s nur tun. In diesem Sinne – die besten Wünsche für ein prozessorientiertes 2011!

PLM und Google TV: Nicht für Jedermann?

Neulich habe ich im Flugzeug die New York Times gelesen. Nachdem ich den folgenden Artikel las, fühlte ich mich schlecht. Google TV, Usability is Not Included (Google TV – Benutzbarkeit nicht eingeschlossen). Ich habe Google TV noch nicht gekauft. Ich halte mir jedoch noch immer alle Optionen offen. Lesen Sie den Artikel und ziehen Sie Ihre eigenen Schlüsse. Die Idee, einen Fernseher in einen riesigen Computerbildschirm zu verwandeln, ist faszinierend. Allerdings denke ich an den Endanwender. Wie kann ich einer Person ohne Computererfahrung erklären, wie zwischen Browserfenstern gewechselt wird? Mission Impossible!

Trends in der Komplexität von PLM

Die Komplexität von Google TV, wie sie durch die New York Times erklärt wurde, brachte mich dazu, erneut über die Umsetzung von PLM nachzudenken. Wie oft wurden Sie mit mehreren Bildschirmen, Optionen, Verbindungen konfrontiert? Ich denke, dass das Problem der PLM-Umsetzung darin begründet liegt, dass mit ihrer Hilfe die Komplexität von Produktentwicklungsprozessen, Abhängigkeiten und Datenbeziehungen offengelegt werden soll. Selbst bei der Betrachtung neuer Software im Unternehmensbereich sind diese Symptome der Komplexität erkennbar. Ich konnte drei wichtige Trends in der PLM-Komplexität erkennen.

Komplexität der Modellierung
Dies tritt häufig ein, wenn Entwickler versuchen, alle möglichen und unmöglichen Kombinationen von Datenmodellen anzuwenden, um die Situation in einer Organisation wiederzugeben. In vielen Fällen ist dies, so denke ich, jedoch nicht erforderlich. Eine Vielzahl von Situationen kann gelöst werden, indem weniger und einfachere Modelle angewendet werden. Wenn Sie Ihr Datenmodell erstellen, bitten Sie die Entwickler doch einfach darum, es zu vereinfachen. Wenn Sie dies mehrmals tun, werden Sie sehen, dass nur die Hälfte der Funktionen übrig bleibt.

Komplexität der Präsentation
Meiner Ansicht nach hält PLM-Software immer noch am früheren Desktop-Paradigma fest. Das heißt, es werden möglichst viele Informationen in das Sichtfeld der Kunden gestellt. Dies ist ein Fehler. Damit Sie diesen Fehler beheben können, sollten sich Ihre Leute mit mobilen Applikationen vertraut machen. Die begrenzte Anzeigefläche auf dem Bildschirm eines Mobiltelefons führte zu einer Änderung dieses Paradigmas. Bitten Sie weiterhin darum, zu aktionsbasierten Präsentationskonzepten zu wechseln. Sie geben nur Informationen vor, die für die Entscheidung der Aufgabe erforderlich sind und zeigen eine begrenzte Menge der Optionen an.

Komplexität der Prozesse
Zu guter Letzt. Es ist erforderlich, Prozesse in der Organisation abzubilden. Wenn Sie damit beginnen, denken Sie jedoch daran, dass Sie nicht alle Implementierungen reproduzieren sollten, die vor Beginn der Umwandlung Ihrer Organisation mit dem PLM-System bestanden. Sie können Prozesse ausfindig machen, die einfach nicht erforderlich sind.

Einfachheit siegt immer
Wenn Sie die modernen Trends in Hardware, Software und fast allen anderen Dingen betrachten, werden Sie eine starke Entwicklung zur Einfachheit erkennen. Als ich meine ersten PDM-/PLM-Produkte entwickelte, war die Frage der „Dokumentation” unumgänglich. Das Vorhandensein einer Dokumentation war zwingend erforderlich. Diskussionsfähig war nur die Frage, wie viel Dokumentation erforderlich ist und wie schnell sie geliefert werden kann. Heutzutage ist sich jeder bewusst, dass man nur dann bestehen kann, wenn Produkte entwickelt werden, die keine Handbücher erfordern.

Welche Schlüsse ziehe ich daraus? Mein Schluss ist einfach: Einfachheit siegt! Die wahre Bedeutung dessen zu verstehen, ist nicht einfach. Menschen, die mit PLM-Software zu tun haben, müssen dies verstehen, damit sie nicht zu Dinosauriern der Handbücher werden.  Dies sind meine Überlegungen hierzu…

Alles Gute, Oleg

(Hinweis: Dies ist eine Übersetzung  des Beitrags „PLM and Google TV: Not for Average People?“ aus Oleg Shilovitskys Blog Beyond PLM. Übersetzung und Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors. Ohne Gewähr für die Richtigkeit der Übersetzung.)

Daimler ersetzt Catia durch NX

Letzte Woche ist bekannt geworden, dass Daimler sich entschieden hat, in allen Konzernsparten Catia V5 durch NX abzulösen. Das nenne ich mal eine interessante Neuigkeit … interessant auch die Pressemeldungen von Siemens (im Siegesrausch) und Dassault (eher dürr). In der Branche wird spekuliert, was die Gründe und Konsequenzen der Entscheidung von Daimler sind. Die meisten Marktbeobachter wählen starke Worte, z.B. Ken Versprille (CPDA):

The […] decision at Daimler AG to shift all their product development to the Siemens PLM Software tool stack has dramatically shattered the complacent mindset that had been growing in automotive product lifecycle management (PLM).

Über die wahren Gründe der Entscheidung darf spekuliert werden. Die Ursache dürfte nicht die mutmaßlich “bessere” (weil aus einem Haus) Integration von NX mit Teamcenter sein – die hätte in ausreichendem Maße wohl auch mit Catia (V5!) funktioniert. Ich würde die Entscheidung auch nicht als eine gegen Catia und für NX interpretieren: die beiden Systeme haben einen ähnlichen Leistungsumfang, und wenn man die Entwicklung über einige Jahre betrachtet, liegt mal der eine Anbieter mit einigen Funktionen vorne, mal der andere. Meine Spekulation ist, dass die Entscheidung eine für die vorhandene PLM-Infrastruktur (unter anderem Smaragd, Daimlers Teamcenter-basierendes PDM-System) und gegen Dassaults umfassende Vision und Strategie “V6″ ist: man muss annehmen, dass V6 die Strategie der Zukunft bei Dassault ist und die weitere Pflege von V5 ein Zugeständnis an die Kunden, das nicht von Dauer sein muss. Für Anwender bedeutet das über kurz oder lang, sich entweder mit Haut und Haaren darauf einzulassen, oder ganz Abschied zu nehmen, denn der Anspruch von Dassault scheint zu sein, den Entwicklungsprozess mit allen notwendigen Werkzeugen komplett abzudecken. Ich meine, das kann nicht funktionieren. Erstens ist dazu, zumal für eine riesige Organisation wie Daimler, wahrscheinlich überhaupt kein Anbieter in der Lage, und zweitens ist die Frage, inwiefern in einer geschlossenen Systemwelt, in der der Anbieter sowohl die Plattform als auch die Lösungen beherrscht, ausreichend Wettbewerb entstehen kann, der die jeweils besten Lösungen für eine Aufgabenstellung hervorbringt.

Eine weitere interessante Frage ist, was das für die Zulieferindustrie bedeutet. Es ist zu hoffen, dass der Austausch von nativen CAD-Daten zugunsten von offenen Standardformaten wie STEP, JT oder anderen weiter zurückgedrängt wird, und man sich damit mehr auf Prozesse und Inhalte der Zusammenarbeit als auf die Datenformate konzentrieren kann.

Was ist Ihre Meinung?