Requirements Engineering besser integrieren

Das Anforderungsmanagement ist nach einhelliger Auffassung von Praktikern und von Fachleuten aus Forschung und Lehre das A und O des Systems Engineerings (SE). Dabei ist es nicht damit getan, die Anforderungen am Anfang der Systementwicklung einmalig zu erfassen und zu bewerten – sie können sich im Laufe der Entwicklung nämlich verändern und müssen deshalb über ihren gesamten Lebenszyklus einem konsequenten Änderungsmanagement unterworfen werden. Aus diesem Grunde plädieren viele PLM-Hersteller für die Einbettung des Anforderungsmanagements in das Product Lifecycle Management (PLM) bzw. die entsprechenden PLM-Lösungen, mit denen die mechanischen und mechatronischen Komponenten verwaltet werden, die diese Anforderungen letztlich in entsprechende Funktionen umsetzen.

Das Plädoyer klingt plausibel, lässt sich in der Praxis aber nicht so einfach befolgen. Zunächst einmal sind die Menschen, die sich in den Unternehmen mit der Erfassung, Bewertung und Dokumentation von Systemanforderungen beschäftigen, ein besonderer Schlag, der mit PLM (noch?) nicht viel anzufangen weiß. Wer sie näher kennen lernen möchte, dem sei der Besuch der REConf empfohlen – der europaweit bedeutendsten Tagung zum Thema Requirements Engineering (RE). Sie fand neulich zum 12. Mal in München statt, ohne dass die PLM-Welt davon groß Notiz nahm. Zu meinem Erstaunen waren unter den immerhin 40 Ausstellern nur zwei namhafte PLM-Hersteller zu finden, von denen sich einer noch dazu als ALM-Anbieter (Application Lifecycle Management) präsentierte.

Zugegebenermaßen spielt das Thema Prozessintegration und PLM für die RE-Gemeinde derzeit noch eine untergeordnete Rolle. Sie hat andere Prioritäten: Erst einmal geht es darum, RE überhaupt nachhaltig in der Unternehmen zu verankern. Obwohl fast alle Unternehmen heute zumindest in ausgewählten Projekten RE anwenden und die Methode auf eine wachsende Akzeptanz stößt, ist sie in den meisten Fällen noch nicht genügend etabliert, wie eine Anwenderbefragung von REConf-Veranstalter HOOD ergeben hat. Zum Teil hängt das damit zusammen, dass das Management RE zwar gerne nachhaltig in der Organisation verankern würde, aber dafür kein zusätzliches Budget locker macht.

grafik_hood2Der Ruf nach mehr Integration wird jedoch auch in der RE-Gemeinde lauter. Die Anwender, die an der Befragung teilnahmen, sind mit ihren RE-Tools nicht immer zufrieden. Sie wünschen sich bessere Schnittstellen zu den Werkzeugen und Systemen anderer Disziplinen, insbesondere zum Testmanagement, aber auch zu klassischen PLM-Funktionsbereichen wie Änderungsmanagement, Projektmanagement oder Dokumentengenerierung. Viele dieser Schnittstellen würden sich erübrigen, wenn man die Anforderungen direkt im PLM-Kontext erfasste und dokumentierte, aber das würde die etablierte Tool-Landschaft ziemlich über den Haufen werfen.

Wie sieht diese Landschaft aus? Die meist genutzten Anwendungen für RE und Anforderungsmanagement sind immer noch Excel und andere MS Office-Anwendungen, dicht gefolgt von IBM DOORS. Sie leisten den Anwendern zwar gute Dienste, weisen aber gerade in punkto Datenbankintegration und Prozessunterstützung Schwächen auf. Das erschwert zugleich den Austausch von Anforderungen zwischen Entwicklungspartnern, noch dazu wenn sie andere RE-Tools einsetzen. Abhilfe soll jetzt der ReqIF-Standard schaffen, den einige Tool-Hersteller bereits implementiert haben und den auch die PLM-Anbieter nutzen können, um Anforderungen standardbasiert aus den RE-Werkzeugen zu importieren bzw. an sie zu exportieren.

Denn eins ist klar: PLM wird die bestehenden RE-Werkzeuge auf absehbare Zeit nicht ersetzten, sondern allenfalls ergänzen. Einkauf, Entwicklung und anderen Abteilungen haben unterschiedliche Sichten auf die Anforderungen und nutzen unterschiedliche Anwendungen, um diese Sichten darzustellen. Wichtig ist jedoch aus Prozesssicht, dass zumindest die kritischen Anforderungen in der PLM-Umgebung wandern, um sie dort mit anderen Objekten verknüpfen und ihre Änderungsgeschichte nachvollziehen zu können. Dafür müssen die PLM-Anbieter neben eigenen Anforderungsmanagement-Funktionen entsprechende Integrationen bereit stellen.

Projektmanagement – Eine Idee, die sich überlebt hat?

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Man mag es schon nicht mehr hören oder lesen: über die Desaster-Projekte in Deutschland wie den Berliner Flughafen oder die Hamburger Elbphilharmonie. Lieferanten von Projektmanagement-Software  sind wahrscheinlich versucht zu sagen: „Mit unserer Software wäre das nicht passiert!“. Wer’s glaubt …

Unbestreitbar hat das Thema Projektmanagement einen Lauf.  Vielleicht geht es Ihnen dabei wie mir: Zuallererst erscheinen einem bei diesem Stichwort Bilder von Gant-Charts vor Augen. Wenn es doch nur so einfach wäre. Bestimmt wurden die beiden genannten Projekte bestens geplant und bestimmt waren die Projektbüros volltapeziert mit Treminplänen. Wenn Menschen Maschinen, Randbedingungen unveränderlich und Ziel vollkommen klar wären, könnte ja auch nichts schiefgehen. Sind sie aber nicht.

Auf Herausforderungen jenseits der Terminplanung weist  Reinhard Wagner in seinem Beitrag Deutschland 2025: Goldene Zeiten für die Projektwirtschaft? im GPM-Blog hin. Besonders interessant finde ich folgende Passage:

Die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Unternehmen (z. B. in der automobilen Supply-Chain) wird immer öfter in Projekten organisiert. Projektarbeit wird immer internationaler. So arbeiten z. B. Mitarbeiter aus unterschiedlichen Forschungsabteilungen von Bosch an Technologien oder Produkten von morgen. Projektarbeit wird 24/7 möglich, d. h. rund um die Uhr und über die gesamte Woche verteilt an mehreren Forschungsstandorten. Projekte finden aber auch vermehrt an den Standorten in den Absatzmärkten statt. So errichtet Audi zum Beispiel gerade eine neue Produktionsstätte in Mexiko… Neben der Überwindung zeitlicher, räumlicher, sprachlicher und kultureller Barrieren heißt das vor allem mit einem unterschiedlichen Verständnis von Projektmanagement umzugehen. Verstehen wir hierzulande darunter vor allem Planung und Kontrolle, so stellen sich Mitarbeiter anderer Länder schnell quer. Sie brauchen mehr Handlungsspielraum und fühlen sich durch allzu viel Kontrolle schnell bevormundet.

Das Stichwort „Handlungspielraum finde ich schön provokant, drücken doch minutiöse Projektpläne das genaue Gegenteil aus.

Mein Fazit: Der Begriff Projektmanagement führt in die Irre, wenn man damit „old school“ vor allem elaborierte Gant Charts und das Denken und Lenken weniger „Manager“ verbindet. Geleitete und nicht gelenkte Zusammenarbeit im eigenen Unternehmen, in internationalen Teams (Mitblogger Michael Wendenburg stößt in ein ähnliches Horn) und mit anderen Unternehmen bei der Lösung komplexer Aufgaben wird immer wichtiger.

 

Mit PLM auf Wolke sieben?

Wenige IT-Themen werden dies- und jenseits des großen Teichs so unterschiedlich beurteilt wie die Nutzungsmöglichkeiten und das Nutzenpotential der Cloud für das Product Lifecycle Management. Die Amerikaner, die kurioserweise mehr Vorbehalte gegen das Internet-Banking haben als wir Deutschen, sind eher bereit, PLM-Funktionen aus der Cloud zu beziehen bzw. ihre PLM-Daten in die Cloud zu stellen. Böse Zungen behaupten, das sei nicht weiter verwunderlich, weil sie mehr Geld und weniger geistiges Eigentum zu verlieren haben als wir, aber das ist natürlich Unsinn. Es ist im vor allem eine (subjektive) Vertrauensfrage.

Objektiv betrachtet sind CAD- und PLM-Daten in der Cloud ebenso sicher wie in einem firmeneigenen Netz – sagen jedenfalls viele Sicherheitsexperten. Man könnte sogar argumentieren, dass sie dort wahrscheinlich sicherer sind, weil sich die Cloud-Betreiber aus wohlverstandenem Eigeninteresse viel intensiver um Datenschutz und Ausfallsicherheit kümmern als die meisten anderen Unternehmen. Natürlich sind IT-Service-Provider auch ein beliebtes Angriffsziel  für Datenpiraten. Aber ich bin überzeugt davon, dass mehr sensible Daten durch schlampigen Umgang mit ihnen (z. Bsp. durch liegen gelassene Laptops) als durch böswillige Hackerattacken verloren gehen.

plm_cloud(Bildquelle: InnoFour)

Dennoch stehen gerade in Deutschland viele Unternehmen der Cloud skeptisch gegenüber, obwohl sie das Potential zum Teil schon evaluieren. Auch ich gehöre eher zu den Skeptikern, bin allerdings davon überzeugt, dass sich die PLM-Branche dem allgemeinen Trend zum Cloud-Computing auf Dauer nicht wird widersetzen können. Was mich im Augenblick umtreibt ist die Frage, ob die Cloud den PLM-Anwendern wirklich den Nutzen bringt, den ihre Befürworter bzw. die wenigen Anbieter von Cloud-Lösungen ihnen versprechen. Ich habe da so meine (technisch begründeten) Zweifel.

Die wichtigsten Nutzeneffekte Cloud-basierter Lösungen sind Kosteneinsparungen für die (Nicht-)Anschaffung, Betrieb und Wartung von Hard- und Software, ein schnellerer Roll-out und die größere Flexibilität, dadurch dass die Unternehmen ihre IT-Ressourcen je nach Bedarf ohne Installationsaufwand ausweiten und auch wieder zurückfahren können. Die Installation atmet gewissermaßen ein und aus. Wie atmungsaktiv sie ist, hängt allerdings von der Art der Cloud ab. In einem privaten Wölkchen lassen sich die Ressourcen nicht so einfach umverteilen wie in einer öffentlichen Wolke. Wenn überhaupt werden PLM-Lösungen aber derzeit in einer privaten Cloud betrieben.

Die nächste Frage ist, wie viel an IT-Kosten sich tatsächlich einsparen lässt, wenn man neben einer Cloud-basierte PLM-Lösung eine lokale IT-Infrastruktur für CAx-Anwendungen und -Datenmanagement aufrecht erhalten muss. Daran führt aber zu Zeit kein Weg vorbei, erstens weil keiner der führenden PLM-Anbieter eine wirklich Cloud-fähige CAD-Lösung anzubieten hat und zweitens weil die PLM-Anwender zumindest hierzulande ohnehin nicht bereit wären, ihr Engineering-Know-how einem fremden Unternehmen anzuvertrauen. Ohne CAD in der Cloud ist PLM in der Cloud nur von eingeschränktem Wert: Eine interessante Option für PLM-Nachzügler, die die Technologie ohne eigene PLM-Installation nutzen möchten, oder für bestimmte PLM-Prozesse wie die Supply Chain Collaboration.

PLM in der Cloud ist meiner Einschätzung nach zur Zeit (noch) keine Alternative, sondern nur eine Ergänzung zu herkömmlichen Implementierungen. Es ist aber wahrscheinlich, dass nach und nach immer mehr PLM-Funktionen in die Cloud abwandern. Für die meisten PLM-Anbieter bedeutet das, dass sie ihre Lösungen erst mal fit für die Cloud machen müssen. Das sind sie nämlich nicht. Es ist nicht damit getan, sie in einer Cloud-Infrastruktur (IaaS) betreiben zu können – sie müssen auch die PLM-Software als Service anbieten. Dafür muss ihre Software aus dem Stand nutzbar sein, ohne sie vorher tagelang konfigurieren zu müssen. Außerdem muss die Architektur so modular aufgebaut sein, dass Kunden oder Drittanbieter die Möglichkeit haben, sie als Plattform für Anpassungen oder die Entwicklung von Zusatzanwendungen (PaaS) zu nutzen.

Die Unternehmen werden sich auf Dauer nicht mit einer PLM-Lösung „von der Stange“ begnügen, unabhängig davon, ob sie in der Cloud liegt oder nicht. Dazu sind ihre Produkte und Prozesse zu unterschiedlich. Eine Reisekostenabrechnung kann man vielleicht nach Schema F über das Internet abwickeln. Die Art und Weise, wie ein Unternehmen seine Entwicklungsprozesse organisiert, ist aber letztlich entscheidend für seine Wettbewerbsfähigkeit. PLM-Angebote aus der Cloud, die wirklich einen Nutzen für den Anwender erzielen wollen, müssen diesem Umstand Rechnung tragen. Sonst bleibt es bei wolkigen Versprechungen.

Einen ausführlichen Beitrag von mir zum Thema PLM in der Cloud finden Sie hier: (http://www.cadplace.de/Spezialthemen/Schwerpunktthema-Cloud/Hat-CAD-und-PLM-in-der-CLOUD-eine-Zukunft)