Psst, bloß nicht laut von PLM reden!

Puhh, als PLM-Fan musste man in der vergangenen Woche tief Luft holen: Gleich zwei bekannte Blogger senkten in den Überschriften ihren Daumen nach unten: Joe Barkai: „Why I Don’t Do PLM“ und Oleg Shilovitsky: „Are PLM conferences dead?“.

Kurioserweise ziehen beide an den entgegengesetzten Enden des Seils. Für Barkai greift die klassische Sichtweise von PLM als „single version oft the truth“ zu kurz, während Shilovitsky die Basics hinter der PLM-Idee beschwört.

Barkai: „I find it fascinating that traditional PLM software vendors are not realizing how the Internet of Things and the connected enterprise are breathing a new life into the PLM space that does not quite know how to reinvent itself. After decades of using enterprise PLM software, it is still common to hear at a PLM conference a speaker announcing, “Let me give you my definition of PLM.” Or those never-ending debates about eBOMs and mBOMs and where PDM ends and PLM begins.“

Shilovitsky: “I know many people struggling with their PLM decisions and fighting alone to balance tools, budgets, organizational and cultural changes and timelines. Companies are struggling with very basics things – Part Numbers, Change Management, Revisions, and others. To discuss the real problems, can be an opportunity. This is the foundation – the story. This is a single unit… If a single unit doesn’t sell, making it broader or scaling it up won’t solve the problem.”

Ehrlich gesagt, je nachdem mit welchen Kollegen ich bei uns spreche, könnte es ähnlich ausgehen. Bei einer Sache sind wir uns dabei aber alle ziemlich sicher: PLM groß auf eine Einladung oder eine Anzeige zu schreiben, dazu gehört heute schon etwas Mut.

Sind die besten Zeiten von PLM also vorbei?

Unternehmen bestehen deshalb am Markt, weil sie ihren Kunden zuhören und ihr Angebot immer wieder rechtzeitig an neue Anforderungen und Möglichkeiten anpassen! Ja, die Basics sind immer noch die low hanging fruits,  und die Vorreiter kümmern sich um die anspruchsvolleren Potentiale im Produktlebenszyklus, wo es um die Integration von Disziplinen, Tools und Prozessen geht. Einige PLM-Anbieter nutzen zum Beispiel ihre Erfahrung und ihr bisheriges Portfolio rund um das virtuelle Produkt, um ihr Angebot Richtung Internet of Things und den digitalen Zwilling zu erweitern.

Dies macht das Dilemma deutlich: PLM war im Gegensatz zu ERP oder auch der Finanzbuchhaltung nie ein Selbstläufer. Immer schon musste die PLM-Idee bei den Geldgebern besonders überzeugend motiviert werden.

Und das ist oft nicht gut gelungen, wie mein Kollege Rolf Stübbe es in seinem Blog-Beitrag „20 Jahre PLM: Warum zweifeln Viele noch immer am Nutzen?“ auf den Punkt bringt: „Trotz der wieder steigenden Aufmerksamkeit für PLM bemerke ich, dass dem Begriff unverändert die Geschmacksnoten groß, schwerfällig, langwierig, unwirtschaftlich anhaften.“ Vermeintliche Leuchtturmprojekte wie die schier endlose Teamcenter-Einführung bei VW und Dassaults Lizenzpolitik, die mit ursächlich für die Code of PLM Openness Initiative war, stehen stellvertretend für die vielen Nadelstiche, die den Ruf von PLM mit der Zeit ramponiert haben.

Fazit

Man kommt sich vor wie bei Monty Python in der Fawlty Towers Folge “The Germans“: „Don‘t mention the war!“. PLM: Jeder denkt dran, aber alle versuchen, dem Begriff aus dem Weg zu gehen. 

Dabei waren Zeiten für die PLM-Idee nie besser als heute. Der Druck in den Unternehmen ist hoch und steigt weiter, um die Chancen der Digitalen Transformation zu nutzen. Aber das Storytelling muss besser werden. Da taugen die alten Geschichten und komplizierten Definitionen sicher nicht mehr, und der PLM-Begriff als Werbeträger nur noch bedingt. Storytelling und Projektmarketing gehören von Anfang an zusammen. Das fängt mit den Zielen an. Da bin ich bei Oleg Shilovitsky: Wir sollten das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Krude Versprechungen und obskure Visionen, die zum Scheitern verurteilt sind, helfen nicht, im Gegenteil. Lieber die low hanging fruits attraktiv verpacken, dem Projekt einen sinnstiftenden Namen geben und alles dafür tun, dass die ersten, überschaubaren Ziele auch erreicht werden.

Der Digitale Zwilling und die Quantenphysik

Neue Themen wollen mit passenden Begriffen einsortiert werden. Sie machen das Kommunizieren effizient, weil der Absender im besten Falle nichts mehr großartig erklären muss.

Einigermaßen gelang das mit dem Begriff Product Lifecycle Management. Sie erinnern sich: „Von der Wiege bis zur Bahre“ usw. Aber wie die Deutschen so sind, gehen sie allem auf den Grund und noch tiefer. Anspruchsvolle Definitionsversuche gab es im Laufe der Jahre reichlich, die eher nicht weitergeholfen haben.

Geht das schon wieder los, dachte ich nun beim Lesen des Beitrags „The Digital Twin Theory“. Die Autoren zu den Anfängen ihrer Arbeit: Zum anderen reifte die Idee der „Digital Twin Theory“ während eines zufälligen Kontakts mit der Quantenphysik…: Aus Sicht der Quantenphysik befinden sich Elektronen an mehreren Orten gleichzeitig… Es erschien spannend zu prüfen, ob diese Eigenschaften auch für digitale Zwillinge angenommen werden können.“

OK, die Freiheit der Wissenschaft ist ein hohes Gut, und Querdenker sind gefragt. Aber bitte nicht zu verquer. Das etwas nicht gleich falsch ist, reicht nicht, oder? Es sollte auch absehbar weiterhelfen.

Warum die Aufregung? Der Digitale Zwilling ist ein schönes, einfaches Bild, um die Potentiale hinter dem Internet der Dinge zu verstehen. Wäre schade, wenn das nach dem Motto „warum einfach, wenn’s auch kompliziert geht“ drangegeben wird.

Und übrigens, die englische Wikipedia sagt: A digital twin is a digital replica of a … physical entity…


Design Thinking – Hype oder Hilfe?

Ende Januar veranstaltet  CONTACT gemeinsam mit The Dark Horse, eine der führenden und bekanntesten Design Thinking Agenturen, einen exklusiven Design Thinking  Workshop.

Der Hintergrund: Neue Technologien wie IoT, 3D-Druck und Virtual Reality,  serviceorientierte Geschäftsmodelle und die Digitale Transformation überhaupt stellen herkömmliche Angebote infrage. Das Hasso-Plattner Institut schreibt dazu: „Design Thinking … avanciert heute zu einer ganz neuen Art, den Menschen in Bezug zur Arbeit zu sehen, das Konzept der Arbeit zu denken und zu fragen, wie wir im 21. Jahrhundert leben, lernen und arbeiten wollen. Die Strahlkraft von Design Thinking besteht darin, neue und überraschende Formen der kreativen Zusammenarbeit zu ermöglichen. Wir-Intelligenz ist das neue Schlagwort, Kollaboration wird die Grundlage für ein neues Arbeitsbewusstsein.“

„Ganz neue Art zu denken“, „21.Jahrhundert“, „Wir-Intelligenz“. Bei solchem Drang ins Esoterische gibt brand eins so richtig Contra. Individualistisch geprägte Gesellschaften sind weniger erfolgreich als  kollektivistische? Kreativität gedeiht am besten in Gruppen? Nicht unbedingt, und da kann man schnell mal was falsch verstehen. Und dann noch: Der Erfolg hängt von der Exzellenz in unterschiedlichen Disziplinen ab, also holt man diese Disziplinen mit ins Boot? Produkte mache ich für Kunden und – Revolution! – frage sie also nach ihren Bedürfnissen? Als wenn es Ideen wie Human Centered Design nie gegeben hätte.

Ignorieren wir lieber die Marketingstrategen und betrachten Design Thinking ganz pragmatisch:

  • Der Ausgangspunkt: komplexe Produkte und Systeme in einem eher unbekannten Terrain
  • Die unbedingte Ausrichtung an meine Kunden untere Berücksichtigung technischer und wirtschaftlicher Zielvorgaben
  • Die enge Zusammenarbeit der unterschiedlichen Disziplinen, die einen Beitrag leisten
  • Iteratives, auch spielerisch/experimentelles Vorgehen und lernen aus Feedback und Fehlern.

Design Thinking ist also wie gemacht für die Herausforderungen der Digitalen Transformation. Deswegen sind wir mit dabei.