Produkt und Service verschmelzen

Immer mehr produzierende Unternehmen erkennen die Bedeutung des Service für ihren Markterfolg. “Wir setzen Akzente durch unsere Serviceführerschaft “, sagte mir neulich der PLM-Projektleiter eines mittelständischen Schweizer Maschinenbauers, der Klebstoff-Auftragssysteme herstellt und seine Kunden auch bei der Optimierung ihrer Klebeprozesse berät. Einige Mitbewerber verkaufen sogar nur noch Verbrauchsmaterialien und liefern die Maschinen gleich zusammen mit dem Klebstoff.

Produkte durch Dienstleistungen zu ergänzen oder sogar zu ersetzen, macht ökonomisch Sinn. Zunächst einmal erschließen sich produzierende Unternehmen zusätzliche Einnahmequellen. Sie steigern dadurch nicht nur ihren Umsatz, sondern auch und vor allem ihren Gewinn, weil die Margen im Servicegeschäft größer sind. Das belegt eine Studie von Deloitte aus dem Jahr 2006, der zufolge die Fertigungsunternehmen 26 Prozent ihrer Umsätze, aber 46 Prozent ihrer Gewinne mit Dienstleistungen erwirtschafteten.

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Power by the Hour: Rollce-Royce verkauft seinen Kunden keine Triebwerke, sondern Triebwerksstunden und kümmert sich selbst um die Wartung. (copyright © Rolls-Royce plc 2012)

Dienstleistungen haben außerdem den Vorteil, dass sie schneller und kostengünstiger bereit gestellt werden können als physische Produkte. Sie lassen sich nicht so einfach von Mitbewerbern in Billiglohnländern kopieren, weil sie eine entsprechende Infrastruktur und qualifiziertes Personal erfordern. Und sie unterstützen die Differenzierung des Produktangebots bzw. in Kombination mit Retrofitting die Verlängerung der Produktlebenszyklen. Die Qualität der Dienstleistungen trägt maßgeblich zur Intensivierung der Kundenbindung bei. Ein kompetenter und kulanter Service kann manchen Mangel des Produkts wettmachen und sorgt für eine höhere Kundenzufriedenheit.

Der Trend in der Fertigungsindustrie geht dahin, über das klassische Ersatzteil- und Wartungsgeschäft hinaus immer anspruchsvollere Dienstleistungen anzubieten, um die Kunden dauerhaft an sich zu binden. Amerikanische Marketing-Experten haben für die Kombination von Produkt- und Serviceangeboten, die unter dem Einfluss des Internets der Dinge zunehmend miteinander verschmelzen, den Begriff der Servitization geprägt. Im Extremfall zahlt der Kunde nur noch für das, was Prof. Tim Baines von der Ashton Business School, einer der führenden Servitization-Experten, die Customer Experience nennt. Die Befähigung des Kunden, zum Beispiel eine bestimmte Anzahl an Flaschen pro Monat abzufüllen oder Passagiere pünktlich mit dem Zug von A nach B zu befördern.

Die Kombination von Produkten mit anspruchsvollen Serviceangeboten bietet Fertigungsunternehmen neue Chancen, bedeutet aber auch neue Herausforderungen. Sie müssen ihre Geschäftsmodelle überdenken und treten unter Umständen in Wettbewerb zu Service-Providern, die diese Dienstleistungen auch bisher schon angeboten haben. Sie müssen lernen, wie ein Dienstleistungsunternehmen zu denken und zu handeln, was neue Mitarbeiter und Qualifikationen erfordert. Und sie müssen sich Gedanken darüber machen, wie sie ihr Risiko eingrenzen, d.h. wie sie sich vertraglich gegen Fehlbedienungen durch die Anwender absichern. Denn sie garantieren die Verfügbarkeit von Produkten, die sie in der Regel nicht selber betreiben oder bedienen.

Diese Herausforderungen lassen sich nur bewältigen, wenn Produktentwicklung und Service enger zusammen rücken. Das ist in erster Linie eine organisatorische Aufgabe, die aber IT-technisch unterstützt werden kann. Zum einen müssen Anforderungen an die Produkte, die sich aus neuen Serviceangeboten ergeben, schon frühzeitig in die Portfolioplanung und das Anforderungsmanagement einfließen. Zum anderen müssen Informationen aus dem Service, die für die Weiterentwicklung der Produkte relevant sind, wieder in die PLM-Umgebung zurückfließen. Aberdeen kommt in der erwähnten Studie zu dem Schluss, dass die Serviceorganisationen leistungsfähigere IT-Lösungen für Konzeption, Planung und Management ihrer Operationen benötigen. Sie brauchen auch leistungsfähige Integrationen zu den PLM-Lösungen, die allenfalls einen Teil dieser Aufgaben werden übernehmen können.

Bummelzug zum Anforderungsmanagement

Es ist ein eisernes Gesetz aller modernen Gesellschaften, dass ihre politischen und bürokratischen Eliten immer mehr Gesetze produzieren. Mit wachsender Zahl nimmt der Grenznutzen der Gesetze zwangsläufig ab, wenn sie nicht gleich mehr Schaden als Nutzen anrichten, weil mit heißer Nadel gestrickt. Dessen ungeachtet ist die Regulierungswut dort am größten, wo sie am wenigsten bewirkt. Nirgendwo gibt es mehr Auflagen zum Umwelt- und Verbraucherschutz als in Europa, wo die Menschen nicht erst seit gestern unter relativ sauberen und sicheren Bedingungen leben. Oder anders ausgedrückt: In Bangladesch würde die Verschärfung des Baurechts sicher Menschenleben retten, hier sichert sie allenfalls den Lebensstandard von ein paar Beamten in den Baubehörden. Nicht selten ist die Regelungswut Ausdruck eigenen Unvermögens: Weil die Regierenden nicht in der Lage sind, den Waffenhandel der Rebellen in Afrika oder anderswo zu unterbinden, müssen jetzt die (amerikanischen) Unternehmen Bauteil für Bauteil nachweisen, dass sie keine Edelmetalle aus Krisenregionen verbauen.

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Mit freundlicher Genehmigung von Victor Habbick / FreeDigitalPhotos.net

Das Problem ist, dass der regulatorische Overkill der Politiker allmählich unsere Wettbewerbsfähigkeit und damit letztlich auch unserer aller Lebensstandard gefährdet. Egal wo man hinschaut – das Volumen an zu beachtenden Gesetzen und Normen ist in den letzten Jahren explodiert und damit auch der Aufwand, den die Unternehmen treiben müssen, um sie einzuhalten und gegenüber den Behörden den Nachweis ihrer Compliance zu erbringen.

Infolge der Regulierungswut werden die Lastenhefte immer dicker. Die Zahl der Anforderungen, die bei der Bearbeitung einer Spezifikation kommentiert werden müssen, habe sich in den letzten zehn Jahren mindestens verzehnfacht, sagte mir neulich der Manager eines Herstellers von Bremssystemen für Schienenfahrzeuge. Früher passte die Spezifikation auf eine CD, heute braucht man eine DVD, um alle Dokumente zu speichern. Aufgrund der vielen Köche unterschiedlicher Nationalitäten, die im Normierungsbrei herumrühren, sind  vielen Normen interpretationsbedürftig, so dass unterschiedliche Auftraggeber daraus individuelle Anforderungen ableiten. Das führt dazu, dass die Spezifikationen für ein Bremssystem bei Multitender-Projekten, bei denen mehrer Konsortien auf dasselbe Projekt bieten, von Hersteller zu Hersteller unterschiedlich sein können.

Obwohl ein globales Geschäft, müssen die Schienenfahrzeughersteller außerdem einen Haufen unterschiedlicher nationaler Normen berücksichtigen. Das führt zu der absurden Situation, dass der neue ICE in Deutschland mangels Zulassung noch nicht ausgeliefert werden kann, während er in Spanien schon fährt – und das mit einer höheren Geschwindigkeit als er sie hierzulande je erreichen darf. Nirgendwo sei es schwieriger, ein neues Schienenfahrzeug zuzulassen als in Deutschland, meinte mein Gesprächspartner. Der aufwendige papier- bzw. dokumentenbasierte Zulassungsprozess lähme das Unternehmen und bedeute einen Wettbewerbsnachteil gegenüber Anbietern in aufstrebenden Ländern mit weniger Auflagen und geringeren bürokratischen Hürden.

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Mit freundlicher Genehmigung von Victor Habbick / FreeDigitalPhotos.net

Aufgrund der Vielzahl an zu beachtenden Anforderungen und Normen wird der Abstimmungsprozess mit den Schienenfahrzeugherstellern immer zeitaufwendiger. In diesem Prozess müssen die Lieferanten zu jeder Anforderung Stellung nehmen und definieren, ob und unter welchen Bedingungen sie sie erfüllen werden. Das geht dann ein paar Mal hin und her, bis die Bestellung unterschriftsreif ist. Um die Abstimmung zu beschleunigen, hat der Hersteller von Bremssystemen vor anderthalb Jahren ein datenbankgestütztes Anforderungsmanagement eingeführt, das künftig in die PLM-Lösung integriert werden soll.

Dank des Requirements Interchange Formats (RIF) bzw. des neuen ReqIF-Formats ist es eigentlich kein Problem mehr, Anforderungen mit den Auftraggebern in elektronischer Form auszutauschen, selbst wenn diese eine andere IT-Lösung für das Anforderungsmanagement einsetzen. Leider können die meisten Hersteller ihre Spezifikationen noch nicht im richtigen Format zur Verfügung stellen und die Anforderungsdaten der Zulieferer auch noch nicht elektronisch weiter verarbeiten. Die Schienenfahrzeugindustrie fährt hier im Vergleich zu anderen Branchen mit dem Bummelzug. Selbst die Deutsche Bahn hat selbst erst vor kurzem ein datenbankgestütztes Anforderungsmanagement eingeführt.

Ich möchte deshalb an dieser Stelle ausdrücklich den Appell des Unternehmens an die Auftraggeber unterstützen, mit den Zulieferern beim Anforderungsmanagement an einem Schienenstrang zu ziehen. Sonst stehen bald noch mehr nagelneue Schienenfahrzeuge nutzlos auf dem Abstellgleis. Und an die Politiker sei bei der Gelegenheit der Appell gerichtet, bei der Normierung ab und zu mal die Notbremse zu ziehen und die eine oder andere nutzlose Norm auch wieder zu streichen.

Wandlungsfähig heißt zukunftsfähig

Nichts ist so beständig wie der Wandel. Daran hat sich seit Heraklit (ca. 500 v. Chr.), dem dieser Aphorismus zugeschrieben wird, nichts geändert – was eigentlich ein Widerspruch in sich ist. Wenn dem so ist, fragt man sich, warum wir uns an den Wandel so schwer gewöhnen.

Rund 60% der Unternehmen des deutschen Maschinen- und Anlagenbaus stehen nach eigener Einschätzung unter großem Transformationsdruck, doch nur 16% sehen sich auf eine bevorstehende Veränderung gut vorbereitet. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Erhebung des Institute for Transformation in Business and Society (INIT) der EBS Business School. Zwar haben die meisten Befragten Erfahrungen mit Veränderungsprozessen gesammelt, aber nicht immer die besten: Mehr als 40% ihrer Change-Projekte verfehlten die vorgegebenen Ziele, wobei sich eine hohe Korrelation zwischen erfolgreicher Transformation und wirtschaftlichem Erfolg des Unternehmens feststellen lässt.

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Mit freundlicher Genehmigung von FreeDigitalPhotos.net

Die Kompetenz des Managements ist deshalb nach Überzeugung der Autoren der Studie ein entscheidender Faktor für die Transformationsfähigkeit des Unternehmens. Wichtig ist aber auch der unternehmensinterne Wissensaustausch – und genau hier sehen sie mit den größten Handlungsbedarf. Das mag damit zusammenhängen, dass viele Unternehmen in den letzten Jahren so dynamisch gewachsen sind, dass sie mit der Weitergabe des Wissens an die neuen Mitarbeiter nicht nachkommen. Sie benötigen neue IT-Werkzeuge und Methoden, um das Wissen zu erfassen und unternehmensweit verfügbar zu machen – auch das unstrukturierte. Stichwort Enterprise Social Media. Es dürfte bei jungen Mitarbeitern auf weniger Vorbehalte treffen, und genau sie werden die Unternehmen verändern.

Worauf die Studie nicht näher eingeht ist, welche Veränderungen den Unternehmen genau bevorstehen. Darüber gibt eine andere Erhebung Auskunft, die die Marktforschungsfirma Oxford Economics im Auftrag eines namhaften PLM-Herstellers durchgeführt hat. Sie identifiziert die wesentlichen Transformationspfade, die die weltweite Fertigungsindustrie in den nächsten Jahren beschreiten wird. Neben der Neuausrichtung der Strategie, wie Unternehmen ihre Produkte entwickeln, sourcen, fertigen und warten, gehören dazu eine stärkere Gewichtung des Serviceangebots und die Nutzung der weltweiten Ressourcen, um mehr Innovationen hervorzubringen.

Um wandlungsfähig zu bleiben, müssen die Unternehmen ihre Innovationsfähigkeit steigern. Das heißt für die Maschinen- und Anlagenbauer nicht nur mehr neue Produkte zu entwickeln. Sie müssen bereit sein, ihre Geschäftsmodelle in Frage zu stellen, um diese Produkte mit innovativen Serviceleistungen kombinieren oder sogar gleich als Service anbieten zu können. Externe Ressourcen in den Innovationsprozess einzubinden, kann helfen, neue Wege zu finden. Sie müssen diesen Prozess aber auch konsequenter managen. Nicht von ungefähr kommt die INIT-Studie kommt zu dem Schluss, dass die Zukunftsfähigkeit des Maschinen- und Anlagenbaus auch von der Fähigkeit abhängen werde, Methoden und Tools eines modernen Innovationsmanagements zu nutzen. Dem wäre nur noch hinzuzufügen, dass eines dieser Tools die PDM/PLM-Lösung ist.

Die deutschen Maschinen- und Anlagenbauer sind international sehr erfolgreich, aber sie können sich nicht auf ihren Lorbeeren ausruhen, sondern müssen sich neu ausrichten, um von den Veränderungen der Märkte und dem rasanten technologischen Wandel nicht überrollt zu werden. Oder um es mit Lampedusas Gattopardo auszudrücken: Wenn wir wollen, dass alles so bleibt wie es ist, müssen wir alles verändern.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen fröhliche Festtage und ein innovatives Jahr 2014.