Hindernisse im PLM-Parcour

In diesem Sommer habe ich Irland wieder entdeckt, wo ich das letzte Mal vor über 15 Jahren war. Vieles hat sich seitdem verändert, nur die Infrastruktur scheint in vielen Gegenden so unberührt geblieben zu sein wie die herrlich grüne Natur: Man fährt mit viel zu breiten Autos über viel zu schmale Straßen vorbei an viel zu vielen Schafen – und das auch noch auf der „falschen“ Seite. Dass da der Verkehrsfluss öfter mal stockt, nimmt nicht wunder.

PLMparcour
Connemara-Pony müsste man sein! Im PLM-Parcour sind viele Hindernisse zu überspringen. (Bild: Wendenburg)

Das irische Straßen-Bild kam mir in den Sinn, als ich den Accenture-Survey über PLM in der Luftfahrt und Wehrtechnik las (zugegeben, ich war noch halb im Urlaubsmodus): Ausgedehnte IT-Landschaften mit schlechten Verbindungen, über die Informationen langsam und oft nur in eine Richtung fließen. Die befragten Führungskräfte betrachten PLM zwar als wesentlich für Effizienzsteigerungen im Produktlebenszyklus, sind aber mit dem Nutzen ihrer bisherigen PLM-Investitionen nicht zufrieden. Ich denke, dass sich die Ergebnisse auch auf andere Branchen übertragen lassen.

Die Unternehmen der Luftfahrt und Wehrtechnik würden das PLM-Potenzial gerne nutzen, um ihre Umsätze deutlich zu steigern und ihre Kosten zu senken, stoßen aber dabei auf eine Vielzahl von Hindernissen: Handlungsbedarf besteht vor allem bei der Integration zwischen PLM und der Fertigung sowie bei der Kollaboration mit der Zulieferkette, aber auch bei der Zusammenarbeit zwischen Engineering und Service. Statt in die Tiefe der PLM-Funktionalität, sollten Unternehmen laut Accenture lieber in die Breite einer Prozessintegration investieren.

Die Führungskräfte sind sich der Schwachstellen bewusst. Immerhin 94 Prozent der Befragten gaben an, dass die Fertigung von einer besseren Integration mit der Produktentwicklung profitieren würde und die meisten von ihnen planen entsprechende Investitionen. Die Studie zeigt verschiedene Handlungsfelder auf: Companies’ responses show significant discrepancies between expected benefits of integrating product development and manufacturing, and satisfaction with today’s performance. Similar gaps are seen across the bill of materials, efficiency and control of change orders, graphical work instructions and process plans.“

Eine wesentliche Erkenntnis der Studie ist, dass die Unternehmen zu wenig Nutzen aus den PLM-Daten ziehen. Das gilt sowohl für den Umfang an Daten, die anderen Funktionen und Prozessen bereit gestellt werden, als auch für die Informationen, die sie aus diesen Daten ziehen. Ein Großteil der Befragten gab an, Analytik- und Business-Intelligence-Funktionen anzuwenden oder anwenden zu wollen, um die Nutzung der Produktdaten zu verbreitern und bessere Entscheidungen treffen zu können. Accenture zufolge werden wir in der nächsten Zeit deshalb vermehr Einführungen von entsprechenden Analytik-Werkzeugen sehen.

Um den Nutzen ihrer PLM-Investitionen zu verbessern, werden die Unternehmen weiterhin in PLM investieren (müssen) – allerdings wird sich der Fokus in den nächsten Jahren verschieben. Während zum Beispiel die Investitionen in Projekt- und Programm-Management-Funktionen deutlich sinken sollen, werden die Unternehmen weiterhin massiv in das Konfigurationsmanagement investieren. Davon werden PLM-Hersteller profitieren, die sich seit Jahren intensiv mit dem Thema beschäftigen – vorausgesetzt sie schaffen es, eine wesentliche Anforderung zu erfüllen: Die Komplexität des Konfigurationsmanagements zu reduzieren!

Neue Servicekonzepte braucht die Bahn

In den letzten Wochen habe ich in Deutschland Urlaub gemacht – jawohl, das kann man, ohne vom Wetter reden zu müssen, was prächtig war. Es gibt ja auch spannendere Themen: Alle reden von der Deutschen Bahn, die sich zum Sinnbild für die neuen deutschen Untugenden entwickelt: Fortwährende Unpünktlichkeit, technische Unzuverlässigkeit und mangelnde Servicefreundlichkeit. Gut, letztere ist keine besonders neue Untugend und auch keine Erfindung der Bahn.

Ich war viel mit dem Zug unterwegs, mit Kindern und großem Gepäck, was der Urlaubslaune nicht immer zuträglich war, obwohl wir das Stellwerk Mainz weiträumig umfuhren. Verspätungen, verpasste Anschlusszüge, Zugausfälle – das ganze Programm an Foltermaßnahmen, mit dem die Bahn ihre Kunden tagtäglich malträtiert. Und weit und breit kein Kundendienstmitarbeiter zu sehen, der einem erklärt, wie man wenigstens das zum Fenster rausgeworfene Geld für die Sitzplatzreservierung wieder bekommt. Einziger Bahnbonuspunkt: Kinder in Begleitung der Eltern fahren auf den meisten Strecken umsonst, was ich nett von der Bahn finde. Erfreulich auch, dass die meisten Menschen mit undeutscher Gelassenheit auf die Pannen bei der Bahn reagieren. Nur ausländische Urlauber verstehen die Welt nicht mehr.

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By Courtesy of Kenneth Cratty, www.FreeDigitalPhotos.net

Während sich die Personalsituation  im Stellwerk Mainz nach Sommerurlaub und Sommergrippe wieder normalisieren dürfte, geben die vielen technischen Pannen zu denken, besonders wenn man mit 300 Stundenkilometern über die Schnellbahntrasse zwischen Köln und Mannheim saust. Man hat nicht gerade den Eindruck, dass die Bahn ein proaktives Servicekonzept verfolgt, das heißt Servicefälle durch vorbeugende Wartungsmaßnahmen zu vermeiden versucht. Sie reagiert auf Störungen, und das meistens zu spät.

Vielleicht sollten sich die Bahn und ihre Systemlieferanten mal ein Beispiel an der Japanische Staatsbahn nehmen, die bei ihren Zügen ein Konzept der Nullstillstandswartung verfolgt. Das bedeutet, dass die Züge im laufenden Betrieb gewartet werden und sich natürlich auch warten lassen müssen. Die konsequente Auswertung der Servicehistorie und ein permanentes Monitoring von Loks und Zügen schützt die japanischen Wartungstechniker vor unliebsamen Überraschungen – und das mit Erfolg: Verspätungen von mehr als 30 Minuten kommen bei Japan Railways so selten vor, dass sie Thema in den Nachrichten sind. Davon wagt man in Deutschland nicht mal zu träumen.

Softwaretechnisch sind solche proaktiven Servicekonzepte, die nicht nur die Bahn gut zu Gesicht stünden, dank der Vernetzung intelligenter Systeme über das Internet der Dinge viel leichter umsetzbar als noch vor ein paar Jahren. Voraussetzung dafür ist aber auch die Optimierung der Serviceprozesse, die in vielen Unternehmen immer noch recht hemdsärmelig organisiert sind. Sie betrachten den Service als notweniges Übel, statt ihn als Quelle zusätzlicher Einnahmen zu begreifen, was natürlich auch bedeuten würde, dass sie die Serviceleistungen zusammen mit den Produkten entwickeln müssten. Davon ist man jedoch noch weit entfernt: Produktentwicklung und Service führen in den meisten Unternehmen ein ausgeprägtes Eigenleben.

Die zunehmende Bedeutung des Serviceangebots für den Markterfolg der Produkte spricht dafür, Entwicklungs- und Serviceprozesse enger zu verzahnen. Grundlage dafür ist ein integriertes Produkt- und Service-Lifecycle-Management, das es beispielsweise erlaubt, Informationen über gehäuft auftretende Servicefälle in Form von Änderungen in die laufende Entwicklung einzusteuern. Für die PDM/PLM-Hersteller bedeutet das, dass sie ihre Lösungen entweder um zusätzliche Werkzeuge ergänzen oder aber Schnittstellen zu gängigen Serviceanwendungen schaffen müssen. Das werden sie allerdings nur tun, wenn ihre Kunden entscheiden, Entwicklung und Service endlich IT-technisch zu verheiraten.

Requirements Engineering besser integrieren

Das Anforderungsmanagement ist nach einhelliger Auffassung von Praktikern und von Fachleuten aus Forschung und Lehre das A und O des Systems Engineerings (SE). Dabei ist es nicht damit getan, die Anforderungen am Anfang der Systementwicklung einmalig zu erfassen und zu bewerten – sie können sich im Laufe der Entwicklung nämlich verändern und müssen deshalb über ihren gesamten Lebenszyklus einem konsequenten Änderungsmanagement unterworfen werden. Aus diesem Grunde plädieren viele PLM-Hersteller für die Einbettung des Anforderungsmanagements in das Product Lifecycle Management (PLM) bzw. die entsprechenden PLM-Lösungen, mit denen die mechanischen und mechatronischen Komponenten verwaltet werden, die diese Anforderungen letztlich in entsprechende Funktionen umsetzen.

Das Plädoyer klingt plausibel, lässt sich in der Praxis aber nicht so einfach befolgen. Zunächst einmal sind die Menschen, die sich in den Unternehmen mit der Erfassung, Bewertung und Dokumentation von Systemanforderungen beschäftigen, ein besonderer Schlag, der mit PLM (noch?) nicht viel anzufangen weiß. Wer sie näher kennen lernen möchte, dem sei der Besuch der REConf empfohlen – der europaweit bedeutendsten Tagung zum Thema Requirements Engineering (RE). Sie fand neulich zum 12. Mal in München statt, ohne dass die PLM-Welt davon groß Notiz nahm. Zu meinem Erstaunen waren unter den immerhin 40 Ausstellern nur zwei namhafte PLM-Hersteller zu finden, von denen sich einer noch dazu als ALM-Anbieter (Application Lifecycle Management) präsentierte.

Zugegebenermaßen spielt das Thema Prozessintegration und PLM für die RE-Gemeinde derzeit noch eine untergeordnete Rolle. Sie hat andere Prioritäten: Erst einmal geht es darum, RE überhaupt nachhaltig in der Unternehmen zu verankern. Obwohl fast alle Unternehmen heute zumindest in ausgewählten Projekten RE anwenden und die Methode auf eine wachsende Akzeptanz stößt, ist sie in den meisten Fällen noch nicht genügend etabliert, wie eine Anwenderbefragung von REConf-Veranstalter HOOD ergeben hat. Zum Teil hängt das damit zusammen, dass das Management RE zwar gerne nachhaltig in der Organisation verankern würde, aber dafür kein zusätzliches Budget locker macht.

grafik_hood2Der Ruf nach mehr Integration wird jedoch auch in der RE-Gemeinde lauter. Die Anwender, die an der Befragung teilnahmen, sind mit ihren RE-Tools nicht immer zufrieden. Sie wünschen sich bessere Schnittstellen zu den Werkzeugen und Systemen anderer Disziplinen, insbesondere zum Testmanagement, aber auch zu klassischen PLM-Funktionsbereichen wie Änderungsmanagement, Projektmanagement oder Dokumentengenerierung. Viele dieser Schnittstellen würden sich erübrigen, wenn man die Anforderungen direkt im PLM-Kontext erfasste und dokumentierte, aber das würde die etablierte Tool-Landschaft ziemlich über den Haufen werfen.

Wie sieht diese Landschaft aus? Die meist genutzten Anwendungen für RE und Anforderungsmanagement sind immer noch Excel und andere MS Office-Anwendungen, dicht gefolgt von IBM DOORS. Sie leisten den Anwendern zwar gute Dienste, weisen aber gerade in punkto Datenbankintegration und Prozessunterstützung Schwächen auf. Das erschwert zugleich den Austausch von Anforderungen zwischen Entwicklungspartnern, noch dazu wenn sie andere RE-Tools einsetzen. Abhilfe soll jetzt der ReqIF-Standard schaffen, den einige Tool-Hersteller bereits implementiert haben und den auch die PLM-Anbieter nutzen können, um Anforderungen standardbasiert aus den RE-Werkzeugen zu importieren bzw. an sie zu exportieren.

Denn eins ist klar: PLM wird die bestehenden RE-Werkzeuge auf absehbare Zeit nicht ersetzten, sondern allenfalls ergänzen. Einkauf, Entwicklung und anderen Abteilungen haben unterschiedliche Sichten auf die Anforderungen und nutzen unterschiedliche Anwendungen, um diese Sichten darzustellen. Wichtig ist jedoch aus Prozesssicht, dass zumindest die kritischen Anforderungen in der PLM-Umgebung wandern, um sie dort mit anderen Objekten verknüpfen und ihre Änderungsgeschichte nachvollziehen zu können. Dafür müssen die PLM-Anbieter neben eigenen Anforderungsmanagement-Funktionen entsprechende Integrationen bereit stellen.