Wandlungsfähig heißt zukunftsfähig

Nichts ist so beständig wie der Wandel. Daran hat sich seit Heraklit (ca. 500 v. Chr.), dem dieser Aphorismus zugeschrieben wird, nichts geändert – was eigentlich ein Widerspruch in sich ist. Wenn dem so ist, fragt man sich, warum wir uns an den Wandel so schwer gewöhnen.

Rund 60% der Unternehmen des deutschen Maschinen- und Anlagenbaus stehen nach eigener Einschätzung unter großem Transformationsdruck, doch nur 16% sehen sich auf eine bevorstehende Veränderung gut vorbereitet. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Erhebung des Institute for Transformation in Business and Society (INIT) der EBS Business School. Zwar haben die meisten Befragten Erfahrungen mit Veränderungsprozessen gesammelt, aber nicht immer die besten: Mehr als 40% ihrer Change-Projekte verfehlten die vorgegebenen Ziele, wobei sich eine hohe Korrelation zwischen erfolgreicher Transformation und wirtschaftlichem Erfolg des Unternehmens feststellen lässt.

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Mit freundlicher Genehmigung von FreeDigitalPhotos.net

Die Kompetenz des Managements ist deshalb nach Überzeugung der Autoren der Studie ein entscheidender Faktor für die Transformationsfähigkeit des Unternehmens. Wichtig ist aber auch der unternehmensinterne Wissensaustausch – und genau hier sehen sie mit den größten Handlungsbedarf. Das mag damit zusammenhängen, dass viele Unternehmen in den letzten Jahren so dynamisch gewachsen sind, dass sie mit der Weitergabe des Wissens an die neuen Mitarbeiter nicht nachkommen. Sie benötigen neue IT-Werkzeuge und Methoden, um das Wissen zu erfassen und unternehmensweit verfügbar zu machen – auch das unstrukturierte. Stichwort Enterprise Social Media. Es dürfte bei jungen Mitarbeitern auf weniger Vorbehalte treffen, und genau sie werden die Unternehmen verändern.

Worauf die Studie nicht näher eingeht ist, welche Veränderungen den Unternehmen genau bevorstehen. Darüber gibt eine andere Erhebung Auskunft, die die Marktforschungsfirma Oxford Economics im Auftrag eines namhaften PLM-Herstellers durchgeführt hat. Sie identifiziert die wesentlichen Transformationspfade, die die weltweite Fertigungsindustrie in den nächsten Jahren beschreiten wird. Neben der Neuausrichtung der Strategie, wie Unternehmen ihre Produkte entwickeln, sourcen, fertigen und warten, gehören dazu eine stärkere Gewichtung des Serviceangebots und die Nutzung der weltweiten Ressourcen, um mehr Innovationen hervorzubringen.

Um wandlungsfähig zu bleiben, müssen die Unternehmen ihre Innovationsfähigkeit steigern. Das heißt für die Maschinen- und Anlagenbauer nicht nur mehr neue Produkte zu entwickeln. Sie müssen bereit sein, ihre Geschäftsmodelle in Frage zu stellen, um diese Produkte mit innovativen Serviceleistungen kombinieren oder sogar gleich als Service anbieten zu können. Externe Ressourcen in den Innovationsprozess einzubinden, kann helfen, neue Wege zu finden. Sie müssen diesen Prozess aber auch konsequenter managen. Nicht von ungefähr kommt die INIT-Studie kommt zu dem Schluss, dass die Zukunftsfähigkeit des Maschinen- und Anlagenbaus auch von der Fähigkeit abhängen werde, Methoden und Tools eines modernen Innovationsmanagements zu nutzen. Dem wäre nur noch hinzuzufügen, dass eines dieser Tools die PDM/PLM-Lösung ist.

Die deutschen Maschinen- und Anlagenbauer sind international sehr erfolgreich, aber sie können sich nicht auf ihren Lorbeeren ausruhen, sondern müssen sich neu ausrichten, um von den Veränderungen der Märkte und dem rasanten technologischen Wandel nicht überrollt zu werden. Oder um es mit Lampedusas Gattopardo auszudrücken: Wenn wir wollen, dass alles so bleibt wie es ist, müssen wir alles verändern.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen fröhliche Festtage und ein innovatives Jahr 2014.

Viel Lärm um Nichts

Von meiner letzten Reise in die USA habe ich ein tolles, neues Schlagwort mitgebracht: Servitization. Es beschreibt die beinahe kafkaeske Verwandlung von Produkten, die immer mehr eingebettete Software enthalten und über das Internet der Dinge miteinander kommunizieren, in hybride Produkt- und Serviceangebote. Im Extremfall kauft der Gebäudebetreiber keine Klimaanlage mehr, sondern zahlt für die Klimatisierung eines bestimmten Raumvolumens. Der Hersteller übernimmt die Verantwortung für die korrekte Auslegung der Klimatechnik und die Wartung der Anlage. Sie ist mit zig Sensoren ausgestattet und meldet Unmengen an Daten zurück, aus denen intelligente Software-Lösungen dann die Auffälligkeiten (z. Bsp. ein offenes Fenster) herausfiltern.

An diese Brave New World musste ich denken, als ich in meinem Appartementzimmer in New York morgens um 5 Uhr durch die ratternde Klimaanlage geweckt wurde. Genau genommen wurde ich nicht durch sie geweckt, sondern durch den Verkehrslärm auf der 3rd Avenue, der etwa ab dieser Uhrzeit die Klimaanlage übertönte. Wer New York kennt, kennt auch die etwas vorsintflutliche Gebäudetechnik: Die mehrfach verglasten Schiebefenster werden einfach hochgeschoben und fest arretiert, um die kastenförmigen Klimaanlagen einzubauen, womit zwar das Leben des Untermieters gesichert ist, nicht aber das eigene Überleben im Brandfall, weil der Zugang zur traditionellen Feuerleiter vor dem Fenster blockiert ist. Es sei denn, man schafft es, sich durch den engen Spalt rechts oder links des Geräts zu zwängen, der nur mit einer dünnen Plastikblende verschlossen ist. Schall- und Wärme-Isolierung gleich null.

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Alte und neue Fassaden in New York. Bild: Wendenburg

Vergeblich versuchte ich, den Kopf unter das Kopfkissen zu stecken und noch ein bisschen weiter zu schlafen. Mein unsanft aufgeweckter Geist suchte fieberhaft nach einer innovativen Lösung zur Senkung des Geräuschpegels. Kissen in die Aussparungen rechts und links neben der Klimaanlage zu knuffen, war weder besonders innovativ noch effektiv. Mir kam der Vortrag eines hochrangigen Airbus-Mitarbeiters über des Kabinenkonzept für das Jahr 2050 in den Sinn: Die komfortablen Sitze im Airbus der Zukunft sollen durch Gegenschallwellen von plärrenden Kindern und schnarchenden Nachbarn abgeschottet werden. Wenn man doch die amerikanischen Klimaanlagen mit Geräuschsensoren ausstatten und die Schallwellentäler des notorischen Brummens mit den Wellenbergen des Straßenlärms synchronisieren könnte? Das wäre wirklich mal eine Innovation, die diesen Namen verdient, mit schön viel Elektronik und eingebetteter Software.

Man könnte die Vision noch weiter spinnen und aus den Big Data sämtlicher New Yorker Klimaanlagen und ihren Positionsinformationen die Verkehrsdichte der jeweiligen Avenue berechnen, um die Verkehrströme in der Stadt besser zu lenken. Das Verkehrschaos in New York ist zu bestimmten Zeiten nämlich unbeschreiblich. Die Klimaanlage würde zum Herzen eines komplexen cyberphysischen Verkehrsleitsystems. Es darf nur keiner auf die Idee kommen, den Straßenbelag auszubessern, um den Geräuschpegel zu senken. Das würde die Berechnung total verfälschen.

Was ich eigentlich damit sagen will, ist dass die technischen Innovationen im allgemeinen und ganz besonders das Internet der Dinge mit einer gewissen Zwanghaftigkeit zur Entwicklung von immer komplexeren Systemen führt. Das mag zwar gut sein für die Hersteller von PLM- und Service Lifecycle Management-Systemen, die davon leben, diese Komplexität wieder beherrschbar zu machen. Aber manchmal fragt man sich wirklich, ob es unbedingt notwendig ist, auch noch die letzte Glühbirne mit Internet-IP und Wifi-Ersatz auszustatten, um sie über eine App in unserem Smartphone individuell ansteuern zu können? Auch ohne den ökologischen Fußabdruck mit PLM berechnet zu haben, bin ich mir ziemlich sicher, dass Entwicklung und Fertigung dieser smarten Produkte mehr Gehirnschmalz und Energie verbraucht haben als sie je in ihrem Lifecycle einsparen werden.

Homo informaticus hat ein quasi sado-masochistisches Verhältnis zur Komplexität. Wir jammern ständig darüber, dass alles immer komplexer wird, lassen uns aber wollüstig stöhnend von Complexitas in Ketten legen. Zum Glück gibt es Rettung. Im Jahr 2020 sollen bereits 70 Prozent der weltweiten Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen aus den Emerging Countries kommen. Im Zuge von Globalisierung und Personalisierung der Produktentwicklung bringen die Unternehmen immer mehr Produkte für diese Länder auf den Markt, deren Innovation im wesentlichen darin besteht, dass sie einfacher und kostengünstiger sind. Und plötzlich stellt man fest, dass es in unserer entwickelten Welt dafür einen Markt gibt und importiert sie zurück. Auch dafür haben die Amis ein schönes Schlagwort kreiert: Reverse Innovation.

PLM überwindet kulturelle Barrieren

Die Vereinheitlichung von Systemen und Prozessen ist eine große Herausforderung bei PDM/PLM-Projekten und zugleich eine ihrer Zielsetzungen. Je größer und globaler die Unternehmen und je gewachsener um nicht zu sagen verwachsender ihre Strukturen, desto schwieriger erscheint diese Integrationsaufgabe. Zu den technisch-organisatorischen Hürden gesellen sich oft noch Sprachbarrieren und kulturelle Unterschiede. Dazu braucht man nicht in die Ferne zu schweifen – selbst unmittelbare Nachbarn unterscheiden sich in punkto Mentalität: Wo für uns “Piefkes” die Lage ernst, aber nicht hoffnungslos ist, ist sie für Österreicher allenfalls hoffnungslos, aber niemals ernst.

Die berühmte Verballhornung preußischen Denkens ist in der Alpenrepublik gelebte Wirklichkeit wie ich vor kurzem beim Besuch eines großen Österreichischen Konzerns feststellen konnte. Die Firma führt gerade im zweiten Anlauf PDM ein: Nicht mehr ein konzernweites System, sondern drei verschiedene Systeme, weil man erkannt hat, dass sich der Aufwand für die Vereinheitlichung nicht lohnt. Also hat man den Geschäftsbereichen die Systemwahl freigestellt, und einer hat sich für das Produkt entschieden, das bei der deutschen Tochtergesellschaft schon im Einsatz war.

Die Österreicher, das zeigte das Gespräch, sehen viele Dinge gelassener und handeln entsprechend pragmatisch, um nicht zu sagen hemdsärmelig. Das macht sie gerade so sympathisch. Wir Deutschen neigen dazu, unsere Prozesse viel stärker zu formalisieren, so dass sie sich wunderschön vereinheitlichen und in einer PDM-Lösung abbilden lassen. Natürlich sind wir dadurch in der Regel sehr effizient, was unsere Nachbarn durchaus anerkennen, aber wir verlieren auch ein Stück Spontaneität und Flexibilität. Dafür haben wir dann unsere Ad-hoc-Workflows.

Ein interessanter Aspekt bei dem standortübergreifenden PDM-Projekt des Österreichischen Unternehmens war, dass die harmonische Zusammenarbeit des Projektteams aus Mitarbeitern unterschiedlicher Ländern mehr zur Vereinheitlichung der Vorgehensweisen beigetragen hat als die jahrelangen Versuche, per ordre de mufti ein einheitliches System einzuführen. Das bedeutet nicht unbedingt das Ende aller Unterschiede, aber doch ein besseres gegenseitiges Verständnis dafür, warum die Kollegen an der anderen Standorten bestimmte Dinge so und nicht anders machen. Und auch die Bereitschaft, voneinander zu lernen. So werden die Österreicher bestimmte Zusatzfunktionen des Systems nutzen, die ursprüngliche für die deutsche Tochtergesellschaft entwickelt wurden.

Von anderen zu lernen, ist leider nicht unbedingt eine deutsche Tugend. Wir belehren lieber als dass wir uns belehren lassen – daran hat sich von Bismarck bis Merkel nicht viel geändert.  Dabei ließen sich aus dem ersten PDM-Anlauf der Österreicher durchaus Lehren für die erfolgreiche Abwicklung von großen IT-Projekten ableiten. Zum Beispiel dass die Harmonisierung kein Selbstzweck ist, sondern sich rechnen muss. Oder dass ein zentrales System, das es allen recht machen soll, leicht zu einem nicht mehr bedienbaren Moloch wird.

Gerade wir Deutschen sollten öfter mal die Schlagbäume hochreißen und hinschauen, wie die Anderen es machen. Wenn wir nämlich versuchen, Unternehmen in anderen Ländern zackzackig unsere Denk- und Arbeitsweisen überzustülpen, geht das meistens schief. Dafür gibt es prominente Beispiele, gerade aus der Automobilindustrie mit ihren straffen Strukturen: BMWs geplatzte Hochzeit mit Rover, Daimlers jahrelanger Ehekrieg mit Chrysler… Uns fehlt einfach das habsburgische Herrschaftswissen unserer Österreichischen Nachbarn, die sich vor kurzen in x-ter Ehe mit einem deutschen Unternehmen vermählt haben: Bella gerant alii, tu felix Austria nube – Kriege mögen andere führen, Du glückliches Österreich heirate.