PLM-Nutzen muss messbar sein

Vor ein paar Monaten hat Oleg Shilovitsky den PLM-Herstellern und ihren Lösungen in einem Blog-Beitrag vorgeworfen, dass sie sich mit dem Nachweis des Return on Invest (ROI) traditionell schwer tun. Kein neuer Vorwurf und einer, der dem Problem nicht ganz gerecht wird. Es sind nämlich nicht nur die PLM-Hersteller, sondern auch die Anwender selbst, die sich damit schwer tun.

Viele Unternehmen scheuen den Aufwand für die Berechnung des ROI, gerade weil sie einen möglichst schnellen ROI erzielen möchten. Nur scheinbar ein Widerspruch: Um die Nutzeneffekte der Investition exakt messen zu können, müssten sie erst die bestehenden Prozesse und ihre Schwachstellen genau analysieren und Kennzahlen für die Messung von Verbesserungen definieren. Das kostet Zeit und Geld, insbesondere wenn externe Berater involviert sind, weshalb die Analyse des Ist-Zustands meist recht rudimentär ausfällt.

Mit freundlicher Genehmigung von marcolm, freedigitalphotos.net
Mit freundlicher Genehmigung von marcolm, freedigitalphotos.net

Manchmal sind die Nutzeneffekte des PLM-Einsatzes so offensichtlich, dass die Unternehmen glauben, sich den Analyseaufwand schenken zu können. Der Geschäftsführer eines Anlagenbauers mit mehr als 150 PLM-Anwendern, der gerade ein aufwendiges Migrationsprojekt hinter sich gebracht hatte, sagte mir neulich auf die Frage nach dem ROI: „Die Investition war definitiv notwendig. Wenn jeder meiner Mitarbeiter dadurch auch nur zehn Minuten Zeit am Tag spart und wir gleichzeitig die Neuanlage von Artikeln reduzieren, brauchen wir über den ROI nicht mehr zu reden.”

In anderen Fällen ist die PLM-Investition unerlässlich, um den wachsenden Nachweispflichten nachkommen zu können. Gerade Automobilzulieferer müssen ihre Entwicklungsprozesse und die Ergebnisse minutiös dokumentieren– sonst laufen sie Gefahr, keine Aufträge mehr zu bekommen. PLM ist dabei von strategischer Bedeutung; wie schnell sich diese Investition bezahlt macht, spielt deshalb eine untergeordnete Rolle.

Erschwert wird der Nachweis des ROI auch noch durch ein anderes Phänomen: Der breiter werdende Funktionsumfang der PLM-Anwendungen und ihre zunehmende Verzahnung mit anderen Unternehmensanwendungen führt zu immer mehr Nutzeneffekten, die sich nur schwer quantifizieren und nicht mehr klar zuordnen lassen. Wie will man zum Beispiel die Produktivitätszuwächse messen, die sich daraus ergeben, dass jüngere Mitarbeiter dank PLM einfacher auf das Erfahrungswissen ihrer Kollegen zugreifen können? Bei Großunternehmen mit vielen Kostenstellen ergibt sich zudem das Problem, dass die Nutzeneffekte nicht unbedingt dort entstehen, wo die Kosten anfallen und auch genehmigt werden müssen.

Es geht bei der Analyse der Nutzeneffekte aber nicht nur um die Rechtfertigung einer einmaligen Investition, sondern auch und vor allem um die Frage, wie sich mit Hilfe von PLM die Effizienz der Produktentwicklung nachhaltig steigern lässt. Dazu müssen entsprechende Prozesskennzahlen definiert und kontinuierlich verfolgt werden. Eigentlich kein Hexenwerk, da die Basisdaten in der PLM-Lösung meist schon vorhanden sind und nur verdichtet werden müssen. Wann eine Änderung beantragt und wann sie abgeschlossen wurde, erfasst das System zum Beispiel automatisch. Es ist mithin ein Leichtes, die Durchlaufzeiten von Änderungsaufträgen zu berechnen.

Wie in meinem letzten Blog-Beitrag zu lesen, sind viele Führungskräfte mit dem Nutzen ihrer bisherigen PLM-Investitionen unzufrieden. Das gilt insbesondere für den Nutzen, den sie für ihre Führungsaufgaben aus den PLM-Daten ziehen. Der Accenture-Surveys erlaubt eine positive und eine negative Interpretation: Erfreulich ist, dass sich die Führungskräfte der strategischen Bedeutung der PLM-Lösungen und der in ihnen steckenden Informationen bewusst sind. Bedauerlich hingegen, dass viele PLM-Hersteller es offensichtlich noch nicht geschafft haben, ihnen geeignete Werkzeuge für die Nutzung dieser Informationen an die Hand zu geben. Ein flexibles Kennzahlenmanagement und gute Reporting-Funktionen sollten heute zum Standardumfang jeder PLM-Lösung gehören.

Datei- oder datenbankorientiert – ist das die Frage?

Auf dem diesjährigen ProSTEP iViP-Symposium hatte ich das Plaisir, einen ziemlich erbosten Dominique Florack zu interviewen. “Wenn die europäischen Unternehmen nicht endlich verstehen, dass die Zukunft der PLM-Technologie im datenbankorientierten Arbeiten liegt, setzen sie ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit aufs Spiel”, meinte der Mann, der als Senior Vice President Research & Development bei Dassault Systèmes maßgeblich für die Entwicklung der 3DExperience-Plattform verantwortlich ist. ERP- oder CRM-Systeme arbeiteten schließlich auch datenbankgestützt.

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Mit freundlicher Genehmigung Danilo Rizzuti, FreeDigitalPhotos.net

Obwohl ich Florack prinzipiell durchaus zustimmen würde, muss ich zu bedenken geben, dass die Frage des datei- oder datenbankorientierten Arbeitens in erster Linie eine Frage der Autorensysteme ist. Solange CAD-Systeme die Arbeitsergebnisse als Files ablegen, bleibt den PDM/PLM-Lösungen nichts viel anderes übrig, als sie dateibasiert zu verwalten. Aber genau da liegt der Hase im Pfeffer: Was Florack den bockigen Kunden (und uns Journalisten) mit der Cloud im Hinterkopf eigentlich sagen will ist, dass die Zukunft der CAD-Technologie im datenbankorientierten Arbeiten liegt. Um CAD in der Cloud betreiben zu können, brauche man eine andere Software-Architektur.

Auch dagegen wäre prinzipiell nichts einzuwenden, wenn es einen allgemein akzeptierten Standard dafür gäbe, wie der Content einer CAD-Konstruktion datenbankgestützt zu verwalten ist. Oder wenn die CAD-Hersteller ihre Verwaltungsstrukturen offen legen würden. Dann wäre der Kunde nicht gezwungen, ein bestimmtes Datenmanagementsystem (nämlich das seines CAD-Lieferanten) einzusetzen, um aus einzelnen Elementen wieder ein digitales Produktmodell aufzubauen, und er könnte sie auch datenbankgestützt austauschen. Denn es macht keinen Sinn, bei verteilten Entwicklungsprojekten erst datenbankorientiert zu konstruieren, um die Konstruktionen den Partnern in der Zulieferkette dann doch wieder dateibasiert zur Verfügung zu stellen. Dann wären wir wieder in den Anfangszeiten der 3D-Konstruktion, als die Modelle immer wieder platt geklopft wurden, um sie mit den Zulieferern zeichnungsbasiert austauschen zu können.

Ehrlich gesagt, bin ich skeptisch, dass wir einen solchen Standard und/oder das nötige Maß an Offenheit je sehen werden. Zwar haben inzwischen alle namhaften PLM-Hersteller den berühmten Codex of PLM Openness unterzeichnet, der in den letzten Jahren maßgeblich vom ProSTEP iViP-Verein vorangetrieben wurde, doch bezeichnenderweise wurde der CPO auf dem diesjährigen Symposium nicht mit einem Wort erwähnt. Oder wenn, dann so leise, dass ich es nicht vernommen habe. Man hätte gerne gewusst, welche Fortschritte Anwender und Anbieter bei der Umsetzung in den letzten 12 Monaten gemacht haben. Ist die PLM-Welt dadurch ein bisschen offener geworden?

Was das Thema Standardisierung anbelangt, erwähnte Florack STEP AP 242 als mögliche Referenz für die datenbankorientierte Engineering Collaboration; man müsse den Standard nur endlich richtig implementieren, statt ihn auf seine Funktionen für den (dateibasierten) Geometriedatenaustausch zu reduzieren. Das mag wohl sein, aber mir wäre nicht bekannt, dass Dassault ihren Kunden inzwischen die Möglichkeit bietet, CATIA V6-Daten STEP AP242-konform mit einem anderen PDM-System als ENOVIA V6 zu verwalten. Aber was nicht ist, kann ja noch werden, wenn die ISO-Normierung des neuen STEP-Standards erst einmal abgeschlossen ist.

Letztlich geht es aber nicht um die Frage, ob man PLM datei- oder datenbankorientiert betreibt, sondern darum, wie zugänglich die Informationen in der Datenbank sind – für den Erzeuger, dessen geistiges Eigentum sie sind, für seine Partner, die mit den Daten weiter arbeiten sollen, für künftige Anwender, die vielleicht auch noch in 50 Jahren noch darauf zugreifen müssen, und letztlich auch für andere PLM-Hersteller, die diese Daten eventuell in ihre IT-Lösungen migrieren sollen. Solange diese Offenheit nicht gegeben ist, werden die Unternehmen dem datenbankorientierten PLM-Ansatz misstrauen.

Produkt und Service verschmelzen

Immer mehr produzierende Unternehmen erkennen die Bedeutung des Service für ihren Markterfolg. “Wir setzen Akzente durch unsere Serviceführerschaft “, sagte mir neulich der PLM-Projektleiter eines mittelständischen Schweizer Maschinenbauers, der Klebstoff-Auftragssysteme herstellt und seine Kunden auch bei der Optimierung ihrer Klebeprozesse berät. Einige Mitbewerber verkaufen sogar nur noch Verbrauchsmaterialien und liefern die Maschinen gleich zusammen mit dem Klebstoff.

Produkte durch Dienstleistungen zu ergänzen oder sogar zu ersetzen, macht ökonomisch Sinn. Zunächst einmal erschließen sich produzierende Unternehmen zusätzliche Einnahmequellen. Sie steigern dadurch nicht nur ihren Umsatz, sondern auch und vor allem ihren Gewinn, weil die Margen im Servicegeschäft größer sind. Das belegt eine Studie von Deloitte aus dem Jahr 2006, der zufolge die Fertigungsunternehmen 26 Prozent ihrer Umsätze, aber 46 Prozent ihrer Gewinne mit Dienstleistungen erwirtschafteten.

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Power by the Hour: Rollce-Royce verkauft seinen Kunden keine Triebwerke, sondern Triebwerksstunden und kümmert sich selbst um die Wartung. (copyright © Rolls-Royce plc 2012)

Dienstleistungen haben außerdem den Vorteil, dass sie schneller und kostengünstiger bereit gestellt werden können als physische Produkte. Sie lassen sich nicht so einfach von Mitbewerbern in Billiglohnländern kopieren, weil sie eine entsprechende Infrastruktur und qualifiziertes Personal erfordern. Und sie unterstützen die Differenzierung des Produktangebots bzw. in Kombination mit Retrofitting die Verlängerung der Produktlebenszyklen. Die Qualität der Dienstleistungen trägt maßgeblich zur Intensivierung der Kundenbindung bei. Ein kompetenter und kulanter Service kann manchen Mangel des Produkts wettmachen und sorgt für eine höhere Kundenzufriedenheit.

Der Trend in der Fertigungsindustrie geht dahin, über das klassische Ersatzteil- und Wartungsgeschäft hinaus immer anspruchsvollere Dienstleistungen anzubieten, um die Kunden dauerhaft an sich zu binden. Amerikanische Marketing-Experten haben für die Kombination von Produkt- und Serviceangeboten, die unter dem Einfluss des Internets der Dinge zunehmend miteinander verschmelzen, den Begriff der Servitization geprägt. Im Extremfall zahlt der Kunde nur noch für das, was Prof. Tim Baines von der Ashton Business School, einer der führenden Servitization-Experten, die Customer Experience nennt. Die Befähigung des Kunden, zum Beispiel eine bestimmte Anzahl an Flaschen pro Monat abzufüllen oder Passagiere pünktlich mit dem Zug von A nach B zu befördern.

Die Kombination von Produkten mit anspruchsvollen Serviceangeboten bietet Fertigungsunternehmen neue Chancen, bedeutet aber auch neue Herausforderungen. Sie müssen ihre Geschäftsmodelle überdenken und treten unter Umständen in Wettbewerb zu Service-Providern, die diese Dienstleistungen auch bisher schon angeboten haben. Sie müssen lernen, wie ein Dienstleistungsunternehmen zu denken und zu handeln, was neue Mitarbeiter und Qualifikationen erfordert. Und sie müssen sich Gedanken darüber machen, wie sie ihr Risiko eingrenzen, d.h. wie sie sich vertraglich gegen Fehlbedienungen durch die Anwender absichern. Denn sie garantieren die Verfügbarkeit von Produkten, die sie in der Regel nicht selber betreiben oder bedienen.

Diese Herausforderungen lassen sich nur bewältigen, wenn Produktentwicklung und Service enger zusammen rücken. Das ist in erster Linie eine organisatorische Aufgabe, die aber IT-technisch unterstützt werden kann. Zum einen müssen Anforderungen an die Produkte, die sich aus neuen Serviceangeboten ergeben, schon frühzeitig in die Portfolioplanung und das Anforderungsmanagement einfließen. Zum anderen müssen Informationen aus dem Service, die für die Weiterentwicklung der Produkte relevant sind, wieder in die PLM-Umgebung zurückfließen. Aberdeen kommt in der erwähnten Studie zu dem Schluss, dass die Serviceorganisationen leistungsfähigere IT-Lösungen für Konzeption, Planung und Management ihrer Operationen benötigen. Sie brauchen auch leistungsfähige Integrationen zu den PLM-Lösungen, die allenfalls einen Teil dieser Aufgaben werden übernehmen können.