Mit PLM auf Wolke sieben?

Wenige IT-Themen werden dies- und jenseits des großen Teichs so unterschiedlich beurteilt wie die Nutzungsmöglichkeiten und das Nutzenpotential der Cloud für das Product Lifecycle Management. Die Amerikaner, die kurioserweise mehr Vorbehalte gegen das Internet-Banking haben als wir Deutschen, sind eher bereit, PLM-Funktionen aus der Cloud zu beziehen bzw. ihre PLM-Daten in die Cloud zu stellen. Böse Zungen behaupten, das sei nicht weiter verwunderlich, weil sie mehr Geld und weniger geistiges Eigentum zu verlieren haben als wir, aber das ist natürlich Unsinn. Es ist im vor allem eine (subjektive) Vertrauensfrage.

Objektiv betrachtet sind CAD- und PLM-Daten in der Cloud ebenso sicher wie in einem firmeneigenen Netz – sagen jedenfalls viele Sicherheitsexperten. Man könnte sogar argumentieren, dass sie dort wahrscheinlich sicherer sind, weil sich die Cloud-Betreiber aus wohlverstandenem Eigeninteresse viel intensiver um Datenschutz und Ausfallsicherheit kümmern als die meisten anderen Unternehmen. Natürlich sind IT-Service-Provider auch ein beliebtes Angriffsziel  für Datenpiraten. Aber ich bin überzeugt davon, dass mehr sensible Daten durch schlampigen Umgang mit ihnen (z. Bsp. durch liegen gelassene Laptops) als durch böswillige Hackerattacken verloren gehen.

plm_cloud(Bildquelle: InnoFour)

Dennoch stehen gerade in Deutschland viele Unternehmen der Cloud skeptisch gegenüber, obwohl sie das Potential zum Teil schon evaluieren. Auch ich gehöre eher zu den Skeptikern, bin allerdings davon überzeugt, dass sich die PLM-Branche dem allgemeinen Trend zum Cloud-Computing auf Dauer nicht wird widersetzen können. Was mich im Augenblick umtreibt ist die Frage, ob die Cloud den PLM-Anwendern wirklich den Nutzen bringt, den ihre Befürworter bzw. die wenigen Anbieter von Cloud-Lösungen ihnen versprechen. Ich habe da so meine (technisch begründeten) Zweifel.

Die wichtigsten Nutzeneffekte Cloud-basierter Lösungen sind Kosteneinsparungen für die (Nicht-)Anschaffung, Betrieb und Wartung von Hard- und Software, ein schnellerer Roll-out und die größere Flexibilität, dadurch dass die Unternehmen ihre IT-Ressourcen je nach Bedarf ohne Installationsaufwand ausweiten und auch wieder zurückfahren können. Die Installation atmet gewissermaßen ein und aus. Wie atmungsaktiv sie ist, hängt allerdings von der Art der Cloud ab. In einem privaten Wölkchen lassen sich die Ressourcen nicht so einfach umverteilen wie in einer öffentlichen Wolke. Wenn überhaupt werden PLM-Lösungen aber derzeit in einer privaten Cloud betrieben.

Die nächste Frage ist, wie viel an IT-Kosten sich tatsächlich einsparen lässt, wenn man neben einer Cloud-basierte PLM-Lösung eine lokale IT-Infrastruktur für CAx-Anwendungen und -Datenmanagement aufrecht erhalten muss. Daran führt aber zu Zeit kein Weg vorbei, erstens weil keiner der führenden PLM-Anbieter eine wirklich Cloud-fähige CAD-Lösung anzubieten hat und zweitens weil die PLM-Anwender zumindest hierzulande ohnehin nicht bereit wären, ihr Engineering-Know-how einem fremden Unternehmen anzuvertrauen. Ohne CAD in der Cloud ist PLM in der Cloud nur von eingeschränktem Wert: Eine interessante Option für PLM-Nachzügler, die die Technologie ohne eigene PLM-Installation nutzen möchten, oder für bestimmte PLM-Prozesse wie die Supply Chain Collaboration.

PLM in der Cloud ist meiner Einschätzung nach zur Zeit (noch) keine Alternative, sondern nur eine Ergänzung zu herkömmlichen Implementierungen. Es ist aber wahrscheinlich, dass nach und nach immer mehr PLM-Funktionen in die Cloud abwandern. Für die meisten PLM-Anbieter bedeutet das, dass sie ihre Lösungen erst mal fit für die Cloud machen müssen. Das sind sie nämlich nicht. Es ist nicht damit getan, sie in einer Cloud-Infrastruktur (IaaS) betreiben zu können – sie müssen auch die PLM-Software als Service anbieten. Dafür muss ihre Software aus dem Stand nutzbar sein, ohne sie vorher tagelang konfigurieren zu müssen. Außerdem muss die Architektur so modular aufgebaut sein, dass Kunden oder Drittanbieter die Möglichkeit haben, sie als Plattform für Anpassungen oder die Entwicklung von Zusatzanwendungen (PaaS) zu nutzen.

Die Unternehmen werden sich auf Dauer nicht mit einer PLM-Lösung „von der Stange“ begnügen, unabhängig davon, ob sie in der Cloud liegt oder nicht. Dazu sind ihre Produkte und Prozesse zu unterschiedlich. Eine Reisekostenabrechnung kann man vielleicht nach Schema F über das Internet abwickeln. Die Art und Weise, wie ein Unternehmen seine Entwicklungsprozesse organisiert, ist aber letztlich entscheidend für seine Wettbewerbsfähigkeit. PLM-Angebote aus der Cloud, die wirklich einen Nutzen für den Anwender erzielen wollen, müssen diesem Umstand Rechnung tragen. Sonst bleibt es bei wolkigen Versprechungen.

Einen ausführlichen Beitrag von mir zum Thema PLM in der Cloud finden Sie hier: (http://www.cadplace.de/Spezialthemen/Schwerpunktthema-Cloud/Hat-CAD-und-PLM-in-der-CLOUD-eine-Zukunft)

Wie neue Technolgien alte PLM Geschäftsmodelle zerstören

ID-10073462Wenn es prominente Beispiele für Hype-Themen gibt, dann gehört Cloud unbedingt dazu. Im PLM-Kontext gibt es zwar gute Gründe für gesunde Skepsis von wegen Know-How Schutz, Datenvolumina, Schnittstellen zu Drittsystemen usw. Aber es zeichnen sich auch interessante Perspektiven ab.

Dropbox ist nur ein Beispiel aus der wachsenden Familie der Angebote für Cloud Storage. Interessant zu lesen ist dazu ein Beitrag im MIT Technology Review „Dropbox Offers a Way to Free Data from Mobile Apps“:

“A new feature released with little fanfare last week provides new evidence that the company is working toward that vision. It also pitches the company into more direct competition with Apple. That feature, called the Sync API, allows mobile apps to save data to a user’s Dropbox account so that the app can be synched across multiple devices. If developers embrace the programming interface, using mobile apps might no longer mean leaving your personal files scattered among different devices.”

Das heißt nichts anders, als dass Anwendungen das Speichern von Dokumenten schlicht als Dienst betrachten und nutzen können. Das heißt auch, dass die für Anwender hinderliche Festlegung auf bestimmte Plattformen entfällt:

“The Sync API could also erode some of the restrictions imposed by the competing mobile ‘ecosystems’ of Apple and Google by making it easier to switch between them without leaving any data behind. For example, someone who had been using an image editing app for Apple’s iPad could install the same app on an Android tablet and find the edited photos on the new device.”

Aber machen Unternehmen wie Dassault im Moment nicht genau das Gegenteil: die Daten der Anwender in proprietären Speichern einschließen? Mein (hoffnungsvoller) Verdacht: Die Zeit wird kommen, wo das Speichern von Daten eine Allerweltsdienst sein wird, den Anwendungen über standardisierte Schnittstellen nutzen werden. Und wo die Unternehmen allein anhand Preis, Leistung, Service und Sicherheitsversprechen auswählen können. Das wird auch für PLM Daten, Dokument und Datenbanken gelten und damit dem Paradigma Offenheit eine ganz parktischen und konkreten Aspekt hinzufügen.Warum Anbieter im Gegenteil noch ein zukunftssicheres Geschäftsmodell sehen, ist mir nicht klar.

Beim Systems Engineering menschelt es

Wenn man verstehen will, warum Systems Engineering so in Mode ist, braucht man sich nur Produkte anzuschauen, mit denen wir uns täglich umgeben. Nicht nur im Automobil, sondern auch in Hausgeräten, medizintechnischen Apparaten oder Maschinen und Anlagen stecken immer mehr Funktionen, die durch Elektronik und Software gesteuert werden. Von elektronischen Konsumgütern ganz zu schweigen. Damit sind Elektronik und Software auch zur wichtigsten Ursache möglicher Fehler und Fehlfunktionen geworden.

Ein Beispiel? Mit meinem neuen Smartphone kann man kommunikationstechnisch so ziemlich alles machen, was man sich vorstellen kann – nur eines nicht: Telefonieren. Die Sprachqualität ist so hundsmiserabel, dass man sie nicht mal mit dem Umstand entschuldigen kann, dass es sich um ein vergleichsweise kostengünstiges Einsteigermodell handelt. Im Vergleich dazu bietet selbst mein dummes altes Finnen-Handy geradezu HiFi-Klangqualität. Nun frage ich mich natürlich, wer dieses Desaster zu verantworten hat?

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Immer mehr funktionsfähige Mobiltelefone werden ausrangiert. (Bild: iStocks)

Schuld bin natürlich in erster Linie ich selbst, weil ich die Katze im Sack gekauft habe bzw. den wohlwollenden Kritiken bei Amazon & Co. vertraut habe. Die waren bestimmt gesponsert. Aber in welchem Handyladen kann man die Geräte überhaupt noch testen? Geschweige den so ein ausgefallenes Gerät wie mein Dual Sim-Handy, das die Möglichkeit bietet, parallel zwei SIM-Karten zu betreiben. (Na ja, nicht wirklich parallel, wie ich inzwischen weiß). So ein Gerät scheuen die Provider wie der Teufel das Weihwasser, weshalb man sie auch nie im normalen Sortiment findet.

Der Hauptschuldige ist allerdings der Hersteller, dessen koreanischen Namen ich an dieser Stelle verschweigen möchte. Oder genauer gesagt, die Produktentwickler des betreffenden Unternehmens, die das Systems Engineering, das heißt die interdisziplinäre Entwicklung von komplexen mechatronischen oder cybertronischen Produkten wohl noch nicht so ganz beherrschen. Wobei kurioserweise die cybertronischen Systemkomponenten, die mein Handy wunderbar mit anderen Systemen vernetzen, wesentlich besser funktionieren als so banale Bauteile wie Mikrofon oder Lautsprecher. Von der Kameralinse ganz zu schweigen, die man getrost vergessen kann.

An welcher Stelle im Systems Engineering-Prozess das Desaster bei der Sprachübertragung meines Handys seinen Ausgang nahm, ist mir nicht ganz klar. Ich vermute mal schon im Requirements Engineering bzw. bei der Definition der Testkriterien zur Absicherung der Anforderungen. Vielleicht haben die Systemingenieure auch bei der Modellierung der Systemarchitektur mit SysML übersehen, dass sie die vorhandenen Systemfunktionen für die Sprachübertragung in einem neuen Kontext nicht einfach wieder verwenden können, sondern simulieren müssen, ob sie Zusammenspiel mit den neuen Funktionen noch ihren Dienst versehen. Dabei sollte doch klar sein, dass ein leistungsfähiges Konfigurationsmanagement der Schlüssel zur Wiederverwendung der SE-Artefakte darstellt.

Ich möchte an dieser Stelle also mal einen Engineering Change Request stellen, mit der Bitte, die Funktionen zur Sprachübertragung meines Handys in der nächsten Generation deutlich zu verbessern. Sonst muss ich schon wieder den Hersteller wechseln, was immer mit einem riesigen Aufwand für die Datenmigration verbunden ist. Nicht dass ich große Hoffnungen hege, dass mein ECR zügig in einen Änderungsantrag einfließen wird. Und selbst wenn, dann hätte die Änderung wahrscheinlich ungeahnte Folgen für andere Systemfunktionen. Dann könnte man vielleicht wieder wunderbar telefonieren, aber nicht mehr so gut navigieren.

Ein Tipp an den Hersteller: Um die Auswirkungen von solchen Änderungen frühzeitig beurteilen zu können, müssten die Werkzeuge und Methoden des Systems Engineering nahtlos in die PLM-Umgebung integriert werden, mit der die Änderungsprozesse gesteuert werden. Das weiß man zwar, aber davon sind die meisten Unternehmen noch ziemlich weit entfernt. Oder wie einer meiner Gesprächspartner neulich sagte: „Human Based Systems Systems Engineering machen wir schon lange. Jetzt geht es darum, in den IT-Systemen bzw. den zugrunde liegenden Modellen die Traceablílity zu erreichen.“