Soziale Netze und Big Data – ein PLM-Thema?

Viele Menschen nehmen fälschlicherweise an, im Internet sei alles gratis. Richtig ist, dass bezahlte Inhalte rar sind, weil kaum jemand bereit ist, für Informationen aus der Cloud zu zahlen. Stattdessen zahlen wir lieber mit Informationen über unsere Person, unsere Vorlieben und Interessen, unser Kaufverhalten etc, die wir bereitwillig auf Facebook & Co. posten, oft ohne uns bewusst zu sein, wie teuer uns das möglicherweise irgendwann mal zu stehen kommt. Dass die Suchbegriffe, die wir in Google eingeben, systematisch für Werbezwecke ausgewertet werden, ist nur die Spitze des Eisberges dessen, was mit „unseren“ Daten so alles getrieben wird. In Ermangelung international einheitlicher Datenschutzbestimmungen ist der einzige Schutz, der uns bleibt, die schiere Menge an entstehenden Daten.

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Die Sozialen Netze leisten einen maßgeblichen Beitrag dazu, dass sich die Datenmenge seit dem Urknall des Internets mit der Geschwindigkeit des Universums ausbreitet. Das meiste davon ist Abraum, aber die Unternehmen haben den gigantischen Datenberg als Goldmine entdeckt. Big Data – die Auswertung von Unmengen an unstrukturierten Daten, um ein paar Goldkörnchen Information zu entdecken – ist eine der großen Herausforderungen für die IT-Organisation, wie Dr. Ralf Brunken, stellvertretender IT-Leiter des Vokswagen-Konzerns, neulich auf dem ProSTEP iViP-Symposium in Hannover sagt. Interessanterweise nannte er dabei Big Data in einem Atemzug mit Social Media. Mit Hilfe von Social Analytics-Verfahren will der Automobilbauer seine Kunden besser verstehen und mehr über ihre Wünsche in Erfahrung bringen.

Aus Sicherheitsgründen findet die Auswertung der Daten aus den Sozialen Netzen vor den Feuerschutztüren des Firmennetzes statt.  Die firmeninterne Nutzung von  Social Media-Plattformen mit dem Ziel, die Mitarbeiter über bestimmte Themen zu vernetzen, spielt bei Volkswagen noch eine untergeordnete Rolle. Dennoch stellt sich damit über kurz oder lang die Frage, was mit der wachsenden Menge an unstrukturierten Daten im Unternehmen geschehen soll, die Firmeninternas, schützenswertes Know-how und möglicherweise sogar Informationen enthalten können, die aus produkthaftungsrechtlichen Gründen aufbewahrt werden müssen. Prof. Rainer Stark vom Fraunhofer IPK Berlin brachte es auf dem Symposium in einem etwas anderen Zusammenhang auf den Punkt: Die PDM/PLM-Lösungen der Zukunft werden auch unstrukturierte Daten managen (müssen).

Eine andere Frage ist, wie die Anwender in den Unternehmen mit der Informationsflut und vor allem mit der wachsenden Zahl an Kommunikationskanälen umgehen. Die heranwachsende Generation der Digital Natives ist sicher mehrkanalfähig – meine neunjährige Tochter schaffte es neulich, gleichzeitig mit (meinem) iPad, Notebook und PSP herumzuspielen und nebenbei noch die Simpsons im Fernsehen zu verfolgen. Wir älteren Semester sind mit den vielen Kanälen leicht überfordert. Neulich suchte ich verzweifelt in meinen Emails, dann in den Facebook-, LinkedIn-, SMS- und WhatsApp-Benachrichtigungen nach einer Adresse, von der ich sicher wusste, dass ich sie erhalten hatte. Ich fand sie schließlich in den aufgezeichneten Chats in Sykpe.

Je mehr Kommunikationskanäle wir nutzen, desto länger suchen wir nach Informationen und desto größer die Gefahr, wichtige Informationen zu übersehen. Natürlich ist es möglich, die Informationen visuell in einem Dashboard oder Cockpit zusammenzuführen; dafür gibt es heute schon Lösungen. Die eigentliche Herausforderung besteht jedoch darin, mit Hilfe intelligenter Algorithmen Zusammenhänge zwischen zusammen gehörigen Informationen aufzuspüren, ohne die Strukturen explizit herstellen zu müssen. Da sind auch die PLM-Hersteller gefordert, wenn sie künftig großen Mengen an unstrukturierte Daten mit ihren Informationsmodellen verknüpfen wollen.

Wie neue Technolgien alte PLM Geschäftsmodelle zerstören

ID-10073462Wenn es prominente Beispiele für Hype-Themen gibt, dann gehört Cloud unbedingt dazu. Im PLM-Kontext gibt es zwar gute Gründe für gesunde Skepsis von wegen Know-How Schutz, Datenvolumina, Schnittstellen zu Drittsystemen usw. Aber es zeichnen sich auch interessante Perspektiven ab.

Dropbox ist nur ein Beispiel aus der wachsenden Familie der Angebote für Cloud Storage. Interessant zu lesen ist dazu ein Beitrag im MIT Technology Review „Dropbox Offers a Way to Free Data from Mobile Apps“:

“A new feature released with little fanfare last week provides new evidence that the company is working toward that vision. It also pitches the company into more direct competition with Apple. That feature, called the Sync API, allows mobile apps to save data to a user’s Dropbox account so that the app can be synched across multiple devices. If developers embrace the programming interface, using mobile apps might no longer mean leaving your personal files scattered among different devices.”

Das heißt nichts anders, als dass Anwendungen das Speichern von Dokumenten schlicht als Dienst betrachten und nutzen können. Das heißt auch, dass die für Anwender hinderliche Festlegung auf bestimmte Plattformen entfällt:

“The Sync API could also erode some of the restrictions imposed by the competing mobile ‘ecosystems’ of Apple and Google by making it easier to switch between them without leaving any data behind. For example, someone who had been using an image editing app for Apple’s iPad could install the same app on an Android tablet and find the edited photos on the new device.”

Aber machen Unternehmen wie Dassault im Moment nicht genau das Gegenteil: die Daten der Anwender in proprietären Speichern einschließen? Mein (hoffnungsvoller) Verdacht: Die Zeit wird kommen, wo das Speichern von Daten eine Allerweltsdienst sein wird, den Anwendungen über standardisierte Schnittstellen nutzen werden. Und wo die Unternehmen allein anhand Preis, Leistung, Service und Sicherheitsversprechen auswählen können. Das wird auch für PLM Daten, Dokument und Datenbanken gelten und damit dem Paradigma Offenheit eine ganz parktischen und konkreten Aspekt hinzufügen.Warum Anbieter im Gegenteil noch ein zukunftssicheres Geschäftsmodell sehen, ist mir nicht klar.

Social PLM?

Der Hype um Social Media hat nicht nur Techies, Nerds und andere Internet-Eingeborene erfasst, sondern praktisch alle Gesellschaftsgruppen in allen Ländern rund um den Globus. Facebook hat demnächst vermutlich eine Milliarde(!) Anwender. Ob man das „Geplapper“ bei Facebook, Twitter und Co nun für dummes Zeug hält oder nicht: da ist eine Umwälzung im Kommunikationsverhalten und der Vernetztheit der Menschheit im Gange, deren Ausmaß und Folgen noch niemand richtig begreifen und abschätzen kann.

[youtube http://www.youtube.com/watch?v=rkkUV1dUoiE]

Update: leider ist das Video von Youtube entfernt worden. Auch ein Symptom … sie finden es bei Interesse, wenn Sie nach “ Social Media Revolution“ suchen

Sicher ist: ein großer Teil der Menschen, die heute PLM-Anwendungen verwenden, haben Erfahrung mit Sozialen Netzwerken. Und dieser Anteil wird in Zukunft ganz gewiss nicht kleiner.

Was bedeutet das für PLM und Entwicklungsprozesse, die ja ganz sicher auch und vor allem soziale Prozesse sind, in denen Menschen zusammen arbeiten? Zunächst mal wenig, denn natürlich wäre es eine Schnapsidee, die Zusammenarbeit mit Partnern demnächst über Facebook abwickeln zu wollen. Was sich verändert, sind die Erwartungen von Anwendern an die Informationstechnologie, die ihnen am Arbeitsplatz zur Verfügung steht. Schon lange ist ein einzelner, nicht in das Unternehmensnetz eingebundener Rechner mit Microsoft Office an Bord praktisch sinnlos, denn niemand verwendet seinen Rechner mehr dazu, Informationen zu erfassen, um sie anschließend auszudrucken und in das Rohrpostsystem zu stecken. IT wird in den Unternehmen vor allem für Kommunikation und Zusammenarbeit benutzt.

In den meisten Unternehmen sind die zentralen Anwendungen für Kommunikation und Zusammenarbeit einerseits Email, andererseits große Unternehmensanwendungen wie SCM, CRM, ERP und eben PLM, in denen Informationen zusammengeführt werden, um die wertschöpfenden Prozesse zu unterstützen. Daneben gibt es in vielen Unternehmen bereits Anwendungen, die weniger formal und prozessorientiert sind, indem zum Beispiel in einem unternehmensinternen oder sogar -übergreifenden Netzwerk Wikis, Kalender, Microblogs, leichtgewichtige Plattformen für den Austausch von Dokumenten und so weiter bereitgestellt werden.

Wenn man genau hinschaut, stellt man fest, dass gerade in Entwicklungsprozessen die „eigentliche Arbeit“ kommunikationsintensiv und informell ist. Zahllose Meetings, Emails, Telefonate und Gespräche in der Kaffeeküche machen das mehr als deutlich. In den „Kommunikationspausen“ werden mit Werkzeugen wie CAD Informationen erzeugt, abgestimmt und oft erst als fertiges Ergebnis in die Unternehmensanwendungen gestellt. Selbst dort, wo PLM funktionierendes CAD-Datenmanagement für Teams beinhaltet, werden Entwürfe per Email herumgereicht, weil die PLM-Anwendung zu unflexibel ist, man „noch keine Nummer vergeben will“ oder schlicht und ergreifend Angst davor hat, etwas vermeintlich unfertiges in ein „offizielles“ System einzustellen (nebenbei bemerkt adressiert Contact Softwares „Workspaces“-Konzept dieses Thema).

In Zukunft werden Anwender von den IT-Systemen an ihrem Arbeitsplatz in dieser Beziehung mehr verlangen, indem Erfahrungen mit „Social Media“ auf das Arbeitsumfeld übertragen werden: es ist gut, wenn in einem informelleren Rahmen Informationen in Form von Text, Bildern, CAD-Modellen, Dokumenten, Kommentaren, … ausgetauscht werden können. Dazu gehört, dass dieser Rahmen in weiten Bereichen selbst gestaltet werden kann, indem man wie bei Facebook seine „Freunde“ selber wählt, ein Team selbstständig eine Gruppe anlegen kann, man wie bei Twitter selbst entscheidet, welchen Nachrichtenströmen man folgt, und so weiter. Vor allem in räumlich verteilten oder unternehmensübergreifenden Konstellationen ergeben sich auch weitere Vorteile.

Unternehmen, denen es gelingt, diesen Erwartungen gerecht zu werden, die informelle, „soziale“ IT mit den etablierten (und notwendigen!) Unternehmensanwendungen wie PLM zu verbinden, werden sich vermutlich darauf freuen dürfen, langfristig die besseren Mitarbeiter und Prozesse zu haben.

Tja, und wie geht nun „Social PLM“? Jedenfalls nicht von allein, und auch nicht auf ein PLM-Systems beschränkt. Alle Unternehmensanwendungen müssen „sozialer“ werden. Es wird aber vermutlich nicht reichen, eine Stücklistenposition „liken“ zu können, oder eine Kommentierfunktion für CAD-Baugruppen vorzusehen. Wie ich hoffentlich andeuten konnte, sind Unternehmensprozesse die von Kommunikation geprägt sind, per se „sozial“ und damit aussichtreiche Kandidaten dafür, „soziale Technik“ erfolgreich einsetzen zu können. Wenn das nicht dazu führen soll, dass eine Unzahl an neuen Kommunikationskanälen die Mitarbeiter überfordert und frustriert, muss dazu vorhandene und neue Technik gescheit integriert werden. Das setzt Offenheit und die Orientierung an den bei diesem Thema alles dominierenden Internet-Paradigmen voraus (jedes Ding muss eine URL haben, RSS-Feeds, Integration von Email … um nur einige Stichworte zu nennen). Am wichtigsten ist es aber natürlich, eine offene Kommunikationskultur herzustellen und die Menschen zu ermutigen, mehr von ihrem Wissen preiszugeben und zusammen zu arbeiten.