Die Verwaltungsschale als Katalysator der Industrie 4.0

„Land der Dichter und Denker“ oder „Land der Ideen“: Deutschland ist sichtlich stolz auf seine Schriftsteller:innen, Wissenschaftler:innen und Ingenieur:innen. Und auf seine akribische Bürokratie, die auf absolute Präzision einer Aussage oder Angabe abzielt. In Kombination entstehen daraus bei der Benennung technischer Begriffe oft ungelenke Wortschöpfungen. Aktuelles Beispiel hierfür ist die „Verwaltungsschale“, deren innovatives Potenzial und zentrale Bedeutung für die Industrie 4.0 sich so nicht direkt erschließen lassen.

Was genau ist eine Verwaltungsschale?

Bei der Verwaltungsschale (VWS) handelt es sich nicht um eine verstaubte Verwaltungsbehörde, sondern um die sehr deutsche Übersetzung des englischen Begriffs „Asset Administration Shell“ (AAS). Die AAS ist eine standardisierte, vollständige digitale Beschreibung eines Assets. Ein Asset ist im Grunde alles, was sich als Teil einer Industrie 4.0-Lösung anschließen lässt (zum Beispiel Anlagen, Maschinen, Produkte sowie deren einzelne Komponenten). Die AAS enthält sämtliche Informationen und ermöglicht in einer vernetzten Industrie den Austausch und die Interaktion zwischen unterschiedlichen Assets, Systemen und Organisationen. Sie ist damit also so ziemlich das Gegenteil einer trägen Behörde und aktuell das Schlagwort in der digitalen Transformation.

Wie bei vielen neuen Themen gehen auch bei der Verwaltungsschale die Definitionen auseinander und sind recht weit gefasst. Von sehr konkret, wie der VWS als Umsetzung des Digitalen Zwillings für Industrie 4.0, bis hin zur lockeren Beschreibung der VWS als Datenstecker oder Integrationsstecker für digitale Ökosysteme.

Ich bevorzuge die Darstellung der Verwaltungsschale als ein Metamodel zur Selbstbeschreibung eines Assets. Mit diesem Metamodell können dann weitere Modelle erzeugt werden, um Informationen gesammelt bereitzustellen. Durch den Einsatz von Software werden diese Modelle dann zum „Leben erweckt“ und über Schnittstellen anderen zur Verfügung gestellt.

Konzept und Anwendung der Verwaltungsschale

Als digitales Abbild eines Assets stellt die Verwaltungsschale durch seine Teil- bzw. Submodelle Informationen oder Funktionen zu einem bestimmten Kontext bereit. Beispiele hierfür sind unter anderem digitale Typenschilder, technische Dokumente, die Komponenten- beziehungsweise Asset-Struktur, Simulationsmodelle, Zeitreihendaten oder auch nachhaltigkeitsrelevante Informationen wie der CO2-Fußabruck. Die Informationen entstehen entlang der verschiedenen Phasen des Lebenszyklus und es hängt vom konkreten Wertschöpfungsnetzwerk ab, welche Informationen zu einem Asset von Bedeutung sind. So werden Submodelle in bestimmten Lebenszyklusphasen initial erstellt, in darauffolgenden Phasen konkretisiert und ausgeprägt und im weiteren Verlauf um Informationen angereichert oder aktualisiert. Dabei bezieht sich die Verwaltungsschale mal auf eine sehr generische (Typ) oder eine sehr konkrete (Instanz) Darstellung eines Assets.

So wie sich Assets über die Zeit verändern (as-defined, as-designed, as-ordered, as-built, as-maintained), verändert sich auch die Verwaltungsschale. Damit können für ein und dasselbe Asset im Verlauf des Lebenszyklus mehrerer Verwaltungsschalen existieren. Um die Informationen in der Verwaltungsschale im Rahmen seines Wertschöpfungsnetzes zu nutzen, müssen diese zugänglich sein. Der Zugriff erfolgt meist über das Internet beziehungsweise über die Cloud (Repository-gehaltene VWS). Bei intelligenten Systemen kann die Verwaltungsschale auch Teil des Assets selbst sein (Asset-gehaltene VWS).

Der Informationsaustausch erfolgt dabei auf verschiedenen Wegen. Entweder über Dateien, sogenannte AASX-Files (VWS Typ 1), über eine Server-Client-Interaktion wie zum Beispiel via RestAPI (VWS Typ 2) oder mittels Peer-to-Peer-Interaktion (VWS Typ 3), bei der die Verwaltungsschalen unter Anwendung der sogenannten I4.0-Sprache eigenständig Kontakt zueinander aufbauen und kooperativ Aufgaben durchführen.

Während Typ 1 und 2 eine passive Rolle im Wertschöpfungsnetzwerk einnehmen und eher bei Repository-gehaltenen VWS im Einsatz sind, beschreibt Typ 3 eine aktive Teilnahme im Wertschöpfungsnetzwerk und wird eher bei Asset-gehaltene VWS mit intelligenten Produkten eingesetzt.

Gemeinsame Standards verbinden!

Für welche Art der Verwaltungsschale man sich auch entscheidet: Wichtig ist, dass Empfänger und Bereitsteller dieselbe Sprache sprechen. Dafür muss der Austausch konkreter Informationsinhalte standardisiert sein. In Anbetracht der Menge an unterschiedlichen Branchen, Szenarien, Assets und Funktionen sind das immens viele Teilmodelle, die es zu standardisieren gilt. Organisationen und Vereine wie die Industrial Digital Twin Association (IDTA), bestehend aus Forschungsinstituten, Industrieunternehmen und Software-Anbietern, nehmen sich dieser Mammutaufgabe an. Die rasant wachsenden Mitgliederzahlen sowie der rege Austausch auf Messen und Fachtagungen untereinander verdeutlichen den hohen Stellenwert für die Industrie. Hierbei gilt es klein- und mittelständige Unternehmen nicht abzuhängen, sondern bestmöglich in die Standardisierungsarbeit mit einzubinden.

Fazit

Die Verwaltungsschale ist zentraler Dreh- und Angelpunkt für erfolgreiche Industrie 4.0-Szenarien. Sie ermöglicht herstellerunabhängige Interoperabilität und vereinfacht die Integration aller Arten von Assets zu einem kollaborativen Wertschöpfungsnetzwerk. Sie steigert durch eine lückenlose Transparenz des Echtzeit-Zustands jedes Assets die Effizienz innerhalb der Produktionsprozesse. Und sie bietet darüber hinaus ein umfassendes Sicherheitskonzept zum Schutz der Daten. Innerhalb kürzester Zeit hat sich die Verwaltungsschale damit von einem theoretischen Konstrukt zu einer realen Anwendung in der Praxis gewandelt. Gemeinsam mit Partnern aus Forschung und Industrie arbeiten wir als Mitglied der IDTA und im Rahmen der Forschungsprojekte ESCOM und Flex4Res daran, sie in der industriellen Breite nutzbar zu machen.