Bürokratische Hürden für den Mittelstand

Ungeachtet der politischen Anstrengungen zum Abbau der Bürokratie wird die bürokratische Belastung gerade für kleinere und mittlere Unternehmen immer größer. Zu diesem Ergebnis kommt eine repräsentative Studie, die das Meinungsforschungsinstitut TNS Emnid im Auftrag des Software-Herstellers Sage in diesem Frühjahr durchgeführt hat. 69% der befragten Unternehmen gaben an, die Belastung sei in den letzten 12 Monaten stark oder sehr stark gestiegen. Es hat den Anschein, als sei das Monster nicht mehr zu bändigen.

Die Bürokratiebelastung wird von praktisch allen Unternehmen als hoch oder sehr hoch eingestuft. Aufgeschlüsselt nach verschiedenen Rechtsbereichen stehen Steuern und Sozialversicherung, Arbeitsschutz und -sicherheit sowie Statistik und Dokumentationspflichten an Spitze der der nach oben offenen Belastungsskala. Überraschend ist, dass Produktsicherheit, Zulassungen und Genehmigungen vor allem den Unternehmen im  Dienstleistungssektor zu schaffen machen, während der Aufwand für den Umweltschutz im produzierenden Gewerbe als besonders belastend empfunden wird, was nicht weiter verwunderlich ist.

Mit freundlicher Genehmigung Sira Anamwong, www.FreeDigitalPhotos.net
Mit freundlicher Genehmigung Sira Anamwong, www.FreeDigitalPhotos.net

Die Ergebnisse der Studie sind vor allem deshalb interessant, weil sie in einem eklatanten Widerspruch zum amtlich erfassten Bürokratiekosten-index stehen, der seit Jahren sinkt. Allerdings erfasst dieser Index nur die reinen Informationspflichten der Unternehmen und nicht den deutlich weiter gefassten Erfüllungsbedarf, das heißt den darüber hinaus gehenden Bürokratieaufwand und die damit verbundenen Folgekosten, wie Prof. Friederike Präsidentin des Instituts für Mittelstandsforschung (IfM) im Vorwort der Studie erläutert; das IfM hat die Studie wissenschaftlich begleitet.

Die deutschen Bürokraten sägen also fleißig weiter am Ast der Wohlstandseiche, auf dem sie selber sitzen, auch wenn sie sicher als letzte vom Baum fallen, weil sie praktisch unkündbar sind. Wenn es in Deutschland wenigstens die dehnbare Kaffeepause gäbe, die in meiner spanischen Wahlheimat den bürokratischen Arbeitseifer zwischen Vormittag und Siesta bremst. Um diese Zeit nehmen viele spanische Beamte ganz nebenbei Kontakt zur Geschäftewelt auf, was sie mit den Konsequenzen ihres bürokratischen Handelns auf das Wirtschaftsleben konfrontiert. Währenddessen widmen sich ihre deutschen Kollegen der ungezügelte Produktion von Gesetzen und Verordnungen, deren Zahl von 96% der Befragten als größte Belastung genannt wird.

Nicht nur die Zahl der Gesetze und Verordnungen, sondern auch ihre häufigen Änderungen und ihre mangelnde Verständlichkeit sind eine Belastung für die Unternehmen. Was die Befragten am meisten stört, ist der hohe zeitliche Aufwand und die Verlangsamung von Abläufen, die ihren vielleicht wichtigsten Wettbewerbsvorteil gefährdet: Die Fähigkeit, schnell und flexibel auf neue Markt- und Kundenanforderungen zu reagieren. Gerade größere mittelständische Unternehmen fühlen sich beim Zugang zu neuen Märkten und bei der Entwicklung von neuen Produkten und Dienstleistungen durch die Bürokratie gegängelt. Und immerhin ein Drittel der befragten Unternehmen hat aufgrund bürokratischer Hürden schon mal ein Projekt abgebrochen.

Ein starker Mittelstand ist eine der tragenden Säulen unseres wirtschaftlichen Wohlstands. Der zunehmende bürokratische Aufwand belastet damit auch unsere Wettbewerbsfähigkeit. Kleinere und mittlere Unternehmen können sich im Unterschied zu den Großunternehmen weder ein allumfassendes Qualitätsmanagement leisten, das sich um die Erfüllung aller möglichen Vorschriften kümmert, noch haben sie eine riesige Rechtsabteilung, um sich gegen die Konsequenzen eine eventuellen Nichteinhaltung rechtlich zur Wehr zu setzen. Ihnen bleibt meist nichts anderes übrig, als die bürokratische Belastung so hinzunehmen wie sie ist.

Zumindest im Bereich der Dokumentationspflichten bzw. der Produktsicherheit, Zulassungen und Genehmigungen, der gerade für Unternehmen in regulierten Märken sehr wichtig ist, können sie die Belastung durch  der Einsatz eines PLM-Systems aber spürbar senken.  Es stellt die Compliance von Produkten und Produkten mit den geltenden Bestimmungen sicher und vereinfacht auch die Erfüllung der Dokumentationspflichten. Diese Nutzeneffekte habe ich bei verschiedenen Anwenderinterviews festgestellt, auch wenn es sich meist um größere Unternehmen handelte.

Die Compliance-Anforderungen kleinerer und mittlerer Unternehmen unterscheiden sich nicht grundsätzlich von denen der großen. Allerdings benötigen sie eine einfach und schnell zu implementierende Einstiegslösung mit einem soliden Funktionsumfang, der flexibel ausgebaut werden kann, um weitergehende Anforderungen auf dem Gebiet des Compliance- und Qualitätsmanagements abzudecken. Dank moderner Software-Architekturen sollte das aber heute kein Problem mehr sein.

Die handschriftliche Signatur hat ausgedient

In Deutschland leben einer nicht mehr ganz aktuellen Veröffentlichung der Zeitung „Die Welt“ zufolge 2,3 Millionen Analphabeten und weitere 7,5 Millionen, die kaum mehr als ihren Namen schreiben können. Wenn das Beispiel von PISA-Vorbild Finnland Schule machen sollte, dürften es künftig sogar noch ein paar Millionen mehr werden. Die Finnen wollen ernsthaft die Vermittlung der Schreibschrift aus dem Lehrplan der Grundschulen streichen. Stattdessen sollen die Kinder mit allen Fingern tippen lernen, was bei der Größe einer normalen Handytatstatur eine echte Herausforderung darstellt.

Doch was ist mit der Unterschrift? Für die Gültigkeit von vielen Rechtsgeschäften ist immer noch die handschriftliche Namenszeichnung als Nachweis der Identität der betreffenden Person und der Authentizität des unterzeichneten Dokuments erforderlich. Sollen wir Verträge, die uns den Kopf kosten können, etwa wieder mit drei krakeligen Kreuzen unterzeichnen? Wie die Freibeuter in den alten Piratenfilmen, wenn sie – meist nicht ganz freiwillig – auf irgendeinem Seelenverkäufer anheuern?

Mit freundlicher Genehmigung von Jeroen van Oostrom, www.FreeDigitalPhotos.net
Mit freundlicher Genehmigung von Jeroen van Oostrom, www.FreeDigitalPhotos.net

Nein, so traurig es klingen mag, die handschriftliche Signatur hat keine Zukunft mehr. In einer Welt, in der fast alle Dokumente elektronisch erzeugt und verteilt werden, muss auch die Urheberschaft und ihre Unverfälschbarkeit elektronisch bezeugt werden. Sie auszudrucken, von Hand zu unterschreiben und wieder einzuscannen, was heute in vielen Geschäftsprozessen noch gängige Praxis ist, kostet nicht nur unnötig viel Papier. Es ist auch sehr zeitaufwendig, insbesondere wenn die Dokumente auf dem Postweg verteilt und von mehreren Personen an unterschiedlichen Standorten unterzeichnet werden müssen.

Drei elektronische Kreuze am Fuße einer Email reichen als Ersatz für die Unterschrift auf Papier natürlich nicht aus. Die Signaturverordnung der EU und die darauf aufbauende Signaturgesetzgebung der Bundesregierung unterscheiden einfache, fortgeschrittene und qualifizierte elektronische Unterschriften mit unterschiedlich strengen Auflagen hinsichtlich der Erstellung von Signaturschlüsseln und Signaturprüfschlüsseln sowie der Zertifizierung des Unterzeichners durch eine unabhängige Stelle. Finnland ist auch hier einen Schritt weiter: Unter bestimmten Bedingungen ist dort die elektronische Signatur mit dem Handy der handschriftlichen rechtlich gleichgestellt. Warum sollten die finnischen Kinder da noch Schreiben lernen?

Die Akzeptanz der elektronischen Unterschrift ist Voraussetzung für die Ablösung papierbasierter Geschäftsprozesse. Profitieren würden davon vor allem Unternehmen in streng regulierten Industrien wie der Medizintechnik oder der pharmazeutischen Industrie, die heute einen enormen Aufwand für die Dokumentation ihrer Produkte und Prozesse treiben müssen. Die elektronische Unterschrift würde die elektronische Bereitstellung der Dokumentation erleichtern.

In aller Regel akzeptieren die Zulassungsbehörden Dokumente mit fortgeschrittener elektronischer Unterschrift. Allerdings muss die signierende Partei nicht nur die Echtheit der digitalen Signatur und die Identität des Unterzeichners zweifelsfrei nachweisen, sondern auch den Entstehungsprozess der Dokumente zuverlässig protokollieren können. Es muss sichergestellt sein, dass nur autorisierte und eindeutig identifizierte Personen Zugang zu den elektronischen Aufzeichnungen (Records) haben, dass alle Änderungen auf ihre Quelle zurückgeführt werden können und dass die Aufzeichnungen und ihre Änderungsgeschichte im Rahmen der gesetzlichen Aufbewahrungsfristen wieder zugänglich gemacht werden können.

PLM-Systeme erfüllen die meisten dieser Anforderungen aus dem Stand. Sie verfügen über Rechteverwaltung, Versionskontrolle, Change Management etc. Ihre Workflow-Management-Funktionen bieten die Möglichkeit, komplexe Prüf- und Genehmigungsabläufe mit mehreren Beteiligten abzubilden. Die Integration eines digitalen Signaturverfahrens, das dem aktuellen Stand der Verschlüsselungstechnik entspricht, schafft also die Voraussetzung, um bei der Prüfung und Freigabe von Dokumenten und anderen PLM-Objekten auf die handschriftliche Signatur zu verzichten. Drei Kreuze brauchen die Mitarbeiter dann nur noch nach der nächsten Auditierung durch die Zulassungsbehörden zu machen.

Die Zeichnung ist nicht tot zu kriegen

Ich stimme meinem geschätzten Blogger-Kollegen Ralf Steck zu, der sich in seinem Beitrag zum Thema Model Based Definition (MBD) unlängst über die Ankündigung von Funktionen wundert, die er längst im Einsatz wähnte. Mir ging es vor ein paar Tagen ähnlich, als ich mit einen renommieren Hersteller von Antriebssträngen über die nächsten Schritte auf seiner PLM-Roadmap sprach und er das Thema MBD erwähnte. Man sollte nach 25 Jahren 3D-CAD-Einsatz meinen, dass sich die Unternehmen von der guten alten 2D-Zeichnung längst verabschiedet haben. Pustekuchen!

Steck nannte zwei wesentliche Gründe, warum die Zeichnung nicht sterben will. Eigentlich sind es sogar drei: „Zum einen ist die Zeichnung in vielen Fällen ein Vertragsbestandteil, beispielsweise zwischen Lieferant und Kunde, oder sie wird zum Archivieren genutzt. Der zweite [bzw. dritte] Grund sind die zusätzlichen Informationen, die heute sehr selten im 3D-Modell hinterlegt werden können: Form- und Lagetoleranzen, Oberflächenbeschaffenheit, Fertigungs- und Verarbeitungsanweisungen oder auch Kommentare.“

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Mit freundlicher Genehmigung Mister GC, www.FreeDigitalPhotos.net

Wenn man von der Archivierung einmal absieht, die im wesentlichen eine Frage der langzeitfähigen Datenformate und Speichermedien ist, sind die im 3D-Modell fehlenden Zusatzinformationen der Hauptgrund für die Unsterblichkeit der 2D-Zeichnung. Denn dass sie bei der Vergabe von Fertigungsaufträgen an Zulieferer immer noch Vertragsbestandteil ist, liegt vor allem daran, dass nicht alle fertigungsrelevanten Informationen zuverlässig in 3D kommuniziert werden können.

Ich würde aber noch einen weiteren Grund dafür anfügen, dass die 2D-Zeichnung nicht totzukriegen ist: In den meisten Unternehmen gibt es nur sehr rudimentäre Möglichkeiten, außerhalb der Produktentwicklung mit den 3D-Modellen zu interagieren. Visualisierungsfunktionen stehen längst nicht an jedem Arbeitsplatz zur Verfügung, weil die entsprechenden 3D-Viewer relativ kostspielig sind. Außerdem sind sie in aller Regel nicht gut genug in die PLM-Prozesse integriert, um beispielsweise Kommentare mit der kommentierten Modellversion in der PLM-Datenbank abspeichern zu können.

Es reicht deshalb meines Erachtens nicht aus, wenn die CAD-Hersteller sich des Themas annehmen und ihre Software um MBD-Funktionen ergänzt. Eine Sache ist nämlich die Anreicherung der 3D-Modelle mit Informationen, die man normalerweise auf der Fertigungs-, Montage- oder Prüfzeichnung findet. Eine andere die Kommunikation der angereicherten 3D-Modelle innerhalb des Unternehmens und in der Zulieferkette. Hier sind auch die PLM-Hersteller gefordert.

Gerade die Erfassung und Weitergabe von qualitätsrelevanten Informationen in den Unternehmen ist immer noch durch viele Medienbrüche gekennzeichnet, so dass die Papierzeichnung für die Mitarbeiter in der Qualitätssicherung fast unverzichtbar ist. Es macht aber meines Erachtens wenig Sinn, die fertigungsrelevanten Informationen am 3D-Modell zu kommunizieren, solange für die Kommunikation von Prüfmaßen und anderen Informationen für den Qualitätsprozess dann doch wieder Zeichnungen erstellt werden müssen.

Die Zuverlässigkeit der 3D-Kommunikation ist der Schlüssel zur zeichnungslosen Fertigung, Montage, Qualitätssicherung etc. Nur wenn gewährleistet ist, dass bei der Konvertierung und Weitergabe der 3D-Modelle keine Informationen verloren gehen oder verfälscht werden können, werden Hersteller und Zulieferer sie als Vertragsgrundlage akzeptieren. Ein Beispiel mag die Problematik verdeutlichen: Ein Hersteller von Karosserieteilen, den ich vor einiger Zeit besuchte, definierte die Oberflächenbeschaffenheit durch Farbkodierungen am 3D-Modell. Bei Änderungen stellte er seinen Zulieferern Ansichten dieser Modelle in einem Neutralformat zur Verfügung. Dabei zeigte sich, dass die Farben in den abgeleiteten Modellen nicht immer korrekt dargestellt wurden. Man hatte also keine Gewähr, dass hinterher die Qualität der Oberflächen stimmte.

Die 3D-Kommunikation muss nicht nur zuverlässiger, sondern auch einfacher und intuitiver werden. Ein guter Ansatz, 3D-Modelle an möglichst jedem Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen, erscheint mir die Integration von 3D-Visualisierungsfunktionen in die  PLM-Systeme. Sie bietet zum Beispiel die Möglichkeit, nicht-geometrische Informationen wie Materialien oder den Freigabestatus eines Bauteils am 3D-Modell zu veranschaulichen. Eine offene Frage ist allerdings, wie diese mit PLM-Informationen angereicherten Modelle geltungsgesichert in der Zulieferkette bereit gestellt und archiviert werden können. Hier gilt das eben Gesagte: Wenn die Zuverlässigkeit nicht gegeben ist, wird sich niemand darauf verlassen wollen.