Langzeitarchivierung – kurz beleuchtet

Der Produktlebenszyklus endet eigentlich nicht mit Verschrottung oder Recycling, sondern mit der Löschung der letzten Unterlage im (elektronischen) Archiv. Deshalb habe ich mich immer gefragt, warum die meisten PLM-Hersteller beim Thema Langzeitarchivierung so kleinlaut werden. Darüber könnte man doch stundenlang diskutieren.

 Leider ist das Thema zu lang und zu zeitraubend für einen Blog-Beitrag, also werde ich die Idee gleich wieder archivieren. Aber da fangen die Probleme schon an. Wie kann ich später nachweisen, dass es meine Idee war? Ich sollte sie unbedingt digital signieren, am besten mit einer qualifizierten elektronischen Signatur, aber dazu brauche ich erst mal ein Zertifikat und einen meiner Person zugeordneten Prüfschlüssel von einem autorisierten Zertifizierungsdienstleister. Also doch besser ausdrucken, unterschreiben und in den Papierordner abheften? Aber was mache ich mit den ganzen Emails, die ich für den Ideenaustausch genutzt habe?

 Image
                                                                                    (Bild: iStock)

Und überhaupt, wie lange archiviert man Ideen eigentlich? Am besten mache ich sie schnell zu Geld, dann brauche ich die Unterlagen für das Finanzamt nur zehn Jahre aufzubewahren. Wenn ich ihr nämlich Flügel verleihe und sie abhebt, dann gelten bestimmt die strengen Regeln der Luftfahrtbehörden und sie landet lebenslänglich im Archiv. Gebrannt auf ein einmal beschreibbares und hoffentlich auch im 22. Jahrhundert noch ohne Glaskugel lesbares Medium. Wie DVDs und Laufwerke im Jahr 2112 wohl aussehen werden, frage ich mich? Wird es sie überhaupt in der heutigen Form noch geben?

 In welchem Format ich meine Idee archivieren soll, ist mir auch nicht ganz klar. Ich bringe sie gerade mit einem nicht mehr ganz taufrischen Texteditor zu Papier, pardon auf die Platte. Ob ich sie als doc.ument ohne X-tension in ein paar Jahrzehnten noch werde öffnen können, können mir nicht mal die aus Redmond sagen. Also besser in PDF konvertieren? Für das Konzept kein Problem, doch was mache ich mit den Flügeln, die meiner Idee wachsen? Das können ziemlich komplexe mechanische Gebilde sein; sie werden üblicherweise in 3D beschrieben, und dafür gibt es überhaupt noch kein langzeittaugliches Format.

 Je länger ich darüber nachdenke, desto klarer wird mit, dass das Thema Langzeitarchivierung eine Frage der Prozessorganisation ist. Mir wird wohl nichts anderes übrig bleiben, als meine Idee im Laufe ihres Archivlebens immer mal wieder in ein anderes Format zu konvertieren und auf ein aktuelleres Speichermedium zu migrieren. Doch wie weise ich hinterher nach, dass die Idee bei diesen Metamorphosen nicht verfälscht wurde? Ein Bekannter meinte neulich, ich solle meine ganze Dokumentenlogistik doch einfach mit PLM organisieren, dann könne ich jederzeit nachweisen, dass meine Prozesse regelkonform gewesen seien. Keine schlechte Idee. Ich muss ihn unbedingt fragen, wie er die archiviert hat und in welchem PLM-System. Hoffentlich in einem, das eine lange Zukunft hat.

Die Kreativität wird ausgebremst

Sind Sie ein kommunikativer Mensch? Dann sollten Sie, wenn Sie Ingenieur sind, unbedingt in der Automobilindustrie Arbeit suchen. Dort können Sie einen Großteil der Arbeitszeit mit der Kommunikation und Koordination verbringen, erstens weil die Entwicklungsprojekte immer komplexer und zweitens weil immer mehr Aufgaben an Systemlieferanten und Zulieferer vergeben werden. Leider kommt darüber das kreative Arbeiten zu kurz – jedenfalls empfinden die Betroffenen das so.

Die meisten Ingenieure verbringen weniger als 20 Prozent ihrer Arbeitszeit mit der Lösung technischer Problemstellungen, was eigentlich ihre (Lieblings-)Aufgabe ist. Das untermauert jetzt eine groß angelegte Studie zum Thema Kollaborative Produktentwicklung und digitale Werkzeuge, die das Fraunhofer IPK mit Unterstützung von CONTACT Software und VDI durchgeführt hat. Rund 1.400 Ingenieure aus unterschiedlichen Branchen nahmen an der Online-Befragung teil – rund ein Viertel davon aus der Automobilindustrie, deren Aussagen als erste ausgewertet wurden. Ich habe die (vorläufigen) Ergebnisse schon mal sichten dürfen.

Bild

Dass den Ingenieuren immer mehr administrative und organisatorische Aufgaben aufgebürdet werden, ist keine neue Erkenntnis. Das erzählt einem jeder Konstrukteur, den man interviewt. Was mich überrascht hat, ist, wie stark die Kreativität durch die vielen „Nebentätigkeiten“ ausgebremst wird. Wobei man natürlich berücksichtigen muss, dass viele der Befragten in leitenden Positionen tätig sind. Sonst hätten sie vielleicht gar keine Zeit gehabt, den Fragebogen auszufüllen.

Bestürzend finde ich, dass die Ingenieure der Schuh dort am stärksten drückt, wo sie seit langem Hühneraugen haben. Viele empfinden die Beschaffung von Informationen als besonders belastend, sie erhalten Daten nicht oder nicht in der richtigen Form und werden vor allem über Änderungen nicht rechtzeitig informiert. Da fragt man sich, wozu all die tollen PDM/PLM-Lösungen dienen, die die Unternehmen in den letzten Jahren eingeführt haben? Entweder sind nicht alle Informationen drin, die sie brauchen, oder sie sind zu schwierig zu finden. Google-ähnliche Suchfunktionen über alle Informationen im Unternehmen sind nicht umsonst ein Herzenswunsch der Ingenieure.

Die Zukunftsideen der Ingenieure verraten viel über die Defizite der Gegenwart. Sie wünschen sich ein Projekt-Management, das die Zuständigkeiten, Arbeitsumfänge und Projektfortschritte transparenter macht. Sie möchten auf das Erfahrungswissen aus vergangenen Projekten leichter zugreifen können. Und sie möchten das auch dann tun, wenn sie außer Haus sind. Alles Wünsche, von denen man angenommen hätte, sie seien dank PLM längst erfüllt. Sie seien den Softwareherstellern ins Stammbuch geschrieben, aber auch den Unternehmensleitungen, die nicht immer verstehen, welche Werkzeuge ihre Ingenieure wirklich brauchen und wie sie beschaffen sein müssen.

Facebook, Twitter & Co. gehören nicht dazu – auch das hat die Studie zutage gefördert. Vielleicht befürchten die Ingenieure, dass sie vor lauter Kommunikation sonst gar nicht mehr zum Arbeiten kommen.

Das Spiel mit den PLM-Marktzahlen

Die amerikanische Marktforschungsfirma CIMdata veranstaltete unlängst in Stuttgart Ihr diesjähriges PLM Vendor Forum, um die deutsche Anbietergemeinde über die aktuellen Markttrends zu informieren. Ihren Zahlen zufolge wuchs der weltweite PLM-Markt im Jahr 2010 um 9,7 Prozent und erreichte ein Volumen von 25,8 Milliarden US-Dollar. Schwellenländer, neue Branchen jenseits der Fertigungsindustrie und der Trend zu ökologischer Produktentwicklung bieten den PLM-Herstellern laut CIMdata weiterhin gute Wachstumschancen.

CIMdata teilt den PLM-Markt grundsätzlich in drei Kategorien ein, nämlich Tools (CAD, CAM, CAE, AEC, EDA etc.), Digital Manufacturing und collaborative Product Development management (cPDm), das heißt Lösungen für das Lifecycle-Management von Daten und Prozessen. Während der PLM-Gesamtmarkt (einschließlich Bauwesen und Elektronik-Design) den Schätzungen der Marktforscher zufolge um 9,7 Prozent auf 25,8 Milliarden US-Dollar wuchs, legte das cPDM-Segment um 10,1 Prozent zu und erreichte ein Volumen von 8,73 Milliarden US-Dollar. Etwas schwächer fiel das Wachstum im Geschäft mit den Tools aus, in dem insgesamt 16,3 Milliarden US-Dollar umgesetzt wurden. Das Digital Manufacturing-Geschäft konnte auch 2010 die Wachstumshoffnungen nicht erfüllen und erreichte nur 474 Millionen US-Dollar (plus 5 Prozent).

Die stärksten Zuwächse verzeichnete das PLM-Geschäft 2010 im asiatisch-pazifischen Raum, der im Rezessionsjahr 2009 allerdings auch den stärksten Einbruch hatte hinnehmen müssen. Nord- und Südamerika liegen weiterhin knapp vor der Region EMEA (Europa und Naher Osten). Ein etwas anderes Bild ergibt sich, wenn man nur den so genannten Mainstream-PLM-Markt (ohne EDA, AEC, CASE und reine cPDm-Lösungen) betrachtet: Hier dominiert die Region EMEA mit einem Marktanteil von etwa 40 Prozent. Der Mainstream-Markt erreichte im letzten Jahr ein Wachstum von 8,5 Prozent und ein Volumen von 16,3 Milliarden US-Dollar.

Das Wachstum des PLM-Gesamtmarktes wurde im Jahr 2010 stärker durch den Verlauf neuer Software-Lizenzen als durch das Servicegeschäft getrieben. Nach Einschätzung von CIMdata wird das in den nächsten Jahren eine Welle von Folgeinvestitionen in Dienstleistungen auslösen. Insbesondere das cPDM-Geschäft ist nach wie vor sehr Service-lastig. Im Schnitt erwirtschaften die Anbieter 60 Prozent ihrer Umsätze mit Dienstleistungen, wobei der Serviceanteil bei den reinen cPDm-Anbietern kurioserweise deutlich niedriger liegt (23 Prozent), während Systemintegratoren und Wiederverkäufer ihr Geld hauptsächlich damit verdienen, was auch nicht weiter verwunderlich ist. CIMdata erwartet für das cPDm-Geschäft in den nächsten fünf Jahren ein durchschnittliches Wachstum von 9,3 Prozent pro Jahr.

Was die Rangliste der weltweit größten PLM-Anbieter anbelangt, so gibt es keine großen Überraschungen, vor allem wenn man berücksichtigt, dass hier die Umsätze mit Tools wie CAD einfließen. Nach der Übernahme der PLM-Vertriebsorganisation von IBM ist Dassault die Nummer eins, gefolgt von Autodesk, Siemens PLM Software, PTC, SAP und Oracle. Neu ist nur, dass CIMdata Autodesk in die Gruppe der so genannten PLM Mindshare Leader aufgenommen hat, da das Unternehmen sich nicht mehr nur als Tool-Anbieter versteht. Das ändert allerdings nichts an der Tatsache, dass die Firma den Löwenanteil ihrer Umsätze nach wie vor mit CAD-Tools generiert. Ordnet man die Rangliste nach den PLM-Umsätze schieben sich die drei großen EDA-Anbieter Synpsys, Cadence und Mentor Graphics unter die ersten zehn und auch IBM taucht als PLM-Serviceanbieter wieder auf.

Wenig Nutzen aus Anwendersicht
CIMdata hat sich angewöhnt, die Marktzahlen entsprechend den Wünschen der PLM-Anbieter aufzubereiten. Womit sich mir die Frage stellt, welchen Nutzen sie eigentlich für die Anwender von PLM-Lösungen haben? Meines Erachtens keinen großen, weil sich die der Markterhebung zugrunde liegende PLM-Definition einseitig an den Interessen der großen Softwareanbieter mit ihrem Bauchladen von Werkzeugen orientiert und nicht an den Kundenanforderungen hinsichtlich des Product-Lifecycle-Managements. Ich habe noch keinen Anwender getroffen, der mir auf die Frage nach seiner PLM-Strategie geantwortet hätte, er führe gerade ein neues 3D-CAD-System ein. Wohl aber, dass er mit seinem PDM-System künftig auch die Vertriebs- und Serviceprozesse unterstützen möchte.

Der Kunde sucht keinen Anbieter von möglichst vielen PLM-Tools, sondern einen Hersteller, der vielleicht gar keine eigenen Autorenwerkzeuge anbietet, aber dafür in der Lage ist, den Lebenszyklus seiner Produkte möglichst durchgängig, das heißt im Idealfall von der Angebotsphase bis zum Recycling zu unterstützen. Der eine offene Systemumgebung bietet, die mit anderen Unternehmensanwendungen integrierbar ist oder sie vielleicht sogar ersetzen kann. Was nützt ihm da eine Rangliste, in der unter den zehn führenden PLM-Anbietern vier oder fünf große Tool-Entwickler aufgeführt sind, deren eigentliches PLM Portfolio nur ein Add On ist?

Ich will damit sagen: Die vorherrschende PLM-Definition, die unter dem Oberbegriff auch alle Produktdaten erzeugenden Anwendungen subsumiert, gehört dringend auf den Prüfstand. Und wenn schon Autorensysteme, warum nicht auch MS Word oder Excel, mit denen Unmengen von produktrelevanten Informationen erzeugt und zum Teil schon mit PDM-Unterstützung verwaltet werden? Dann wäre halt Microsoft die Nummer eins im PLM-Markt.