Vernetzung bedeutet Autonomieverlust

Digital Twin oder digitaler Zwilling ist das jüngste Ferkelchen, das die PLM-Hersteller durchs Dorf treiben. Wer den Begriff erfunden hat, weiß ich nicht, aber sicher nicht Bundespräsident Joachim Gauck, der ihn im Jahr 2013 in seiner vielgeachteten Rede zum Tag der Deutschen Einheit erwähnte. Er spielte damit auf die Abbildung unseres realen Ichs in den sozialen Netzwerken an und warnte vor den Gefahren, die daraus für unser Privatsphäre erwachsen können. „Vernetzung bedeutet Autonomieverlust“ weiterlesen

Mangelnde Effizienz in der Produktentwicklung

Die Innovationen im deutschen Maschinen- und Anlagenbau sind teuer erkauft. Fast vier von zehn Entwicklungsprojekten laufen aus dem Ruder, was Liefertermine, Herstellungskosten, Entwicklungsbudgets oder Qualitätsvorgaben anbelangt; viele reißen die Meßlatte gleich mehrfach. Das sind die beunruhigenden Ergebnisse einer Studie von VDMA und Staufen AG zum Thema Lean Development im deutschen Maschinenbau. Sie zeigt außerdem ein sehr starkes Gefälle zwischen dem Durchschnitt der befragten Maschinen- und Anlagenbauer und der Spitzengruppe der besten 20 Unternehmen.

Mit freundlicher Genehmigung suphakit73, www.FreeDigitalPhotos.net
Mit freundlicher Genehmigung suphakit73, www.FreeDigitalPhotos.net

Die Ergebnisse der Studie sind Wasser auf die Mühlen der PLM-Hersteller. Die Hälfte der acht untersuchten Handlungsfelder offenbart Verbesserungspotentiale, die durch den konsequenten Einsatz der PLM-Technologie erschlossen werden könnten. Eines knüpft unmittelbar an das Thema meines letzten Blogbeitrags an: Die Reduzierung der unnötig großen Variantenvielfalt durch intelligente Produktbaukästen, die sich vor allem auf die Herstellungskosten positiv auswirken würde. Zwar verwenden angeblich 80 Prozent der Unternehmen in der Produktentwicklung Modularisierung und Baukästen, aber die Module sind noch nicht produktübergreifend genug nutzbar.

„Die Unternehmen im Maschinen- und Anlagenbau entwickeln immer noch zu sehr aus dem Bauch heraus. Es fehlt ihnen die konsequente und systematische Steuerung von der Idee bis zur Produkteinführung „, urteilt Studienleiter Dr. Andreas Romberg von der Staufen AG. Diese Lücke im Innovationsprozess ließe sich durch ein PLM-integriertes Ideenmanagement relativ einfach schließen. Eine systematische Bewertung und Priorisierung von Ideen könnte die Innovationsrate verzehnfachen, weil die Unternehmen sich auf die wichtigen Dinge konzentrieren würden. Das wäre auch deshalb nötig, weil im Maschinenbau nur sechs von 100 offizielle Ideen zu einem erfolgreichen Produkt werden.

Gerade kleinere Unternehmen verlieren sich oft im Kleinklein des Projektalltags und merken es nicht mal. Weniger als die Hälfte hat die gleichzeitige Planung, übergreifende Steuerung und Überwachung von mehreren Projekte professionell organisiert, obwohl ein effizientes Multiprojektmanagement maßgeblich zu einer Verbesserung der Termintreue beitragen würde. Die Projekte werden nicht nach Bedeutung, sondern Dringlichkeit abgearbeitet. Es fehlt es an der nötigen Transparenz im Projektgeschehen und an vor allem an belastbaren Kennzahlen, um die Projektfortschritte bewerten zu können. Und das obwohl die meisten PLM-Systeme heute umfassende Projektmanagement-Funktionen bereitstellen. Man muss sie halt auch nutzen.

Eines der Handlungsfelder, in dem die Maschinen- und Anlagenbauer noch besonders großen Handlungsbedarf aufweisen, ist das Shopfloor Management, verstanden als eine effektive und effiziente Kommunikation von Informationen, Störungen und Abweichungen nach festgelegten Regeln und unter Nutzung visueller Management-Techniken. Gerade einmal 30 Prozent der Unternehmen nutzen Shopfloor Management als zentrales Führungs- und Steuerungsprinzip des Lean Developments, obwohl es ein wichtiger Stellhebel für die fristgerechte Fertigstellung von Entwicklungsprojekten ist. PLM-Systeme erscheinen mir als die geeignete Plattform zu sein, um solche regelbasierten Kommunikationsprozesse abzubilden, zumal sie häufig schon Funktionen für das Issue Management beinhalten.

Natürlich ist die Effizienz in der Produktentwicklung des Maschinen- und Anlagenbaus nicht nur ein PLM-Thema. Die Studie zeigt eine Vielzahl von organisatorischen Ansatzpunkten für Effizienzverbesserungen auf, die ich hier nicht näher erläutern möchte. Wichtig erscheint mir aber hervorzuheben, dass PLM einen maßgeblich Beitrag dazu leisten kann, die Trefferquote von Entwicklungsprojekten in Maschinen- und Anlagenbau zu verbessern. Das ist die Voraussetzung, um nachhaltig innovativ zu sein.

PLM muss große und kleine Fische unterstützen

Von PLM-Lösungen für den Mittelstand zu sprechen, verleitet leicht zu falschen Schlüssen. Mittelständische Unternehmen haben grundsätzlich die gleichen PLM-Anforderungen wie Großunternehmen, denn sie entwickeln ähnlich komplexe Produkte, meist in einer riesigen Zahl kundenspezifischer Ausprägungen. Sie sind als Zulieferer in komplexe globale Wertschöpfungsketten eingebunden und haben oft selbst Entwicklungs- oder zumindest Fertigungsstandorte in anderen Ländern. Und sie müssen in aller Regel dieselben Qualität- und Compliance-Anforderungen erfüllen wie ihre Auftraggeber. Deshalb brauchen sie keine funktional abgespeckten PLM-Lösungen, die sich im wesentlichen auf CAD-Daten- und Dokumenten-Management und vielleicht ein paar  Workflows beschränken, sondern das volle PLM-Programm. Nicht von ungefähr haben einige PLM-Hersteller ihre schnell geschnürten Mittelstandspakete wieder in der Versenkung verschwinden lassen.

bigfishNatürlich gibt es Unterschiede. Mittelständische Unternehmen haben normalerweise keine großen IT-Abteilungen, die ein monatelanges PLM-Projekt unterstützen können. Die Implementierung liegt meist in den Händen junger, engagierter Mitarbeiter aus den Fachabteilungen, die über wenig Erfahrung im Projekt- und Change-Management verfügen. Dafür sind, im Unterschied zu Großunternehmen, die Mauern zwischen den Abteilungen weniger hoch, so dass sich abteilungsübergreifende Prozesse einfacher reorganisieren lassen. Und die Geschäftsleitung ist erfreulich oft nahe am PLM-Projektgeschehen und stärkt dem Projektteam in kritischen Phasen den Rücken.

Was bedeutet das nun für die PLM-Hersteller und Ihre „Mittelstandslösungen“? Zunächst einmal brauchen sie kompetente Mitarbeiter mit Projekterfahrung, die den Kunden bei der Umsetzung der Projektschritte beraten und unterstützen und gegebenenfalls sogar die (Co-)Projektleitung übernehmen können. Agilität ist die Stärke des Mittelstands – das muss auch für das Projektmanagement gelten. Voraussetzung ist natürlich ein PLM-System das von der Software-Architektur und den Entwicklungswerkzeugen ein agiles Vorgehen bei der Implementierung zulässt.

Vorkonfigurierte Lösungen haben den Vorteil, dass sie sich schnell ausrollen lassen. Aber dieser Vorteil darf nicht durch mangelnde Flexibilität erkauft werden. Natürlich kann es zweckmäßig sein, die Prozesse im Zuge der PLM-Implementierung auf den Prüfstand zu stellen, aber wenn es sich um erprobte Prozesse handelt, die vielleicht sogar einen Vorsprung des Unternehmens im Wettbewerb ausmachen, muss die Software diese Prozesse abbilden können.

Was den Funktionsumfang anbelangt, so ist eine modulare Plattform mit Basisfunktionalität und ergänzenden Anwendungsmodulen die beste Gewähr für eine skalierbare PLM-Installation, die mit den Anforderungen des Unternehmens wachsen kann. Die Möglichkeit, Funktionalität nachzurüsten, beschleunigt den Rollout und verkürzt den ROI. Ich habe in den letzten Monaten verschiedene Unternehmen besucht, die das Projektmanagement zunächst nur als Struktur für eine projektorientierte Ablage der Daten und Dokumente produktiv genutzt haben, um erst im zweiten Schritt ein umfassendes Projektmanagement mit Terminverfolgung, Kostenkontrolle und Aufwandserfassung zu implementieren. In einigen Fällen werden inzwischen sogar Vertriebsprojekte im PLM-System angelegt, so dass der gesamte Produktentstehungsprozess von der Angebotsphase bis zur Auslieferung durchgängig unterstützt wird.

Interessanterweise sieht man solche umfassenden PLM-Implementierungen häufiger im Mittelstand als bei Großunternehmen. Das wiederum hängt meiner Einschätzung nach mit den flacheren Strukturen zwischen den Abteilungen und der größeren Aufmerksamkeit des Managements für das PLM-Thema zusammen. Wenn sich mittelständische Unternehmen für eine PLM-Implementierung entscheiden, werden die Projekte in aller Regel sehr konsequent durchgezogen. In diesem Sinne würde man sich mehr „Mittelstandslösungen“ bei Großunternehmen wünschen.