Die Unternehmen der Automobilindustrie beschäftigen sich intensiv mit der digitalen Transformation, und dabei geht es nicht mehr nur um Industrie 4.0 und die intelligente Vernetzung der Fertigung, sondern um die Umgestaltung der Unternehmensprozesse und Geschäftsmodelle. Wie intensiv, das wurde auf dem diesjährigen ProSTEP iViP-Symposium in Stuttgart deutlich, an den über 660 Besucher aus 19 Ländern teilnahmen. Ein neuer Rekord, und sicher nicht der letzte. Viele Vorträge spiegelten die Sorge wider, dass disruptive Technologien wie das Internet of Things (IoT) zur Verdrängung der alten Platzhirsche durch neue Herausforderer führen könnten. Der Erfolg von Tesla hat die Branche aufgeschreckt und der Name Nokia steht wie ein Menetekel an der Wand.
Nokia ist kein Einzelfall: Die Hälfte der Top 500-Unternehmen sei seit 2000 vom Markt verschwunden, versicherte Prof. Michael Abramovici von der Ruhruniversität Bochum unter Berufung auf Accenture. Natürlich ist daran nicht nur der technologische Wandel schuld – auch die globale Finanzkrise hat zu dem einen oder anderen Begräbnis erster Klasse geführt. Richtig ist aber auch, dass der Trend zur smarten Vernetzung von Produkten und Dienstleistungen in den Krisenjahren zur Entstehung Tausender neuer Firmen geführt hat, von denen manche heute schon mehr Wert sind als ein gestandenes Industrieunternehmen.
Ein wichtiger Wachstumstreiber für das Geschäft mit IoT-basierten Lösungen ist das, was Innovationsforscher Stefan Liske die Demonetarisierung der Technologie nannten: Der dramatische Preisverfall von Sensorik, Rechnerleistung und Speicherplatz führt dazu, dass so gut wie alles mit jedem über das Internet vernetzt werden kann – solange noch freie IP-Adressen verfügbar sind. Aber auch diese Limitation wird mit dem neuen Internet-Standard IPv6 pulverisiert. Gleichzeitig senkt der Preisverfall die Eintrittshürden für neue Marktteilnehmer, die den etablierten Herstellern mit smarten Produkten und Dienstleistungen das Leben schwermachen.
Die neuen Player können am Markt wesentlich agiler agieren als die alten Hasen, weil sie keine Rücksicht auf bestehende Geschäftsmodelle zu nehmen brauchen. Erfolgreiche Unternehmen tun sich hingegen schwer, ihre erfolgreichen Geschäftsmodelle umzukrempeln, weil das notwendigerweise ihr traditionelles Geschäft kannibalisiert. Wenn Michelin bestimmten Kunden keine Reifen mehr verkauft, sondern optimierte Laufleistung, denn freut das nicht alle im Unternehmen, weil der Reifenabsatz tendenziell zurückgeht. Üblicherweise werden solche neuen Geschäftsmodelle deshalb in einer separaten Organisation umgesetzt.
Der Schlüssel zum Erfolg dieser neuen Geschäftsmodelle sind die Sensordaten, die smarten Produkte erfassen und via Internet zurücksenden. Wer diese Daten kontrolliert, der macht das große Geschäft, und das müssen nicht zwangsläufig die Hersteller der Produkte sein. Das digitale Rennen könnten am Ende die Betreiber mächtiger Plattformen wie Google oder Amazon gewinnen, die sich zwischen Hersteller und den Kunden schieben und die Daten nutzen, um eigene Services anzubieten. Die Plattform-Hoheit sei kritischer für den Erfolg als die smarten Produkte und Dienstleistungen, betonte Frank Riemensperger von Accenture. Sie ermögliche überhaupt erst die Transition zu Product as a Service-Modellen.
Eine spannende Frage ist, was diese Transition für die IT-Organisation und die Systembebauung bedeutet? Zahlreiche Referenten meinte, dass es künftig eine IT der zwei Geschwindigkeiten geben werde – auf der einen Seite stabile Backbone-Systeme zur Unterstützung kritischer Geschäftsprozesse, auf der anderen Seite agile Apps, die eine schnelle, wenn auch vielleicht nicht immer perfekte Customer Experience ermöglichen. Monolithische PLM-Systeme sind mit dem Spagat zwischen Stabilität und Agilität überfordert. Im Trend liegen föderierte PLM-Systeme, die über Smart Data Layer intelligent vernetzt sind, so dass Informationen gar nicht mehr ausgetauscht und synchronisiert zu werden brauchen.
Voraussetzung dafür sind offene Systeme und die Unterstützung von neuen Standards wie OSLC, wie Dr. Siegmar Haasis von Daimler sagte. Das scheint inzwischen sogar die Bundesregierung so zu sehen. Kröner Abschluss der diesjährige Veranstaltung war die Ankündigung, dass das Ministerium für Wirtschaft und Energie die Schirmherrschaft über die Kompatibilitätsinitiative Code of PLM Openness (CPO) des ProSTEP iViP-Vereins übernommen habe. Ein Ritterschlag für den Verein, wie mein Blogger-Kollege Ralf Steck in seinem EngineeringSpot ganz richtig bemerkte.