Warum das Pferd vom Schwanz aufzäumen?

Erst kommt die Pflicht des Produktdatenmanagements und dann als Kür das Product Lifecycle Management (PLM). Das war lange Zeit die meist praktizierte Best Practice der PDM/PLM-Implementierung. Aber war es auch die erfolgreichste Vorgehensweise? In Anbetracht vieler Projekte, die im Kleinklein von CAD-Integration, Datenmigration etc. stecken geblieben sind und nie oder erst mit Verspätung die weiter gesteckten PLM-Ziele erreicht haben, möchte man das manchmal bezweifeln.

Natürlich war es für viele Unternehmen in den frühen Jahren der PLM-Technologie naheliegend, erst mal mit PDM zu beginnen, weil hier der Leidensdruck am größten war. Aber dadurch fehlte manchen Projekten die strategische Dimension und auch die notwendige Aufmerksamkeit beim Management. Neidvoll schauten PLM-Anbieter und -Anwender dann immer auf die rauschende ERP-Party in Nachbars Garten, für die kein finanzielles Feuerwerk zu groß und kein Zeitplan elastisch genug sein konnte.

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Erfreulicherweise scheint sich das zu ändern, weil viele Führungskräfte inzwischen mit dem Thema PLM in Berührung gekommen sind und den Nutzen der Technologie erkannt haben. Neulich war ich bei einem namhaften Hersteller von Hydrauliksystemen, der die Konsolidierung seiner heterogenen CAD-Landschaft und die CAD-Integration bewusst zurückgestellt hat, um im ersten Schritt eine unternehmensweite PLM-Lösung zur besseren Unterstützung des Angebotsprozesses und der Projektabwicklung zu implementieren. Das sieht man noch nicht oft, aber immer öfter.

Die Wahl der Prioritäten wurde auch in diesem Fall durch den Leidensdruck diktiert, aber es war nicht der Leidensdruck der Ingenieure, sondern der des Managements. Aufgrund der heterogenen IT-Systeme und -Prozesse an den Standorten hatte die Unternehmensleitung keinen guten Überblick über die ausstehenden Angebote, die gewonnenen Aufträge und den Stand der laufenden Entwicklungsvorhaben. Die Informationen mussten immer mühsam zusammengetragen werden und waren dadurch nie auf dem aktuellen Stand. Oberstes Ziel der PLM-Einführung war es deshalb, die Angebotserstellung zu beschleunigen und die gewonnenen Aufträge kontrollierter durch den Entwicklungsprozess zu steuern.

Die aktive Unterstützung durch das Management beeinflusste nicht nur die Prioritätensetzung, sondern war auch entscheidend für den (schnellen) Projekterfolg. Aber es war nicht der einzige Erfolgsfaktor, wie mir der Projektleiter sagte. Wichtig sei auch gewesen, dass das Projekt weder von Engineering-, noch von IT- oder Projektmanagement-Abteilung allein vorangetrieben wurde, sondern von einer Querschnittsfunktion unter Berücksichtigung aller Bereiche und unter aktiver Einbeziehung von Anwendern der verschiedenen Standorten. Mit den Methoden des agilen Projektmanagements konnten ihre Anforderungen sehr schnell umgesetzt werden, was für eine gute Akzeptanz der Lösung sorgte.

Mit dem Management im Rücken und der richtigen Vorgehensweise lässt sich PLM heute schneller implementieren als manches PDM-System der ersten Stunde. Ein halbes Jahr nach dem offiziellen Projektstart wurde das Projektmanagement für den Angebotsprozess an allen Standorten des Unternehmens produktiv geschaltet. Damit arbeiteten auf einen Schlag mehrere Hundert Mitarbeiter aus Vertrieb, Einkauf, Engineering, Prozessplanung und Logistik mit der PLM-Lösung.

Zugegebenermaßen war das nur der erste Projektschritt, aber es dauerte nur wenige Monate bis alle standortübergreifenden Entwicklungsprojekte mit PLM-Unterstützung abgewickelt wurden. Wohlgemerkt noch ohne die CAD-Daten im Projektkontext zu verwalten. Die CAD-Integration soll erst jetzt in diesem Jahr in Angriff genommen werden, auch wenn das Thema schon bei der Systemauswahl eine wichtige Rolle spielte.

Für mich war das eine wichtige „Lesson Learned“, denn ich war lange Zeit der Meinung, dass ein sauberes Produktdatenmanagement zwingende Voraussetzung für eine effiziente Produktentwicklung sein sollte. Vielleicht ist es umgekehrt besser: Erst die Prozesse sauber strukturieren und dann die IT-Systeme und Daten integrieren? Das mag das nicht für alle Fälle zutreffen, aber es ist zumindest eine Überlegung wert.

17 Gedanken zu „Warum das Pferd vom Schwanz aufzäumen?“

  1. Sehr geehrter Herr Wendenburg,

    schade eigentlich das es der Botschaft „Lesson Learned“ bedarf um zu jenen Erkenntnissen zu gelangen, zu welcher der von Ihnen beschriebene Hydraulikhersteller gekommen ist, auch wenn ich diesen Ansatz, aus meinen in den letzten 15 Jahren gemachten Erfahrungen als PDM-Projektleiter bei einem mittelständischen Automobilzulieferer, nur teilen kann.
    Seitens der Prozesswelten gilt es allerdings zu unterscheiden ob ein Unternehmen Hersteller eines Endproduktes ist und somit weitgehendst, bei der Einführung eines PDM/PLM-Systems, auf eine homogene Prozesslandschaft aufsetzen kann, oder ob man innerhalb der „Supply Chain“ auch die Prozesse von unterschiedlichen Kunden (bei uns „Automotive-OEM“) berücksichtigen muß.

    Wenn sich dann im Hause des Zulieferers zwischenzeitlich das eigene Produktportfolio von rein mechanischen um Komponenten des Elektronikbereichs erweitert hat, gilt es diese beiden Entwicklungswelten, im Rahmen des „PEP“, für das „Mechatronische Gesamtprodukt“ zusammenzuführen. Hierbei sind nicht nur die unterschiedlichen CAD-Systeme zu betrachten um z. B. aus beiden Systemen, im Rahmen der Datenverwaltung via „PDM“, eine gemeinsame Fertigungsstückliste zu generieren, vielmehr gilt es vor diesen „technischen Tasks“ die „Schnittstelle-Mensch“ zu betrachten, zumal ein Maschinenbauer von Haus aus, sowie über seinen Studiengang, nun einmal ein anderes Basiswissen und somit ein anderes Gedankengut bei der Produktentwicklung/- Entstehung mit einbringt, als sein Kollege aus der „Elektronik und/oder Softwarefraktion“.
    Dies schlägt sich in Summe letztendlich auch im Projektmanagement nieder, zumal zum Steuern der einzelnen Projekte jenes „heterogenes Wissen“ aus dem Bereich der gesamten Entwicklung vorausgesetzt wird. Der relevante Projektleiter muß zum Managen seines Tagesgeschäftes zudem noch die Belange der am PEP beteiligten Abteilungen und deren MA berücksichtigen.
    Dies funktioniert allerdings nur, wenn alle relevanten Abteilungen (Einkauf, Vertrieb, QS, Prozessplanung, …) mit dem gleichen Werkzeug unterwegs sind und somit auf eine redundanzfreie Datenbasis zurückgreifen, mit welcher auch eine Angebotserstellung realisiert werden kann.
    Die Plattform hierfür kann in der heutigen Zeit meiner Meinung nach nur noch mit „DB-Systemen“ realisiert werden, welche seitens der Funktionalität ähnlich strukturiert sein sollten, wie die heutigen PDM/PLM-Systeme. Ob zu Beginn eines Projektes das PDM-System mit den Basisdaten (Teilestamm, Benennung, etc.) über das hauseigene ERP-System gespeist wird um Mehr/-fehleingaben zu vermeiden, gilt es unternehmensspezifisch zu entscheiden.
    Durch die oben beschriebene Komplexität fällt es jedoch vielen (mittelständischen) Unternehmen, welche derzeit ihre „PEP-Daten“ noch konventionell im Filesystem auf Massenspeichern ablegen, sehr schwer eine geeignete Lösung für das eigene Haus zu finden, welche dann auch längerfristig eingesetzt werden kann, zumal diese seitens der verbundenen Komplexität, oftmals überfordert sind.
    Hier ist vor der Einführung solcher Systeme die Unterstützung von sog. „PDM/PLM-Markt“- und je nach Branche „Prozesskennern“ gefragt, jene Spezi also, von welchen es mittelfristig, nicht nur durch die demografische Entwicklung, scheinbar immer weniger geben wird.

    1. Sehr geehrter Herr Burkhardt,

      vielen Dank für Ihren ausführlichen Kommentar, der einmal mehr unterstreicht, dass es den Königsweg bei der PLM-Einführung nicht gibt und nicht geben kann, weil die Ausgangssituation und Anforderungen jedes Unternehmens andere sind. Dennoch bin ich der Meinung, dass es eine Reihe von Erfolgsfaktoren gibt, die für alle PLM-Projekte gelten. Dazu gehören ein starker Management-Rückhalt, die Einbeziehung der Mitarbeiter (möglichst aller betroffenen Bereiche und Standorte), eine klare Prioritätensetzung, eine agile Projektabwicklung und ein gutes Projektmarketing. Ihnen fallen bestimmt noch ein paar weitere Faktoren ein:-).

      Herzliche Grüße
      Michael Wendenburg

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