PLM überwindet kulturelle Barrieren

Die Vereinheitlichung von Systemen und Prozessen ist eine große Herausforderung bei PDM/PLM-Projekten und zugleich eine ihrer Zielsetzungen. Je größer und globaler die Unternehmen und je gewachsener um nicht zu sagen verwachsender ihre Strukturen, desto schwieriger erscheint diese Integrationsaufgabe. Zu den technisch-organisatorischen Hürden gesellen sich oft noch Sprachbarrieren und kulturelle Unterschiede. Dazu braucht man nicht in die Ferne zu schweifen – selbst unmittelbare Nachbarn unterscheiden sich in punkto Mentalität: Wo für uns „Piefkes“ die Lage ernst, aber nicht hoffnungslos ist, ist sie für Österreicher allenfalls hoffnungslos, aber niemals ernst.

Die berühmte Verballhornung preußischen Denkens ist in der Alpenrepublik gelebte Wirklichkeit wie ich vor kurzem beim Besuch eines großen Österreichischen Konzerns feststellen konnte. Die Firma führt gerade im zweiten Anlauf PDM ein: Nicht mehr ein konzernweites System, sondern drei verschiedene Systeme, weil man erkannt hat, dass sich der Aufwand für die Vereinheitlichung nicht lohnt. Also hat man den Geschäftsbereichen die Systemwahl freigestellt, und einer hat sich für das Produkt entschieden, das bei der deutschen Tochtergesellschaft schon im Einsatz war.

Die Österreicher, das zeigte das Gespräch, sehen viele Dinge gelassener und handeln entsprechend pragmatisch, um nicht zu sagen hemdsärmelig. Das macht sie gerade so sympathisch. Wir Deutschen neigen dazu, unsere Prozesse viel stärker zu formalisieren, so dass sie sich wunderschön vereinheitlichen und in einer PDM-Lösung abbilden lassen. Natürlich sind wir dadurch in der Regel sehr effizient, was unsere Nachbarn durchaus anerkennen, aber wir verlieren auch ein Stück Spontaneität und Flexibilität. Dafür haben wir dann unsere Ad-hoc-Workflows.

Ein interessanter Aspekt bei dem standortübergreifenden PDM-Projekt des Österreichischen Unternehmens war, dass die harmonische Zusammenarbeit des Projektteams aus Mitarbeitern unterschiedlicher Ländern mehr zur Vereinheitlichung der Vorgehensweisen beigetragen hat als die jahrelangen Versuche, per ordre de mufti ein einheitliches System einzuführen. Das bedeutet nicht unbedingt das Ende aller Unterschiede, aber doch ein besseres gegenseitiges Verständnis dafür, warum die Kollegen an der anderen Standorten bestimmte Dinge so und nicht anders machen. Und auch die Bereitschaft, voneinander zu lernen. So werden die Österreicher bestimmte Zusatzfunktionen des Systems nutzen, die ursprüngliche für die deutsche Tochtergesellschaft entwickelt wurden.

Von anderen zu lernen, ist leider nicht unbedingt eine deutsche Tugend. Wir belehren lieber als dass wir uns belehren lassen – daran hat sich von Bismarck bis Merkel nicht viel geändert.  Dabei ließen sich aus dem ersten PDM-Anlauf der Österreicher durchaus Lehren für die erfolgreiche Abwicklung von großen IT-Projekten ableiten. Zum Beispiel dass die Harmonisierung kein Selbstzweck ist, sondern sich rechnen muss. Oder dass ein zentrales System, das es allen recht machen soll, leicht zu einem nicht mehr bedienbaren Moloch wird.

Gerade wir Deutschen sollten öfter mal die Schlagbäume hochreißen und hinschauen, wie die Anderen es machen. Wenn wir nämlich versuchen, Unternehmen in anderen Ländern zackzackig unsere Denk- und Arbeitsweisen überzustülpen, geht das meistens schief. Dafür gibt es prominente Beispiele, gerade aus der Automobilindustrie mit ihren straffen Strukturen: BMWs geplatzte Hochzeit mit Rover, Daimlers jahrelanger Ehekrieg mit Chrysler… Uns fehlt einfach das habsburgische Herrschaftswissen unserer Österreichischen Nachbarn, die sich vor kurzen in x-ter Ehe mit einem deutschen Unternehmen vermählt haben: Bella gerant alii, tu felix Austria nube – Kriege mögen andere führen, Du glückliches Österreich heirate.

Zielsicheres Projektmanagement

Vor ein paar Monaten habe ich ein kleines, mittelständisches Unternehmen bei der Analyse seiner Informationsflüsse unterstützt. Eine sehr erfolgreiche Firma, die elektroakustische Geräte für renommierte Kunden in der Luftfahrtindustrie, Verkehrstechnik und im Öffentlichen Dienst herstellt. Sie muss eine riesige Zahl an Produkten und Varianten managen, weil die Geräte immer wieder kundenspezifisch angepasst werden: Hier ein anderer Stecker, hier ein längeres Kabel, hier ein unterschiedlicher Schallwandler.

Die Mitarbeiter ertrinken in einer Flut an kleinen Aufträgen/Projekten, mit dem Erfolg, dass innovative Neuentwicklungen über dem Tagesgeschäft oft auf der Strecke bleiben. Und dass obwohl viele Projekte heute schon an der Entwicklung vorbei direkt in die Arbeitsvorbereitung wandern. Wie viele Projekte gerade laufen, in welchem Status sie sich befinden, wie rentabel sie sind und ob genügend Ressourcen für neue Aufträge frei sind, weiß eigentlich niemand so genau. Nicht einmal die Geschäftsleitung.

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Nach meiner Einschätzung ist das kein Einzelfall, sondern aufgrund der wachsende Produktvielfalt in vielen Unternehmen die Realität. Ohne eine effizientere Steuerung und Kontrolle der Projekte (Controlling) laufen diese Unternehmen Gefahr, den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr zu sehen und sich im Unterholz der Projektabwicklung zu verirren. Ein einfaches Projektmanagement (PM), das alle Vorhaben mit Verantwortlichen, Terminen und geschätztem Reifegrad erfasst, würde schon für eine bessere Übersicht sorgen. Auf Dauer reicht es natürlich nicht aus, um Projekte erfolgreich durch die Untiefen eines kreativ-chaotischen Entwicklungsprozesses zu steuern.

Anders als bei einem Bauvorhaben, bei dem der Plan im Prinzip steht und „nur“ noch umgesetzt werden muss, was aufgrund der Vielzahl der beteiligten Gewerke schon schwierig genug ist, entsteht der Plan bei einem Entwicklungsvorhaben ja erst: CAD-Modelle, Zeichnungen und anderen Unterlagen sind nicht der Input für, sondern der Output des Projektmanagements. Ohne Kenntnis der Arbeitsfortschritte und ihres Reifegrads kann man also nicht zuverlässig beurteilen, ob das Projekt hinsichtlich Terminen und Kosten im grünen Bereich ist oder gerade aus dem Ruder läuft. Das Projektmanagement muss Termine, Kosten und Qualität der Lieferobjekte (deliverables) gleichermaßen ins Lot bringen.

Ein solches, ergebnis- und produktorientierte Projektmanagement hebt die Trennung zwischen Projektmanagement und der eigentlichen Projektarbeit auf, was unter anderem bedeutet, dass jeder Projektmitarbeiter auch Steuerungsaufgaben übernimmt. Das erfordert zum einen ein Umdenken in der Organisation und die Etablierung einheitlicher Vorgehensweisen bei der Projektabwicklung, die flexibel anpassbar sein müssen, um dem Spannungsfeld zwischen Kreativität und Systematisierung gerecht zu werden. Zum anderen sind PM-Werkzeuge erforderlich, die die Steuerungsfunktionen in derselben Umgebung bereitstellen, in der die Projektmitarbeiter den Lifecycle und Reifegrad ihre Arbeitsergebnisse managen. Oder einfach ausgedrückt: Das Projektmanagement gehört ins PLM, und zwar nicht als nettes Zusatztool, sondern als zentrales Werkzeug für die Steuerung und Kontrolle von Entwicklungsvorhaben.