Zielsicheres Projektmanagement

Vor ein paar Monaten habe ich ein kleines, mittelständisches Unternehmen bei der Analyse seiner Informationsflüsse unterstützt. Eine sehr erfolgreiche Firma, die elektroakustische Geräte für renommierte Kunden in der Luftfahrtindustrie, Verkehrstechnik und im Öffentlichen Dienst herstellt. Sie muss eine riesige Zahl an Produkten und Varianten managen, weil die Geräte immer wieder kundenspezifisch angepasst werden: Hier ein anderer Stecker, hier ein längeres Kabel, hier ein unterschiedlicher Schallwandler.

Die Mitarbeiter ertrinken in einer Flut an kleinen Aufträgen/Projekten, mit dem Erfolg, dass innovative Neuentwicklungen über dem Tagesgeschäft oft auf der Strecke bleiben. Und dass obwohl viele Projekte heute schon an der Entwicklung vorbei direkt in die Arbeitsvorbereitung wandern. Wie viele Projekte gerade laufen, in welchem Status sie sich befinden, wie rentabel sie sind und ob genügend Ressourcen für neue Aufträge frei sind, weiß eigentlich niemand so genau. Nicht einmal die Geschäftsleitung.

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Nach meiner Einschätzung ist das kein Einzelfall, sondern aufgrund der wachsende Produktvielfalt in vielen Unternehmen die Realität. Ohne eine effizientere Steuerung und Kontrolle der Projekte (Controlling) laufen diese Unternehmen Gefahr, den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr zu sehen und sich im Unterholz der Projektabwicklung zu verirren. Ein einfaches Projektmanagement (PM), das alle Vorhaben mit Verantwortlichen, Terminen und geschätztem Reifegrad erfasst, würde schon für eine bessere Übersicht sorgen. Auf Dauer reicht es natürlich nicht aus, um Projekte erfolgreich durch die Untiefen eines kreativ-chaotischen Entwicklungsprozesses zu steuern.

Anders als bei einem Bauvorhaben, bei dem der Plan im Prinzip steht und „nur“ noch umgesetzt werden muss, was aufgrund der Vielzahl der beteiligten Gewerke schon schwierig genug ist, entsteht der Plan bei einem Entwicklungsvorhaben ja erst: CAD-Modelle, Zeichnungen und anderen Unterlagen sind nicht der Input für, sondern der Output des Projektmanagements. Ohne Kenntnis der Arbeitsfortschritte und ihres Reifegrads kann man also nicht zuverlässig beurteilen, ob das Projekt hinsichtlich Terminen und Kosten im grünen Bereich ist oder gerade aus dem Ruder läuft. Das Projektmanagement muss Termine, Kosten und Qualität der Lieferobjekte (deliverables) gleichermaßen ins Lot bringen.

Ein solches, ergebnis- und produktorientierte Projektmanagement hebt die Trennung zwischen Projektmanagement und der eigentlichen Projektarbeit auf, was unter anderem bedeutet, dass jeder Projektmitarbeiter auch Steuerungsaufgaben übernimmt. Das erfordert zum einen ein Umdenken in der Organisation und die Etablierung einheitlicher Vorgehensweisen bei der Projektabwicklung, die flexibel anpassbar sein müssen, um dem Spannungsfeld zwischen Kreativität und Systematisierung gerecht zu werden. Zum anderen sind PM-Werkzeuge erforderlich, die die Steuerungsfunktionen in derselben Umgebung bereitstellen, in der die Projektmitarbeiter den Lifecycle und Reifegrad ihre Arbeitsergebnisse managen. Oder einfach ausgedrückt: Das Projektmanagement gehört ins PLM, und zwar nicht als nettes Zusatztool, sondern als zentrales Werkzeug für die Steuerung und Kontrolle von Entwicklungsvorhaben.

Viel Bauchgefühl, wenig Zahlen

Erfolg muss messbar sein – das gilt auch für den Erfolg von PDM/PLM-Projekten. Sollte man meinen, doch die Realität sieht oft anders aus. Wenn ich bei meinen Gesprächen PDM/PLM-Verantwortliche frage, was die Investitionen in ihre Lösung denn an Nutzeneffekten gebracht haben, bekomme ich in der Regel keine erschöpfende Antwort: Viel Bauchgefühl und wenig belastbare Zahlen. Zum Teil hängt das damit zusammen, dass der Ist-Zustand vor der PDM/PLM-Einführung nie genau erfasst worden ist, so dass man keine Vergleichszahlen hat; zum Teil hat man auf eine eingehende ROI-Betrachtung verzichtet, weil am PDM/PLM-Einsatz ohnehin kein Weg vorbei führte. Wozu sich also die Mühe machen? Dumm ist nur, dass die Unternehmen die Entwicklung von Effektivität und Effizienz der PLM-Prozesse auch nach der Systemeinführung nicht mehr verfolgen und sich dadurch schwertun, das Potential für stetige Prozessverbesserungen zu identifizieren.

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Zugegeben, je komplexer die Prozesse , desto schwieriger ist eine Erfassung verlässlicher Kennzahlen über diese Prozesse. Es gibt direkte Effekte wie die Verkürzung der Suchzeiten, die sich ziemlich einfach dem PDM/PLM-Einsatz zuschreiben lassen, aber eben auch viele indirekte Effekte oder Effekte, die ihre Wirkung im Zusammenspiel mit anderen Maßnahmen und IT-Systemen entfalten. Wie will man zum Beispiel den Nutzenanteil von PDM/PLM gewichten, wenn sich die Auftragsabwicklung spürbar verkürzt hat, weil PDM- und ERP-Systeme besser integriert wurden? Die Tatsache, dass man nie alle Effekte vollständig erfassen wird, spricht aber nicht grundsätzlich gegen eine Kennzahlensystematik. Im Gegenteil, es geht ja – unabhängig von den Nutzeneffekten – auch um eine bessere Transparenz der Prozesse, um die Auswirkungen von Veränderungen beurteilen zu können.

Paradoxerweise sind in vielen Unternehmen nicht mal die direkten Nutzeneffekte transparent, obwohl die Informationen darüber eigentlich im System stecken. Man kriegt sie nur nicht wieder raus – jedenfalls nicht in einer statistisch verwertbaren Form. Wer wann welchen Änderungsantrag gestellt hat und wann er freigegebenen wurde, ist dem System eigentlich bekannt. Mangels entsprechender Werkzeuge kann aber keiner sagen, wie sich die durchschnittliche Durchlaufzeit der Änderungsanträge im letzten Jahr entwickelt hat. Was die Unternehmen dafür benötigen ist ein PLM-integriertes Kennzahlenmanagement, mit dem sie bestimmte Leistungskennzahlen (Key Performance Indicators) berechnen, mit Zielwerten vergleichen und ihre Historie für Trendanalysen aufzeichnen können.

Welche Kennzahlen spiegeln die Performance einer PDM/PLM-Lösung am besten wieder? Das ist eine gute Frage, die sich noch nicht abschließend beantworten lässt. Der Verband der Deutschen Maschinen- und Anlagenbauer VDMA entwickelt im Rahmen der PIPE-Initiative (Prozesss-Indikatoren für Product Engineering) zusammen mit Contact Software und anderen namhaften PLM-Herstellern gerade eine einheitliches Modell mit entsprechenden Performance-Indikatoren, die eine branchenübergreifend einheitliche Bewertung von Engineering-Prozessen ermöglichen soll. Damit wird es auch erstmals möglich sein, die Leistungsfähigkeit von PDM/PLM-Lösungen nach einheitlichen Kriterien zu bewerten.

Effizienz und Effektivität der Produktentwicklung sind in einem Land, das von der Umsetzung innovativer Ideen lebt, entscheidend für die Innovationsfähigkeit der Unternehmen. Im Unterschied zur Produktion, in der alle möglichen Kennzahlen ausgewertet werden, ist die Produktentwicklung jedoch oft eine Gleichung mit vielen Unbekannten: Wo stehen wir aktuell, wo wollen wir hin, sind wir auf dem richtigen Weg und wie weit sind wir schon voran gekommen? Solche Fragen lassen sich ohne verlässliche Kennzahlen nicht beantworten lassen. Ein Kennzahlenmanagement, das direkt den PDM-Datenbestand nutzt, ist deshalb der Schlüssel zu einer besseren Steuerungsfähigkeit der Produktentwicklung.

Systems Engineering und der Innovationseffet

Elektronik und Software sind zum Motor der Innovation geworden – nicht nur im Automobil, sondern auch in vielen anderen Produkten. Und wie beim Billard stößt eine Innovation die andere an, auch wenn die Effets nicht immer vorhersehbar ist. Die softe Revolution erlaubt die schnelle Integration von zusätzlichen Funktionen, die den Produktlebenszyklus verlängern, und erleichtern gleichzeitig die funktionale Differenzierung der Produktpalette. Wie viel Pferdestärken ein Motor auf die Straße bringt, das hängt heute auch und vor allem von der eingebetteten Software ab.

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In einem Fahrzeug der Oberklasse stecken inzwischen mehr Zeilen Programmcode als in manchem PLM-System. Die eigentliche Herausforderung ist jedoch nicht die Menge an Software, die sich wesentlich schneller entwickeln lässt als andere Produktbestandteile, sondern das perfekte Zusammenspiel von Software, Elektrik/Elektronik und Mechanik. Ihre Abstimmung erfordert neue Werkzeuge, Methoden und Prozesse für die interdisziplinäre Produktentwicklung. Systems Engineering (SE) heißt das Schlagwort, das in aller Munde ist, auch wenn jeder SE-Experte es etwas anders definiert.

Verwunderlich ist die Definitionsvielfalt nicht, denn letztlich geht es genau darum: Erst einmal eine gemeinsame Sprache zu finden. Eine gemeinsame Sprache, mit der man komplexe Produkte als Gesamtsystem beschreiben und überprüfen kann, unabhängig davon, wie und mit welchen Werkzeugen die beschriebenen Funktionen und Eigenschaften nachher umgesetzt werden. Eine Sprache, die es den unterschiedlichen Disziplinen erlaubt, ein gemeinsames Verständnis für die bestehenden Abhängigkeiten zwischen Anforderungen, Funktionen, Bauteilen etc. zu entwickeln und gerade bei Änderungen einfacher miteinander zu kommunizieren. Sozusagen ein Esperanto für die Produktentwicklung.

Ganz gleich welche Sprache(n) und Sprachwerkzeuge zum Einsatz kommen, müssen sie in die Product Lifecycle Management-Lösungen integriert werden, um die beschriebenen Anforderungen und die daraus abgeleiteten Funktionen und Eigenschaften des Produkts über den gesamten Entwicklungsprozess verfolgen und die Wechselwirkungen von Änderungen beurteilen zu können. In diesem Sinne ist das Systems Engineering zum Motor für die Innovation der PLM-Technologie geworden, die lange Zeit einseitig auf die Datenverwaltung und Prozessteuerung in der Mechanikentwicklung fokussiert war. Die meisten PLM-Lösungen unterstützen heute ein disziplinenübergreifendes Anforderungs-Management und ermöglichen die Abbildung einer funktionalen Sicht auf das Produkt.

Anforderungen abzubilden und in Beziehung zu anderen Anforderungen, Funktionen, Bauteilen etc. zu setzen, ist weniger eine technische Herausforderung. Die PLM-Datenmodelle sind dafür ausreichend flexibel. Die Kunst besteht darin, dies so zu tun, dass die Systeme für die Anwender noch bedienbar sind. Oder anders ausgedrückt: Zu vermeiden, dass man den Teufel mit dem Belzebub austreibt. Schließlich soll das Systems Engineering die Komplexität der Produktentwicklung besser beherrschbar zu machen. Wenn die IT-Werkzeuge zur Unterstützung der Systementwicklung dadurch so komplex werden, dass sie für die Anwender kaum noch zu beherrschen sind, ist nichts gewonnen.

Die PLM-Hersteller müssen sich darüber Gedanken machen, wie sie die Definition der Beziehungen zwischen Anforderungen und anderen PLM-Objekten und vor allem die Visualisierung der komplexen Zusammenhänge besser unterstützen. Die Anwender benötigen komfortable grafische Eingabehilfen und neue Peripheriegeräte mit taktilen Oberflächen, um die Beziehungsgeflechte großformatig darstellen und mit ihnen direkt interagieren zu können.  Mit anderen Worten genau die Art von Produkten, deren Entwicklung ein interdisziplinäres Vorgehen im Sinne des Systems Engineering erfordert.