Vernetzung bedeutet Autonomieverlust

Digital Twin oder digitaler Zwilling ist das jüngste Ferkelchen, das die PLM-Hersteller durchs Dorf treiben. Wer den Begriff erfunden hat, weiß ich nicht, aber sicher nicht Bundespräsident Joachim Gauck, der ihn im Jahr 2013 in seiner vielgeachteten Rede zum Tag der Deutschen Einheit erwähnte. Er spielte damit auf die Abbildung unseres realen Ichs in den sozialen Netzwerken an und warnte vor den Gefahren, die daraus für unser Privatsphäre erwachsen können.

auge
Mit freundlicher Genehmigung jscreationzs, www.FreeDigitalPhotos.net

Wenn PLM-Hersteller von Digital Twin reden, dann meinen sie etwas anderes, wenngleich Gefahren für unsere Privatsphäre auch nicht gänzlich auszuschließen sind. Es geht darum, digitale Produktmodelle mit Hilfe von Sensordaten aus der täglichen Anwendung zu füttern, um den Umgang des Verbrauchers (für viele Hersteller von Konsumgütern ein unbekanntes Wesen) mit den realen Produkten besser zu verstehen und diese Informationen für die Optimierung der digitalen Produktmodelle zu nutzen. Ein nettes Beispiel ist das intelligent vernetzte Mountainbike, das PLM-Hersteller PTC auf der PTC LiveWorx Europe in Stuttgart auf die Bühne rollte.

Es gibt vielleicht überzeugendere Beispiele für den wirtschaftlichen Nutzen digitaler Zwillinge. General Electrics nutzt digitale Reproduktionen von Windturbinen, um die Energieausbeute von Windparks zu optimieren. Grundlage sind die bei der Interaktion der installierten Turbinen mit Landschaft und Windbedingungen gewonnenen Daten. Bis zu 20 Prozent mehr Strom soll so auf einer Windfarm geerntet werden können. Auch bei Siemens hat jede Gasturbine und Produktionsanlage inzwischen einen digitalen Zwilling, um sie virtuell  testen zu können, wie mein -Journalisten-Kollege Stefan Graf unlängst von der Siemens PLM Connection berichtete.

Keine Frage, die Vernetzung von digitaler und realer Welt macht uns das Leben leichter. Sie ist auch keine Einbahnstraße: Mit Hilfe von Techniken der Augmented Reality können digitale Informationen wieder auf reale Produkte gemappt werden, um ihre Funktionsweise zu erläutern oder dem Service-Techniker zu zeigen, welche Bauteile er austauschen soll. Allerdings sollte man sich immer bewusst sein, dass jede Art von Vernetzung einen Verlust an Selbständigkeit bedeutet. Das autonome Fahren, wenn es sich denn durchsetzt, wird in letzter Konsequenz dazu führen, dass wir das Autofahren gänzlich verlernen.

Der unaufhaltsame Preisverfall bei Sensoren und Speicherplatz führt mit einer gewissen Zwanghaftigkeit dazu, dass alles mit allem vernetzt wird und Daten austauschen kann. Ein Produkt intelligent zu vernetzen bedeutet aber noch nicht, dass es intelligent ist, es zu vernetzen. Zumindest nicht aus Anwendersicht. Die Vernetzung sollte nicht nur für den Hersteller, der Daten über den Gebrauch seines Produkts sammeln möchte, sondern auch für den Eigner des Produkts (und der erfassten Daten?) einen Nutzen haben. Entschuldigung, ich meine natürlich eine User Experience bieten.

Die Frage, wem die von intelligent vernetzten Produkten erfassten Daten gehören und was damit gemacht werden darf, ist nicht banal. Big Data und die Möglichkeiten, sie intelligent auszuwerten und mit anderen Daten zu verlinken, stellen heute schon eine enorme Gefahr für den Schutz unserer Persönlichkeitsrechte dar, wie der Beitrag „Kopf oder Zahl“ in der Ausgabe 47 von Der Spiegel deutlich macht.

Leider haben nicht alle Unternehmen zu dem Thema eine so klare Haltung wie Hausgeräte-Hersteller Miele, mit dessen Geschäftsführer Technik Dr. Eduard Sailer ich vor kurzem ein Interview zum Thema IoT führte: „Uns ist wichtig, dass der Kunde immer weiß, dass die Daten ihm gehören und wir nur mit seiner Zustimmung darauf zugreifen werden“, so Sailer wörtlich. Man würde sich wünschen, von Google-Chef Larry Page ähnlich klare Worte zu hören.

Willkommen in der Brave New World der intelligent vernetzten Produkte, wie einer der Referenten auf der PTC LiveWorx Europe sagte, offensichtlich ohne sich über die Tragweite seiner Worte bewusst zu sein. Vielleicht sollten wir alle das visionäre Buch von Aldous Huxley mal wieder nachlesen. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine besinnliche Adventszeit.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert