PLM-Einführung ist ein Mannschaftssport

Man sollte meinen, dass die PLM-Einführung dank vorkonfigurierter Software-Lösungen und standardisierter Middleware-Technologie für die Integration der Anwendungen einfacher geworden sei. Wenn man einigen Herstellern glauben darf, funktionieren ihre Lösungen sozusagen out of the box, das heißt man braucht sie nur noch auszupacken und einzuschalten. Leider sieht die Realität anders aus: „Der Leidensdruck hat eher noch zugenommen“, urteilte Prof. Martin Eigner der auf dem diesjährigen PROSTEP iViP-Symposium einen Workshop zum Thema „Future PLM“ koordinierte. Im Rahmen dieses Workshops wurden die Teilnehmer aus der Automobil- und Luftfahrtindustrie befragt, wo sie der Schuh am meisten drückt: Ein wunder Punkt ist und bleibt die Implementierung, das heißt die vielen Systeme, Schnittstellen, Migrationen oder Inkompatibilitäten.

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Der Grund für den scheinbaren Widerspruch ist relativ simpel: Zwar lassen sich die PLM-Lösungen heute einfacher und schneller implementieren, aber gleichzeitig haben Umfang und Komplexität der Implementierungen deutlich zugenommen, weil die Lösungen mehr leisten und mehr leisten sollen als noch vor zehn Jahren. Die Kunden sind anspruchsvoller geworden: Es geht nicht mehr nur ein bisschen lokale CAD-Datenverwaltung, sondern um die Unterstützung des gesamten Entwicklungsprozesses unter Einbeziehung verschiedener Disziplinen (Stichwort Mechatronik-Entwicklung), Standorte und gegebenenfalls auch der externen Partner. Das untermauern die anspruchsvollen PLM-Projekte, die heute in der Industrie realisiert werden.

Vor kurzem habe ich einen renommierten Automobilzulieferer besucht, der gerade seine alte Zeichnungsverwaltung durch eine umfassende PLM-Lösung ersetzt hat. Multi-CAD-Datenmanagement, Stammdatenverwaltung mit ERP-Anbindung, Dokumentenmanagement mit Office- und Email-Integrationen, Projektverwaltung, Freigabe- und Änderungswesen etc. wurden auf einen Schlag an mehreren Standorten weltweit eingeführt, weil die Anwender bei vielen Projekten standortübergreifend zusammenarbeiten. Ein riesiger Berg an CAD-Daten und anderen Unterlagen musste dazu in die neue PLM-Umgebung übernommen werden, was natürlich mehr Zeit in Anspruch nahm als geplant. Der Aufwand für die Datenmigration wird bei PLM-Implementierungen immer noch gerne unterschätzt.

PLM-Projekte dieser Größenordnung mit Beteiligten aus unterschiedlichen Abteilungen, Standorten und Ländern und Kulturkreisen erfordern ein effizientes Projektmanagement, um sie erfolgreich umzusetzen. Der Zusammenhalt des Projektteams, der Rückhalt im Management und die kompetente Unterstützung durch den Systemlieferanten sind wichtige Erfolgsfaktoren. Als ich den Projektleiter fragte, was er beim nächsten Mal anders machen würde, sagte er, er würde es stärker in Teilprojekte mit separaten Projektverantwortlichen unterteilen, um die parallel laufenden Aktivitäten besser koordinieren zu können. Und er würde die ausländischen Kollegen noch frühzeitiger ins Boot holen. Ein gut funktionierendes Team ist für den Projekterfolg fast wichtiger als die beste Software, so einfach sie auch zu implementieren sein mag. Und der gemeinsame Erfolg stärkt das „Wir-Gefühl“ im Unternehmen – über die PLM-Implementierung hinaus.

Alte Hüte, moderne Mützen

Man sollte meinen, das Thema PDM/ERP-Schnittstelle sei ein alter Hut, der an der PLM-Garderobe verstaubt. Ist aber nicht so. Es gibt immer noch Firmen, die Materialdaten und Stücklisten trotz PDM-Einsatz von Hand ins ERP-System eingeben. Und es sind nicht unbedingt die kleinsten – im Gegenteil: Manchmal hat man den Eindruck, als mittelständischen Maschinen- und Anlagenbauer, was die IT-technische Verzahnung von Einkaufs-, Entwicklungs- und Fertigungsprozessen angeht, weiter als manches Großunternehmen. Zumindest gehen Mittelständler das Thema pragmatischer an: Viele haben im Zuge der PDM/ERP-Integration ohne lange Diskussionen entschieden, dass Materialstämme und Stücklisten im PDM-System „erfunden“ werden. Und siehe da, es funktioniert.

Interessanterweise ist das Thema PDM/ERP-Integration selbst für Unternehmen, die bereits ein hohes Maß an Prozessdurchgängigkeit erreicht haben, aktueller denn je. Um die wachsende Zahl von kundenspezifischen Aufträgen mit tendenziell kleiner werdenden Losgrößen flexibler durch den Produktionsprozess zu schleusen, benötigen sie umfassendere Schnittstellen-Funktionen, die es erlauben, die Informationen in beiden Systemwelten kontinuierlich zu synchronisieren und nach Möglichkeit in Echtzeit auf sie zuzugreifen. Ein heißes Eisen ist in diesem Zusammenhang das systemübergreifende Änderungs-Management, denn es geht darum, einen stringenten und sicheren Prozess von der ersten Bedarfsmeldung für eine technische Änderung bis zur Umsetzung in der Produktion zu gewährleisten.

Neue Anforderungen ergeben sich auch durch den Ausbau der PDM-Systeme zu umfassenderen PLM-Lösungen, mit denen zum Beispiel die Entwicklungsaufgaben verteilt und terminiert, die Aufwände erfasst und die Arbeitsfortschritte kontrolliert werden. Um Projekte von der Angebotserstellung bis zur Auslieferung durchgängig steuern zu können, muss die Auftragsverwaltung im ERP-System mit dem Projekt-Management der PLM-Lösung verknüpft werden, insbesondere was den Abgleich von Cost und Work Breakdown Structures anbelangt. Hersteller von variantenreichen Produkten, die mögliche Produktkonfigurationen PLM-seitig definieren, benötigen die hinterlegten Regeln auch für die Erzeugung der auftragsspezifischen Stücklisten im ERP-System. Das heißt mit anderen Worten, dass zwischen beiden Systemwelten mehr Informationen als bisher ausgetauscht und bei Änderungen synchronisiert werden müssen..

Sowohl die Unternehmen, als auch die Softwarehersteller und ihre Systemintegratoren treiben einen erheblichen Aufwand, um dieses Mehr an Funktionalität in proprietären Schnittstellen abzubilden. Dabei wird das Rad oft neu erfunden. Mit Blick auf die Gesamtkosten für Anschaffung, Betrieb und Wartung der Integrationslösungen ist dieser Aufwand eigentlich nicht zu rechtfertigen. Wir brauchen mehr Standardisierung, nicht im Sinne einer PDM/ERP-Integration von der Stange, sondern in Form von Best Practices und standardisierten Schnittstellen-Funktionen, die sich entsprechend den Prozessanforderungen des Kunden und den Möglichkeiten der eingesetzten PDM- und ERP-Systeme einfach konfigurieren lassen. Das Forschungsinstitut für Rationalisierung der RWTH Aachen hat deshalb zusammen mit Partnern aus Verbänden und der Industrie ein Forschungsprojekt gestartet, das die Produktionssysteme durch Integration der IT-Strukturen und Dezentralisierung der Produktionssteuerung und -planung wandlungsfähiger machen soll. Gefördert wird das WInD-Projekt von Bundesministerium für Forschung und Bildung. Ein wichtiges Teilprojekt ist die Schaffung prozessorientierter Standard-Schnittstellen, sowohl zwischen ERP- und PDM-, als auch zwischen ERP- und MES-Systemen.